Thursday, January 25, 2024
Schlimme Verse von Franz Müntefering
RP ONLINE
Schlimme Verse von Franz Müntefering
Artikel von RP ONLINE •
3 Std.
Düsseldorf. Der frühere SPD-Vizekanzler hat 84-jährig ein Buch vor allem mit Gedichten veröffentlicht: übers Alter, aber auch über den Krieg in der Ukraine und den Überfall der Hamas auf Israel. Viele Verse sind erschreckend banal, manche auch schlimm.
In seinem neuen Buch betrachtet Franz Müntefering seine Welt in Reimen.
Im fortgeschrittenen Alter kommen manche Menschen auf die verrücktesten Ideen: Einige besteigen hohe Berge, andere kandidieren fürs Amt des US-Präsidenten. Und dann gibt es etliche, die sich ihre schöne freie Zeit mit dem anstrengenden Bücherschreiben vertreiben und je nach Prominenz dann mit einiger Aufmerksamkeit der Leser belohnt werden.
Zu ihnen gehört der frühere Vizekanzler Franz Müntefering, sozialdemokratisches Urgestein und kantiger Südwestfale. Vor fünf Jahren heimste er einigen Erfolg ein mit dem Betrachtungen über eine Lebenserfahrung, für die vor allem Rentner die Experten sind: das Alter. „Unterwegs“ hieß es und war eine Ermunterung übers Älterwerden in unserer Zeit, grundiert mit glaubwürdiger Gelassenheit. „Ich blicke gelassen auf das Sterben“, sagte er uns damals.
Diese Souveränität ist ihm auch nach einer schweren Herzoperation im vergangenen Herbst nicht abhanden gekommen. Ruhe und Schonung waren für ihn noch nie eine Option und sind es für den inzwischen 84-Jährigen auch jetzt nicht. „Das einzige Sichere ist der Wandel“ lautet sein Credo – und auch darüber hat er wieder ein Buch geschrieben, das dieses Lebensmotto eigentlich schon im Titel trägt: „Nimm das Leben, wie es ist. Aber lass es nicht so“.
Doch diesmal sind es keine prosaische und bedenkenswerte Betrachtungen. Franz Müntefering hat nämlich den Lyriker in sich entdeckt und das, was ihn bewegt, in Gedichte verpackt und sich praktisch einen Reim auf seine Welt gemacht: wiederum aufs Alter, aber auch auf die aktuellen Krisen unserer Tage. Dass sogar der barbarische Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober des vergangenen Jahres Eingang ins Buch gefunden hat, bezeugt den Aktualitätsanspruch des Autors.
Nun haben sich Lyriker insbesondere im 20. Jahrhundert lang und breit Gedanken gemacht, wie über Krieg, Terror und Vernichtung gedichtet werden könnte. Franz Müntefering gehört weniger zu diesen Bedenkenträgern und findet diese freien Verse: „Der Überfall am 7. Oktober auf Israel, / auf friedliche Bürgerinnen und Bürger dort, / auf zufällige Gäste auch, / war ein widerlicher schwerer Gewaltakt. / Er ist noch nicht zuende.“ Gedichte müssen nicht immer komprimierte Welterfahrung spiegeln, doch auch ohne diesen Anspruch sind diese Zeilen an Banalität schwer zu überbieten.
Wobei das Gedicht auf den Überfall Russlands auf die Ukraine durchaus große lyrische Tradition aufzugreifen bemüht ist. Denn natürlich spielt Müntefering mit dem Titel „Ist Krieg“ auf das berühmte Lied von Matthias Claudius an aus dem 1778 an: „s‘ist Krieg“. Den legendären und tiefgründigen Claudius-Versen stellt Müntefering dann diese Worte gegenüber: „Nein, vorbei ist das noch nicht. Russlands Krieg ist schrecklich. Krieg ist eine Methode der Menschen, Macht zu verteidigen und auszubauen.“
Ratlos machen diese Worte und staunend, wie die Gedanken eines so wichtigen Politikers an der Oberfläche schippern. Es gibt – neben klischeehaft kritischen Einlassungen auf die Kirche – aber auch typografisch etwas aufgemotzte lyrische Bemühungen übers Alter. Im besten Fall haben sie das Zeug fürs private Poesiealbum, andere hingegen sind schlimm. Eins dieser entbehrlichen Gedichte heißt „Unikat“ und beginnt mit diesen vier sogenannten reinen Reimen auf diese Weise: „Solange ich lebe, gibt es mich: / Ich bin ich. Ganzheitlich. / (Nein, alleine bin ich nicht.) / Denn: Du bist Du. weil: Es gibt Dich.“ Oder das Gedicht „Schnee“ mit halsbrecherischem Zeilensprüngen: „Weshalb? / Wenn doch der Schnee / dieser Schnee / unberührt / bliebe weshalb / verunstaltet ihr den Schnee / so er / ist doch unschuldig!“
Zu retten ist diese Buch nicht. Auch nicht mit diesem kleinen, netten Poem, das „Begegnung“ heißt und ein wenig Witz versprüht, der indes schnell vertrocknet ist: „Sie lacht so / spricht so / blickt so / geht so / vorbei.“
Nichts gegen das Dichten im Alter. Es gibt verrücktere Ideen, siehe ganz oben. Doch muss man nicht gleich auch alles veröffentlichen.