Friday, December 8, 2023

Gastbeitrag von Gabor Steingart - Das Superwachstum der USA hat fünf Gründe, die wir kennen sollten

FOCUS online Gastbeitrag von Gabor Steingart - Das Superwachstum der USA hat fünf Gründe, die wir kennen sollten Artikel von Von Gastautor Gabor Steingart (Berlin) • 53 Min. Ein Bettler in Berlin. IMAGO/Müller-Stauffenberg Das erste Gebot im alten Testament lautet: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Das gilt für gläubige Christen, aber nicht für aufgeklärte Staatsbürger. Uns ist es durchaus erlaubt, und zuweilen sogar geboten, nach Staaten Ausschau zu halten, die es besser machen als wir. Wir müssen diese nicht gleich vergöttern, aber als Objekte unserer Neugier und unserer Lernbereitschaft taugen sie allemal. Warum das wichtig ist: Weil wir nur so erkennen, dass die Schrumpfung unserer Volkswirtschaft und das vom Sachverständigenrat prophezeite Potenzialwachstum von 0,4 Prozent in der nächsten Dekade kein Fluch und kein Zufall sind, sondern ein von uns selbst verschuldetes Schicksal: ein menschengemachter Wohlstandsverlust. Die USA wachsen in diesem Jahr um rund 5 Prozent, und alle Prognosen sagen dem wichtigsten Handelspartner der deutschen Wirtschaft eine weiterhin hohe Prosperität vorher. Dieses Superwachstum der Vereinigten Staaten hat fünf Gründe, die wir nicht alle kopieren, aber doch kennen sollten: 1. Der tiefe Kapitalmarkt der USA stärkt die Investitionskraft Die Börsen in Europa sind unterentwickelt und durch die nationalstaatliche Zersplitterung in ihrer Entwicklung gehemmt. Sie lösen durch diese Illiquidität nur einen Bruchteil jener Investitionen aus, die der amerikanischen Volkswirtschaft ihre große Vitalität verleihen. Die vorherrschende Finanzierungsform der Unternehmen in Europa ist der Bankkredit, wie vor 200 Jahren. In den USA dagegen wird die Masse der Profianleger und auch das Geld der einfachen Bürger mobilisiert. Das Geld wandert nicht auf die Sparkonten, sondern an den Kapitalmarkt, wo es risikofreudig nach der besten Anlagemöglichkeit sucht. Dieser tiefe Kapitalmarkt spiegelt sich im Marktwert der börsennotierten Unternehmen, die 160 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreichen; in Frankreich sind es nur 80 Prozent, in Deutschland weniger als 60 Prozent. Beispiel Birkenstock: Das deutsche Unternehmen hat sich für das New Yorker Börsenparkett entschieden, weil dort die Voraussetzungen für einen IPO deutlich besser sind. Beispiel Linde: Deutschlands wertvollstes Industrieunternehmen hat den Börsenplatz in Frankfurt verlassen, weil der hiesige Kapitalmarkt zu eng wurde, um das Wachstum des Börsenkurses zu ermöglichen. Diese Abwanderung hat sich für das Unternehmen und seine Eigentümer mehr als gelohnt. 2. Mit dem „Inflation Reduction Act“ wurde das größte Ansiedlungsprogramm aller Zeiten gestartet Während in Deutschland der Klimatransformationsfonds in Karlsruhe ungültig gestempelt wird, locken die USA mit dem Inflation Reduction Act – einem Gesetz zur Erreichung von Klimazielen mit kapitalistischen Mitteln. Es geht um die Stärkung der Energiesouveränität und die Schaffung gut bezahlter Arbeitsplätze. Dafür hat der amerikanische Haushalt 739 Milliarden US-Dollar an Investitionszuschüssen bereitgestellt. Davon alleine schätzungsweise mehr als 200 Milliarden für Steuererleichterungen. Europäische Unternehmen folgen dem Ruf der Subventionen und verlagern ihre Wertschöpfung in die USA. Die beeindruckende Bilanz ein Jahr nach Unterzeichnung des IRA: Der private Sektor kündigte bereits in den ersten zwölf Monaten an, mehr als 110 Milliarden Dollar in die Herstellung erneuerbarer Energien zu investieren, darunter mehr als 70 Milliarden Dollar in die Lieferkette für Elektrofahrzeuge und mehr als zwölf Milliarden Dollar in die Solarproduktion. Seit 2022 schuf der IRA mehr als 170.000 Arbeitsplätze. Laut Schätzungen schafft er in den nächsten zehn Jahren weitere 1,5 Millionen Arbeitsplätze. 3. Die Konsumlust der Amerikaner ist ungebrochen Das Vermögen der Amerikaner liegt nicht auf Sparkonten, sondern wird ausgegeben. Sie kaufen nicht nur Aktien, sondern Autos, Computer und Flugtickets, gehen ins Restaurant, besuchen Vergnügungsparks und Popkonzerte. Die persönlichen Konsumausgaben sind in den vergangenen zwölf Monaten um drei Prozent gestiegen. Damit sank im Oktober die persönliche Sparquote von vier auf 3,4 Prozent. Zum Vergleich: Die Deutschen haben im vergangenen Jahr 11,1 Prozent ihres Einkommens gespart. Dass die US-Bürger vor höheren Preisen nicht zurückschrecken, hat erst kürzlich die Financial Times an einem Beispiel berechnet: „Coca-Cola ist etwa 25 Prozent teurer als vor drei Jahren, und die Amerikaner trinken heute genauso viel davon wie damals.“ 4. Der Staat treibt das Wirtschaftswachstum – um den Preis historischer Schuldenstände Die Biden-Administration kurbelt mit ihren gigantischen Staatsausgaben, die zum großen Teil über Kredite finanziert werden, die heimische Wirtschaft an. Fast 1,7 Billionen neue Schulden nahm das Land im Haushaltsjahr 2023 auf, sodass die US-Staatsverschuldung inzwischen auf über 33,8 Billionen US-Dollar angestiegen ist. Um diese gigantische Staatsverschuldung ins Werk zu setzen, musste seit 1960 insgesamt 78-mal die amerikanische Schuldengrenze angehoben, vorübergehend verlängert oder die Definition geändert werden. 5. Der Arbeitsmarkt lebt von massenhafter Zuwanderung bei minimalem Sozialstaat Die USA wachsen. Das Land hatte im Jahr 2000 erst 281 Millionen Bewohner und zählt mittlerweile 337 Millionen Menschen. Dieses Bevölkerungswachstum führt zu einem robusten Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosenquote lag im Oktober bei 3,9 Prozent – also quasi Vollbeschäftigung. Eine expandierende Volkswirtschaft ist attraktiv für Arbeitskräfte aller Herren Länder. Im Oktober stieg die Anzahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft um 150.000, im September waren es 336.000 neue Stellen. Fazit: Die Bundesregierung, die offenbar vorhat, die Weihnachtspause im Haushaltsloch zu verbringen, sollte den Blick in die Ferne richten. Der Unterschied könnte deutlicher kaum sein. Amerika will einen immer größeren Wohlstandskuchen backen. Deutschland begnügt sich damit, einen geschrumpften Kuchen gerecht zu verteilen. Ein Satz des Reeders und Multimilliardärs Aristoteles Onassis gehört über die Schreibtische aller deutschen Politiker: "Dem Geld darf man nicht nachlaufen, man muss ihm entgegen gehen.“