Wednesday, December 20, 2023

INTERVIEW - «Olaf Scholz ist ein schlechter Krisenmanager, er kann kein Land regieren», sagt Roland Berger, der einstige Berater der Nation

Neue Zürcher Zeitung Deutschland INTERVIEW - «Olaf Scholz ist ein schlechter Krisenmanager, er kann kein Land regieren», sagt Roland Berger, der einstige Berater der Nation Artikel von Michael Rasch, München • 4 Std. Immer ein aufgeschlossenes Lächeln: Berater Roland Berger. Im November ist Roland Berger 86 Jahre alt geworden. Die Zeit ist auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen, wie könnte sie. Doch er ist weiter regelmässig im Büro. Beim Empfang in den Räumen an der feinen Münchener Maximilianstrasse schauen den Besucher noch immer neugierige helle Augen aus einem freundlichen Gesicht an. Der einstige Berater der Nation ist ein Menschenfänger im besten Sinn. Das hat ihm auch geschäftlich stets genutzt. Berger war bei Bundeskanzlern ebenso gefragt wie bei Unternehmern. Früher schrieb er 2500 Weihnachtskarten mit der Hand, um eine persönliche Beziehung zu den Adressaten zu pflegen; heute sind es nur noch 400 bis 500, wie er sagt. Der Zufall will es, dass Berger an diesem Dienstag im Advent gerade vom Weihnachtsessen mit dem Künstler Georg Baselitz kommt. Die Familien sind seit langem eng befreundet. In seinem Büro hängt hinter dem Schreibtischstuhl das übergrosse Gemälde «Der Adler», ein imposanter schwarzer Vogel mit ausgebreiteten Schwingen vor blauem Hintergrund. Da Baselitz seine Motive seit Jahrzehnten auf dem Kopf stehend malt, wirkt das Bild jedoch so, als würde der Adler gerade abstürzen.Herr Berger, symbolisiert das Bild für Sie den abstürzenden Bundesadler? (Lächelt.) Nein, ich denke bei dem Anblick immer an den früheren Reichsadler. Der Bundesadler ist aber auch schon höher geflogen als in den vergangenen Jahren. Sie blicken kritisch auf Deutschland. Was stört Sie? Das Land hat sich verändert, überwiegend nicht zum Guten. Vor zwanzig Jahren war Deutschland ein demokratisches, freiheitliches und sozialmarktwirtschaftliches Land. Wir haben uns dann immer mehr zum übertriebenen und damit teureren Sozialstaat mit einer mehr und mehr planwirtschaftlichen Wirtschaftspolitik verändert. Die finanziellen und emotionalen Anreize zum Arbeiten werden immer mehr weggesteuert. Auch der Zusammenhalt der Gesellschaft hat abgenommen. Obwohl wir den Sozialstaat immer stärker ausgebaut haben, werden in den Medien vor allem die Unterschiede zwischen Arm und Reich auf jedem Level sehr stark betont. Sind die Medien zu einseitig? Auch die Medien haben sich stark verändert. Früher habe ich sie als viel ausgewogener wahrgenommen, heute folgen die allermeisten einem starken linken Mainstream, vor allem auch der öffentlichrechtliche Rundfunk. Liberale Medien gibt es in Deutschland kaum noch. Am Ende ist das schon ein anderes Land. Das hat bereits unter Angela Merkel begonnen, sich unter der Ampelregierung allerdings nochmals verschlimmert. Wie ordnen Sie die Entwicklung ein? Wir erleben eine Rückabwicklung der sozialen Marktwirtschaft und des deutschen Liberalismus. Beides hat sehr stark zum früheren Erfolg des Landes beigetragen. Inzwischen überzieht die Regierung die Unternehmen mit immer mehr unnötiger Bürokratie, erhöht die Unternehmens- und Einkommenssteuer, vergibt unnötige Subventionen, verursacht heftige industriepolitische Einschnitte und baut den Sozialstaat mit der Erhöhung von Bürgergeld, Mindestlohn, Kindergrundsicherung, Mütterrente