Wednesday, October 9, 2024

So kontrovers urteilt die deutschsprachige Presse über das TV-Duell

WELT So kontrovers urteilt die deutschsprachige Presse über das TV-Duell Artikel von Christoph Kapalschinski • 37 Mio. • 9 Minuten Lesezeit Die meisten Kommentatoren sehen Sahra Wagenknecht als Siegerin des Rededuells mit Alice Weidel. Der WELT TV-Chefredakteur Jan Philipp Burgard polarisiert hingegen seine Kollegen aus den anderen Redaktionen. Einige loben seine Souveränität in höchsten Tönen, andere sehen ihn als Moderator „auf ganzer Linie“ scheitern. Das Duell zwischen Alice Weidel und Sahra Wagenknecht bei WELT TV bewegt die Kommentatoren der Presse im deutschsprachigen Raum. Das Fazit der Sendung an sich fällt kontrovers aus – von starkem Lob für das Format bis zu beißender Kritik. Einiger sind sich die Bobachter darin, wer das Duell gewonnen hat. „Aus diesem Abend werden sich ein paar Lehren ziehen lassen“ – Süddeutsche Zeitung Mittwochabend in Berlin, der Sender Welt TV hat die beiden erfolgreichsten Polarisiererinnen der Republik zum Fernseh-Duell geladen. Links Alice Weidel, designierte Kanzlerkandidatin der AfD, dunkler Blazer, Perlenkette um den Hals und eine Reihe von Wahlerfolgen im Rücken. Rechts Sahra Wagenknecht im signalgelben Kleid, Herrscherin über das BSW und damit das erfolgreichste Parteien-Start-up seit Bestehen der Bundesrepublik. Auch sie hat dieses Jahr große Wahlerfolge eingefahren. Sieht so die politische Zukunft Deutschlands aus? Will man das? Aus diesem Abend werden sich zumindest ein paar Lehren ziehen lassen, was da gerade auf- und womöglich zusammenwächst im Land. Könnte so also die Zukunft aussehen? Sahra Wagenknecht will eine Zusammenarbeit mit der AfD an diesem Abend nicht klar ausschließen. Was sie „natürlich“ ausschließt, ist eine Koalition mit Leuten, die im „Neonazi-Sumpf“ steckten. Aber selbst wenn die AfD diese rausschmeißen würde, hat dieser Abend auch gelehrt: Weidel und Wagenknecht hätten so große Streitthemen, dass die Ampel-Koalition dagegen als preisverdächtig harmonisch arbeitendes Team dastehen würde. „Direkt empfehlen kann man Weidel die Kanzlerkandidatur nach diesem Abend nicht“ – Frankfurter Allgemeine Zeitung Im heftig beworbenen „TV-Duell“ auf dem Welt-Kanal war im Lauf des Nachmittags schon von „politischer Heirat“ die Rede gewesen. Doch nichts lag Sahra Wagenknecht ferner, als um 18 Uhr die Studioscheinwerfer angingen. Die BSW-Vorsitzende spulte ihr Programm herunter, wie man es aus unzähligen Talkshows kennt, kühl, kontrolliert und ohne Fehltritte. Sie ist die Erfahrenere, und sie ließ es Weidel mit ungerührter Höflichkeit spüren. Jeder Werbungsversuch der Gegnerin prallte an ihr ab. Wagenknecht konnte es sich sogar erlauben, am Ende der Sendung ein paar Worte zu ihrer jugendlich linken Venezuela-Romantik zu verlieren. Die Bücher allerdings, die sie in den letzten 15 Jahren geschrieben hat, weisen sie hinreichend als Marktwirtschaftlerin aus, und von diesen Büchern hat Alice Weidel offenbar noch nie gehört. Es gibt bei der AfD, so viel wurde klar, ein Beratungsproblem. Überhaupt stolperte die AfD-Vorsitzende sichtlich nervös in dieses Gespräch, ruderte zwischendurch herum, lachte unmotiviert, und es half ihr auch nicht, dass der Moderator Jan Philipp Burgard äußerst strukturiert eine Liste von konkreten Sachfragen abzuhaken begann, ohne von seiner Linie abzuweichen. Wenn Weidel phantasieren wollte, rief Burgard sie zu Ordnung; wenn Wagenknecht ins Monologische abhob, wiederholte Burgard mit fester Stimme seine Frage. Fast immer kam der Moderator mit der glänzenden, absolut kratzfesten Lackschicht damit durch. Wie dünn die Schicht ihrer Argumente ist, zeigte sich eklatant, nachdem Wagenknecht wie gehabt für eine Zweistaatenlösung in Nahost plädiert hatte: Weidel wusste nicht weiter und konnte nur