Tuesday, December 5, 2023
Kommentar von Ulrich Reitz - Selbst beim Klima kommt die grüne Arroganz an ihr Ende
Kommentar von Ulrich Reitz - Selbst beim Klima kommt die grüne Arroganz an ihr Ende
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz •
4 Std.
MÄRKTE HEUTE
Leiten die deutsche Delegation auf der UN-Klimakonferenz in Dubai: Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrer Klima-Staatssekretärin Jennifer Morgan. IMAGO/Metodi Popow
Die Ankündigung von 22 Staaten auf der Weltklimakonferenz in Dubai, die Atomkraft in ihren Ländern verdreifachen zu wollen, dementiert eine grüne Erzählung: die von der Endgültigkeit des Ausstiegs aus der Kernkraft.
Über die Atomkraft sagt der RWE-Vorstand Markus Krebber, diese Messe sei gelesen. Nun amtieren die Vorstände deutscher Aktiengesellschaften im Schnitt fünf Jahre, und allein deshalb sollte man einkalkulieren, dass die Gültigkeitsdauer solcher Manager-Aussagen durchaus endlich sein kann. Dax-Unternehmen ändern ja auch ständig ihre Strategie. Weshalb sollte das also nicht auch die Politik tun?
Sie tut es im Übrigen, was bisweilen vergessen wird. Es war der längst zur Parteilegende verklärte Willy Brandt, der die Fachkräftezuwanderung vor 50 Jahren beendete. Und es ist sein Nachfolger Olaf Scholz, der die Fachkräftezuwanderung jetzt wieder ankurbelt. Beide sind bzw. waren aus derselben sozialdemokratischen Partei. Ganz genauso wie bei der Einwanderung verhält es sich bei der Sozialdemokratie mit der Atomkraft.
Mit den Grünen kam die Angst vor der Apokalypse
25 Jahre lang, von Anfang der fünfziger bis etwa Mitte der siebziger Jahre, waren die Sozialdemokraten große Kernkraft-Fans (wissen das eigentlich die Jusos?). Und zwar, weil sie daran glaubten, dass es sich bei der Kernkraft um einen Fortschritts-Turbo handle, der gut sei für das Wachstum und damit auch gut für das ursozialdemokratische Ziel, die Arbeitermassen am Wachstum der Wirtschaft gerecht zu beteiligen. Noch mit Helmut Schmidt, ein gleichfalls zur Legende Geadelter, wäre deshalb ein Ausstieg aus der Atomkraft nicht machbar gewesen.
Dann kamen Anfang der 80er Jahre die Grünen und mit ihnen kam die Angst vor der Apokalypse ins Land. Und erst die Skepsis, dann Feindschaft, gegenüber Forschung und Technik. Davon war zuerst die Atomkraft betroffen, dann die Pharmaforschung, dann die Gen- und Biotechnologie. So ist es bis heute geblieben. Von der Genschere, einer wahrscheinlich epochenmachenden Entwicklung, gekrönt mit einem Nobelpreis für zwei Frauen aus Europa, wollen die Grünen bis heute nichts wissen.
So werden die Ernährungsprobleme der Welt mit Hilfe widerstandsfähiger Pflanzen wohl anderswo gelöst werden, jedenfalls nicht von Deutschland aus. So dürfte es sich auch mit der Entwicklung von Genscheren-Methoden zur Heilung schwerer Krankheiten verhalten. Und das, obwohl die bahnbrechende Crispr-Forschung in Deutschland, in Berlin an einem Max-Planck-Institut, stattfand.
Nur eines über die Zukunft der Atomkraft in Deutschland ist gewiss
Nun ist der Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft weder eine wissenschaftliche noch eine ökonomische, sondern ausschließlich eine politische Entscheidung. Und politische Entscheidungen sind abhängig von Entwicklungen und von Stimmungen und von Parteien, die darauf reagieren. Daraus folgt, dass das einzig verlässliche, was man über die Zukunft der Atomkraft in Deutschland sagen kann, dies ist:
Solange die Grünen regieren, wird es in Deutschland keine Atomkraft mehr geben. Die Grünen reden über die friedliche Nutzung der Kernkraft seit mehr als 40 Jahren in derselben Tonlage, nichts hat sich im Grunde verändert. Das Volk hat die Grünen dabei längst hinter sich gelassen. Diese Feststellung ist wichtig, weil es in der Politik gang und gäbe ist, dass aus Reaktionären Fortschrittliche werden und aus Fortschrittlichen plötzlich Reaktionäre. Der Zeitgeist ist, auch wenn das ein wenig altklug klingt, ein flüchtiger Geselle.
Mal ist ein Auto toll, weil es einem nach dem Krieg die Freiheit eröffnet, damit nach Italien zu fahren oder, ein paar Jahre später, eine mittelständische Firma zu gründen. Dann wird es, je größer, umso mehr, zum sozialen Aufstiegssymbol. Und plötzlich ist es nur noch ein Stinker und gar nicht mehr so toll und schon gar nicht ist es noch ein soziales Distinktionsmerkmal.
