Friday, December 1, 2023
„Wussten von nichts“: SPD-Chefin Esken beschwert sich über Kanzler-Alleingang
Merkur
„Wussten von nichts“: SPD-Chefin Esken beschwert sich über Kanzler-Alleingang
Artikel von Lisa Mariella Löw •
39 Min.
Nach Haushaltsurteil
Nach dem Haushaltsurteil muss der Bund das 60-Milliarden-Loch stopfen. Olaf Scholz spricht sich bei den Einsparungen nicht mit seiner Partei ab.
Berlin – Die Kommunikation zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und SPD-Chefin Saskia Esken findet stellenweise überhaupt nicht mehr statt. Das gab Esken in der ZDF-Sendung Maybrit Illner am Donnerstag (30. November) preis. Trotz der Unstimmigkeiten innerhalb der Ampel-Koalition und Söders geforderter Neuwahl scheint eine große Koalition zwischen SPD und CDU jedoch unwahrscheinlich. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz zeigte sich über mehrere Aussagen von Esken fassungslos. Unter anderem halte sie alle Bürger, die sich zuletzt eine
Nach dem Haushaltsurteil muss die Ampel-Regierung nun das Haushaltsloch von 60 Milliarden aus dem für verfassungswidrig erklärten Klima- und Transformationsfonds (KTF) stopfen. Noch dazu kommt das 17 Milliarden Euro große Loch, das Christian Lindner für den Bundeshaushalt 2024 angekündigt hat. WELT-Autor Robin Alexander und Merz waren sich relativ einig, wie gespart werden sollte. Merz sagte: „Der Staat hat kein Einnahmeproblem, er hat ein Ausgabeproblem. Das muss zunächst einmal in der Regierung geklärt werden.“ Bei 1000 Milliarden Euro an Steuereinnahmen und einem Bundeshaushalt von 450 Milliarden Euro „dürfte es keine Notlage geben.“
Robin Alexander bekräftigte das: „Der Plan sollte lauten, einfach zu gucken, wo wir einsparen können. Das haben ja frühere Regierungen auch so gemacht.“ Dabei verwies Alexander darauf, dass der derzeitige Etat „über ein Drittel größer“ sei als im Jahr 2019 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Esken kam in ihren Antworten immer wieder ins Straucheln oder wich aus. Gestern habe man sich im Koalitionsausschuss getroffen, wo die Raumtemperatur „hervorragend“ gewesen sein soll, berichtete sie. Sie sei sich sicher, dass man eine Notlage im Haushalt auch für das Jahr 2024 argumentieren könne. Die größte Hürde sei nur, dass man die Vorhaben des KTF nun mit Mitteln aus dem Haushalt finanzieren müsse.
Doch Friedrich Merz sah die Lage kritischer: Zwar finde am Freitag im Bundestag eine Anhörung zum Nachtragshaushalt für das Jahr 2023 statt, aber es sei noch völlig unklar, ob man in diesem Jahr überhaupt noch den Haushalt für 2024 beschließen werde. „Also Sie scheinen doch offensichtlich in der Koalition sehr viel größere Probleme zu haben, als Sie es hier gerade darstellen“, sagte Merz. Esken erwiderte nur, der Zeitplan der Ampel sei „klar“ und „ambitioniert“. Man werde das in der kommenden Woche klären.
Merz über Eskens Vergleich von Bund und Ahrtal empört
Auch bei der Schuldenbremse kriselte es zwischen Esken und Merz. Der CDU-Chef sprach sich erneut dagegen aus, die Schuldenbremse auszuhebeln: „Wenn wir kein Einnahmeproblem haben, brauchen wir doch nicht mal über eine Notlage zu sprechen, geschweige denn über die Schuldenbremse.“ Esken warf ein, dass Ministerpräsident Daniel Günter (CDU) bereits in Schleswig-Holstein aufgrund der Krise eine Notlage ausrufen musste. Merz entgegnete, das sei aufgrund der Sturmflut gewesen, die das kleine Land im Oktober erlitten hatte. Das sei wie der Bund im Ahrtal, verglich Esken. Dieser Vergleich empörte Merz: „Mit Verlaub, dieses Ahrtal sind 1,6 Milliarden Euro. Das machen Sie aus dem Bundeshaushalt im Vorbeigehen. Dafür brauchen Sie keine bundesweite Notlage zu erklären.“
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sprach sich dafür aus, durch eine Reform der Schuldenbremse mehr Kredite für Investitionen aufnehmen zu können. „Die Investitionsstaus sind gigantisch und wir können nicht daran vorbeischauen“, sagte sie. Das richtete sie gezielt an Friedrich Merz: „Man kann auch nicht sagen, Herr Merz, mit Verlaub, das Heizungsgesetz – das schreddern wir jetzt mal.“ Dadurch würden sich nur noch mehr Menschen eine Gasheizung kaufen, und hinterher „total den Schaden“ erleiden. „Frau Göring-Eckart, in diesem Jahr sind in Deutschland die meisten Gas- und Ölheizungen der letzten Jahrzehnte eingebaut worden“, erwiderte Merz. Daraufhin mischte sich Esken ein, die mit ihrem Konter für Gelächter sorgte. Sie sagte, sich im vergangenen Jahr eine Gasheizung zuzulegen, sei „wirtschaftlich unvernünftig von den Menschen“ gewesen.
Ließe sich das Problem der Transformation womöglich mit einem Sondervermögen lösen, fragte Illner daraufhin Merz. Sowohl beim Sondervermögen für die Bundeswehr als auch beim Solidaritätszuschlag habe die Ampel-Koalition die Verabredungen mit der CDU gebrochen, sagte er. „Glauben Sie, dass wir vor diesem Hintergrund ernsthaft mit dieser Koalition über Verabredungen sprechen, die sie danach auch einhalten müssen?“ Den Solidaritätszuschlag nach Auslaufen im Jahr 2019 weiterzuführen, sei unter Merkel entschieden worden, entgegnete Esken. Erneut zeigte sich Merz empört: „Jetzt verkaufen Sie die Menschen nicht für dumm, Frau Esken!“, sagte er. In beiden Fällen habe es sich um Entscheidungen der Ampel gehandelt – „und das ist einfach genau der Stil dieser Regierung in der täglichen Arbeit.“
Fehlende Kommunikation zwischen Kanzler und SPD: „Kein gutes Zeichen“
Nicht nur zwischen Merz und Esken kriselte es in der ZDF-Sendung. Die SPD-Chefin erzählte am Donnerstag, dass Kanzler Olaf Scholz die SPD-Spitze in entscheidenden Fragen im Dunkeln lasse. Illner fragte, warum ihr Co-Parteichef Lars Klingbeil Bundesfinanzminister Christian Lindner wegen der Entscheidungen zur Gaspreisbremse so sehr kritisiert hatte. Die Partei sei nicht vom Auslaufen der Gaspreisbremse informiert worden, antwortete Esken: „Mit Olaf Scholz war er wohl abgestimmt, aber offensichtlich nicht mit Lars Klingbeil. Wir wussten von dieser Absprache nichts und deswegen haben wir in dem Moment so reagiert.“
„Kein gutes Zeichen“, meinte Illner daraufhin. Friedrich Merz schaute amüsiert. „Vor allem haben wir ja gerade gelernt, dass Olaf Scholz nicht mal seiner eigenen Partei Bescheid sagt. Das ist ja … Ich bin immer noch ganz erschrocken“, sagte der stellvertretende Welt-Chefredakteur. Esken hob die Augenbraue und ließ das unkommentiert stehen. (Lisa Mariella Löw)