und vielem mehr immer stärker aus. Dadurch nehmen der Anreiz zur Arbeit und die Produktivität immer stärker ab. Wir werden in Ihren Augen also immer schlechter regiert? Olaf Scholz ist ein Zauderer. Ein Bundeskanzler muss in der Lage sein, Situationen zeitnah zu analysieren, zu beschreiben und dann zu entscheiden. Das macht er aber nicht. Scholz ist ein schlechter Krisenmanager, er kann kein Land regieren. Denken Sie beispielsweise an die zögerliche Unterstützung der Ukraine, das hat vermutlich viele Leben gekostet. Und in der grössten Haushaltkrise der vergangenen Jahrzehnte versprach er gerade auf dem SPD-Parteitag, dass der enorm ausgebaute Sozialstaat nicht angetastet werden dürfe. Wann hat die Veränderung zum Schlechten aus Ihrer Sicht begonnen? Das hat mit Angela Merkel und der schrittweisen Rückabwicklung von Gerhard Schröders Agenda 2010 angefangen. Merkel hat einige Krisen gut gehandhabt und das Land mit seiner starken Wirtschaft im Ausland gut vertreten. Innenpolitisch hat sie aber eine Politik betrieben, die sich vorwiegend an den sich schnell ändernden Meinungsumfragen orientierte – Management by Allensbach sozusagen. Allerdings regiert die SPD mit einer kurzen Ausnahme seit 25 Jahren mit. Die SPD war eine grosse demokratische Partei, nämlich die Arbeiterpartei Deutschlands. Heute wird sie vor allem von Rentnern und Sozialhilfeempfängern gewählt. Arbeitnehmer, auch die klassischen Industriearbeiter, wählen heute die Union, die Grünen oder sogar die AfD. Mit den Grünen ist übrigens nun noch eine Partei mit in der Regierung, die gar nichts von Anreizen und Marktwirtschaft hält, sondern alles mit Geboten und Verboten regeln will. Die in ihrem Selbstbild liberale FDP regiert seit zwei Jahren ebenfalls wieder mit. Ich bin mit der Leistung der FDP nicht zufrieden, aber sie ist die kleinste Partei in dem Trio und immerhin ein liberal-korrigierender Faktor. Sie setzt sich für den Erhalt der Schuldenbremse ein, mit der Subventionen und Sozialleistungen Einhalt geboten wird. Die drei Parteien der Ampelregierung passen aber letztlich nicht zusammen, schon gar nicht unter einem Kanzler, dessen Stärke nicht in der Führung liegt, das sieht man in der Praxis nun sehr gut. Sie waren lange Jahre auch in der Politikberatung tätig. Was würden Sie Olaf Scholz raten, wenn er Sie fragen würde? Wir können mit dem bestehenden Fachkräftemangel nicht leben und wachsen. Deswegen müssen wir das Arbeitsangebot unbedingt steigern. Dazu gibt es verschiedene Mechanismen. Wir müssen das Bürgergeld senken, damit die Leute wieder einen Anreiz haben, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Zudem sollten wir versuchen, Frauen noch viel stärker Vollzeit in den Arbeitsmarkt zu integrieren, beispielsweise durch bessere Angebote zur Kinderbetreuung oder die Abschaffung des Ehegatten-Splittings. Auch die meisten der gesunden älteren Bürger würden gerne arbeiten, wenn sie die Steuern nicht davon abhielten. Zudem müssen wir bei der Migration versuchen, endlich die richtigen Leute anzuziehen. Dafür benötigen wir aber ein attraktives steuerliches und rechtliches Umfeld. Bisher haben wir zu viele Menschen bei uns aufgenommen, die uns nur Geld kosten und uns nicht weiterhelfen. Was ist noch nötig, um den deutschen Tanker wieder auf Kurs zu bringen? Die Themen liegen alle auf dem Tisch. Wir müssen die Digitalisierung voranbringen, vor allem im Staat und in der öffentlichen Verwaltung. Die