Doch dann, oh Wunder, kommt ein amerikanischer Technik-Revoluzzer daher und alle wollen Tesla fahren, und plötzlich selbst in angegrünten Kreisen hip ist. Die Technik ändert sich und mit ihr die Ansichten über sie. Nichts bleibt wie es ist.
Ich glaube dem US-amerikanischen Klima-Außenminister eher als dem deutschen Grünen Jürgen Trittin
So ist das auch mit der Atomkraft. Es ist völlig egal, ob die Amerikaner mit dem ersten SMR scheitern, einem geschrumpften Kernkraftwerk, in das gerade sehr viele Leute wie Bill Gates sehr viel Geld stecken. Entscheidend ist der Pioniergeist, der angefacht wird durch die Kraft der ökologischen und ökonomischen Erzählung, das Energieproblem der Menschheit sauberer und billiger in den Griff zu bekommen. Dieser Pioniergeist versetzt Berge, vor allem Berge von Geld. So ist es auch mit der Kernfusion. Das wird alles vorangetrieben werden, die Frage ist nur, ob wir Deutschen dabei sind oder nicht. Mit den Grünen sind wir nicht dabei.
Die linksgrüne „taz“ hat John Kerry einen „Klima-Zar“ genannt. Und gerade hat dieser Klima-Zar als Sondergesandter für Klimafragen des US-Präsidenten Joe Biden eine Initiative von 22 Staaten zur Verdreifachung der Atomkraft so erklärt: Ohne Kernkraftwerke sei die Dekarbonisierung der Menschheit nicht denkbar. Das sei ganz einfach eine Frage von Mathematik und Physik.
Mir persönlich ist die Frage, wie der Strom, der aus der Steckdose erzeugt wird, völlig egal, Hauptsache möglichst CO2-sparend. Allerdings glaube ich dem US-amerikanischen Klima-Außenminister eher als dem deutschen Grünen Jürgen Trittin, der uns allen vor 20 Jahren weismachen wollte, die von ihm maßgeblich begründete Energiewende gebe es zum Gegenwert einer Kugel Eis pro Haushalt. Auch das Versprechen des SPD-Bundeskanzlers Olaf Scholz, es werde ein Klima-Wirtschaftswunder geben, halte ich für volatiler als Ludwig Erhardts Wirken, das nach dem Krieg zu realem Wohlstand für alle führte.
Woher will Lang das wissen, ist sie zur Ingenieurin mutiert?
1980 stieg Schweden aus der Atomkraft aus. Es regierten die Sozialdemokraten. Jetzt, 40 Jahre später, steigen die Schweden wieder in die Atomkraft ein. Es regieren die Sozialdemokraten. Wenn die Grüne Vorsitzende Ricarda Lang die „große Transformation“ der deutschen Industrie erklärt, nennt sie das gerne „alternativlos“. Woher will Lang das wissen, ist sie zur Ingenieurin mutiert? Man sollte mit solchen apodiktischen Prophetien besser vorsichtig sein. Realitäten können sich schneller ändern als man denkt.
Die Schweden wollen den Anteil der Atomkraft bis 2030 auf 50 Prozent steigern. Sie begründen es, ganz wie die deutschen Sozialdemokraten in den fünfziger Jahren, mit ihrer Verpflichtung, den Schweden ihren Wohlstand zu sichern. Darüber könnte Lang nachdenken.
Wir sollten von der Arroganz Abstand nehmen, wir seien klüger als die anderen
Der deutsche Klimaminister Robert Habeck nennt die Atomkraft „Hochrisikotechnologie“, das sagen alle Grünen. Es ist das Revival der alten Apokalypse aus den 80er Jahren. An diese Apokalpyse glauben aber weder die Franzosen noch die Belgier, die Niederländer, die Polen, die Tschechen, die Slowaken. Wir sind und werden gerade umzingelt von Freunden der Hochrisikotechnologie. Wäre ich für einen Moment Dieter Nuhr, würde ich nun fragen: Wie kann man da nur überleben – als Grüner?
Wir sollten von der Arroganz Abstand nehmen, wir seien klüger als die anderen. Das letztlich noch verbliebene Hauptargument der Grünen, wir seien die „Vorreiter“ einer auch kernkraftfreien Energiewende, hat sich spätestens mit der Erklärung dieser 22 Staaten beim Weltklimagipfel in Dubai erledigt. Von der hochgestochenen deutschen Weltklima-Außenpolitik bleibt nur noch eine Worthülse, eine leere Behauptung. Was wir bei der Energie veranstalten, macht in Wirklichkeit niemand nach. Es ist nicht nur zu teuer. John Kerry erklärt es für ein Ding der Unmöglichkeit, für das Ignorieren naturwissenschaftlicher Regeln. Man sollte allerdings nicht glauben, dass dies Grüne und Sozialdemokraten beeindruckt.
Nachdem die schwedische Regierung ihre Atomwende angekündigt hatte, gründeten junge Leute in dem Land Start-Up-Unternehmen für SMR-Reaktoren. Den ersten dieser kleinen Atommeiler, erklären die Gründer voller Enthusiasmus, würden sie 2030 ans Netz bringen. Am Ende bewegt nicht Pessimismus, sondern immer Optimismus die Welt.