überbordende Bürokratie muss zurückgefahren werden. Zugleich sollten wir private Investitionen fördern, beispielsweise durch eine attraktivere Besteuerung von Unternehmen. Ganz wichtig ist auch die Reparatur der maroden Infrastruktur, seien es Brücken, Strassen, Schienen und Bahn und vor allem unsere Kommunikationsinfrastruktur (wie Glasfaser für 5G). Spielentscheidend ist zudem eine günstige und sichere Energieversorgung. Dazu müssen wir in Deutschland Atomstrom und das Fracking erlauben sowie den Windstrom von Nord nach Süd bringen und in Europa den Sonnenstrom von Spanien nach Deutschland. Die Fortschritte in diesen Bereichen sind bestenfalls quälend langsam. Als offene Volkswirtschaft sollten wir zudem wieder mehr auf Freihandel setzen und in der EU auf neue Handelsabkommen drängen, etwa mit Australien und den Mercosur-Staaten. Freier Handel hat Deutschland – wie auch der Schweiz – zu grossem Wohlstand verholfen. Sie haben Helmut Kohl beraten, Gerhard Schröder und ganz am Anfang auch Angela Merkel. Wie würden Sie die Unterschiede charakterisieren? Kohl hatte ein klares Weltbild, eine langfristige Vision für Deutschland und war dabei ein grosser Europäer. Er war grundsätzlich gesprächswillig. Mit der Wirtschaft hat er allerdings vor allem über die grossen Verbände kommuniziert, weniger direkt mit Managern und Unternehmern. Letzteres hat eigentlich erst unter Gerhard Schröder begonnen. Schröder hat sich von den drei Genannten am meisten für Wirtschaft interessiert. Das war aufgrund seiner sozialen Herkunft und des Werdegangs als Vorsitzender der Juso erstaunlich. Er war aber offen für Beratung, selbst dann, wenn die Berater in ihrer Mehrheit nicht SPD wählten. Mit Schröder hat Sie eine besondere Nähe verbunden? Ja, ich habe ihn schon als niedersächsischen Ministerpräsidenten vor 1998 beraten und danach natürlich noch intensiver als Bundeskanzler. Oft verbindet man mit ihm vor allem die Agenda 2010, mit der das Land wieder wettbewerbsfähig wurde und die einen grossen Anteil an der nachfolgenden guten wirtschaftlichen Entwicklung hatte. Er hat aber auch die Konkurrenz unter den Unternehmen gestärkt und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft national und international erheblich verbessert. Denn er hat die Auflösung der sogenannten Deutschland AG, bei der die Konzerne untereinander stark durch Beteiligungen verflochten waren, durch die Senkung der Kapitalertragssteuer auf null vorangetrieben. Und er hat einen sehr langfristigen Atomausstieg eingeleitet und mit der Industrie vereinbart, damit genug Zeit ist, um auf erneuerbare Energien umzustellen. Diese Strategie hat Merkel dann ohne Not über den Haufen geworfen. Wie haben Sie Angela Merkel erlebt? Sie war am Anfang nicht völlig beratungsresistent, hatte aber auch keine Vision für das Land, sondern agierte, wie eingangs gesagt, immer sehr kurzfristig nach Umfragen. Letztlich waren die Merkel-Jahre für Deutschland vor allem Jahre des Stillstands und des Rückschritts mit wachsendem Ausbau des Sozialstaats. Haben Sie noch Kontakt zu Gerhard Schröder? Ja, habe ich – und ich habe ihm auch ehrlich meine Meinung zu seinen Russland-Kontakten gesagt. Selbst wenn man früher eine grosse Freundschaft mit Herrn Putin hatte, hätte seine Beziehung zu ihm nach dem Beginn des völkerrechtswidrigen Krieges zu Ende sein müssen. Sie sind offenbar nicht zu ihm durchgedrungen. Wenn sich Schröder mal für etwas entschieden hat, besitzt er eine grosse Sturheit. Würden Sie eigentlich Alice Weidel oder Tino Chrupalla von der AFD beraten? Niemals! Die AfD ist für mich keine demokratische Partei. Sie steht deshalb ja unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Sie kennen auch die Schweiz sehr gut, feiern dort oft Weihnachten und Silvester. Was könnte Deutschland von der Schweiz lernen? Die Schweiz ist für mich schon ein ziemlich ideales Land. Das fängt mit der direkten Demokratie und den Volksabstimmungen an, geht über die föderale Struktur und die liberale Wirtschaftspolitik und endet bei einer guten Mischung aus marktwirtschaftlichen Anreizen und einem sicheren sozialen Netz. Zudem hat sie auch einen starken Mittelstand. Wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, würde ich mir überlegen, in die Schweiz zu ziehen. Das hört man in der Schweiz sicherlich gerne. Kann die Schweiz auch etwas von Deutschland lernen? Ich glaube, die Schweiz könnte etwas grosszügiger in den Verhandlungen und im Umgang mit der EU sein. Eine Einigung zwischen Bern und Brüssel würde der Schweizer Wirtschaft und Wissenschaft vermutlich guttun. Und sie könnte vielleicht ein bisschen grosszügiger im Umgang mit Ausländern und deren Einbürgerung sein. Aber das sage ich jetzt sehr verhalten angesichts der Tatsache, dass Deutschland dieses Thema wirklich völlig falsch anpackt. Heutzutage sind Sie immer noch als Investor tätig, unter anderem haben Sie in Teile der Signa-Gruppe von René Benko investiert, die gerade tief in der Krise steckt. Seit wann sind Sie bei Signa investiert? Seit gut zehn Jahren. Wir kamen über einen gemeinsamen Bekannten zusammen. René Benko ist ein genialer Verkäufer und Immobilienmann. Er kennt den Markt und die Objekte. Das betrifft auch die Spitzenstandorte und deren Nutzung. Und er weiss wirklich im Detail Bescheid. Wenn Sie Benko nachts um zwei anrufen und ihn nach den Quadratmetermieten bei der Alten Akademie in München fragen, weiss er das sofort. Er ist sehr fleissig, das wird oft übersehen. Wie ist Ihre Sicht auf die jetzige Situation? Benko hat einen Sinn für Immobilienstandorte wie wenige. Deswegen sind bei Signa Prime die Wertverluste auch relativ gering. Das sind alles sehr gute Adressen, wie in München die Kaufingerstrasse und das Viertel um den Hauptbahnhof, in Hamburg das Alsterhaus und der Gänsemarkt, in Berlin am Kurfürstendamm und alle wesentlichen Standorte in der Innenstadt. Er hat zudem einen guten Geschmack und hat deshalb erstklassige Architekten engagiert. Die Signa-Gruppe ist allerdings viel zu komplex geworden. Das betrifft nicht nur die Immobilien, sondern auch die Handelsaktivitäten und alles weitere. Und er hat die Gruppe völlig intransparent geführt. Da fühlt man sich dann als Gesellschafter zunehmend unwohl. Ich war ja nie in einem Aufsichtsrat der Gruppe, daher habe ich sehr wenig erfahren. Wenn ich aber jetzt mit Aufsichtsräten rede, stellt sich heraus, dass die auch nicht viel gewusst haben. Haben Sie Ihre Anteile an Signa Prime inzwischen verkauft? Da es sich aktuell um ein schwebendes Verfahren handelt, bitte ich um Verständnis, dass ich mich dazu nicht im Detail äussern kann. Eine Insolvenz wäre wohl das Beste, weil dann alles transparent würde und Gläubiger wie Eigentümer ihren fairen Anteil erwarten würden. Aber um meine materielle Zukunft braucht sich niemand Sorgen machen. Sie können dem Frankfurter Wirtschaftsredaktor Michael Rasch auf den Plattformen X, Linkedin und Xing folgen.