ungeordnet nachbeten, was die andere schon ausgeführt hatte. Und dann kam die Rede so richtig auf Björn Höcke, und Sahra Wagenknecht ließ ihr Opfer minutenlang nicht mehr los, denn darauf hatte sie hingearbeitet. Erstmals ließ Burgard die Sache laufen, vielleicht, weil Moderatoren sonst so wenig Spaß haben. Ach ja, Sahra Wagenknecht, im Gefühl des deutlichen Punktsieges, gab Weidel auf einer Rechts-Skala von 1 bis 10 die Wertung 6 und nannte sie allen Ernstes „konservativ“. Man soll ihr nicht nachsagen können, sie habe unnötig Brücken verbrannt. Alice Weidel dagegen empfindet sich selbst als „konservativ-liberal-freiheitliche Politikerin“. Wenn das mal aufs Wahlplakat passt, nächstes Jahr, wenn sie vielleicht als Kanzlerkandidatin antritt. Direkt empfehlen kann man es ihr nach diesem Abend nicht. „Sahra Wagenknecht fühlt sich sichtlich wohl“ – Handelsblatt Sahra Wagenknecht fühlt sich sichtlich wohl dabei, neben Weidel als Gemäßigte aufzutreten. Ja, man müsse Migration begrenzen, aber jene aussparen, die redlich arbeiten und sich in Deutschland ein Leben aufgebaut haben. Weidel schüre Ressentiments gegen die Menschen, die hier angekommen sind. „Das Grundproblem von Formaten wie diesen bleibt“ – Der Spiegel Weidel wirkt an einigen Stellen weniger sicher als bei früheren Fernsehauftritten, vor allem dann, wenn sie versucht, die AfD harmloser darzustellen, als sie ist. Den Versuch, sich in einem TV-Format zu mäßigen, hatte bereits der Thüringer Landeschef Björn Höcke unternommen. Er hatte in seinem Duell mit dem Thüringer CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt bei Welt TV gar behauptet, Remigration bedeute, dass Deutsche, die im Ausland leben, zurückkehren sollten. Es war offenbar die Intention, so neue Wählergruppen zu gewinnen. Doch selbst in der AfD spottete man über Höckes durchschaubaren Bluff. Das Grundproblem von Formaten wie diesen bleibt: Wenn Politikerinnen aufeinandertreffen, die populistische Methoden anwenden, fehlt es den Zuschauerinnen und Zuschauern an Orientierung. Zu häufig lässt der Moderator Behauptungen stehen, etwa jene, dass Ex-Kanzlerin Angela Merkel durch ihre Migrationspolitik mehrfach Recht gebrochen habe. Eine These, die in populistischen und extremistischen Kreisen seit Jahren kursiert. „Kein klarer Sieger, aber eine große Sorge“ – Bild Fazit: Ein Duell mit Charme und Schärfe – und vielen ähnlichen Positionen. Kein klarer Sieger, aber eine große Sorge: Bündnisse von AfD und BSW sind plötzlich denkbar. „Der Kampf um die von der Ampel enttäuschten Wähler ist eröffnet“ – Hamburger Abendblatt/Funke Am Ende stehen also zwei Frauen, die sich oft in den Zielen, seltener jedoch im Weg dorthin einig sind. Eine Koalition, das betonte Sahra Wagenknecht erneut, sei aufgrund von Personen wie Björn Höcke in der AfD derzeit ausgeschlossen. Doch obwohl sie immer wieder versuchte, die Unterschiedes des BSW zur AfD herauszustellen, viele Übereinstimmungen lassen sich nicht leugnen. Eins ist jedenfalls klar: In weniger als einem Jahr ist Bundestagswahl und der Kampf um die von der Ampel enttäuschten Wähler ist eröffnet. „Bei Welt TV dürfte man zufrieden sein“ – Tagesspiegel Erst als die Sprache auf Björn Höcke kommt, verschlechtert sich die Stimmung zwischen Sahra Wagenknecht und Alice Weidel. Er übernehme Teile von Adolf Hitlers Reden, fordere die Remigration von 20 bis 30 Millionen Menschen und schreibe von „wohltemperierten Grausamkeiten“ und, dass man ein paar Volksteile verlieren müsse, zitiert Wagenknecht. „Das ist so gruselig“, sagt die BSW-Gründerin und fügt hinzu: „Ich schließe eine Koalition mit Leuten, die im Neonazi-Sumpf verankert sind, natürlich aus.“ Die AfD-Chefin sei nur „das charmante Gesicht“ an der Spitze der Partei. „Das ist jetzt unter Ihrem Niveau“, blafft Weidel zurück. Genau so hatte man sich das bei „Welt TV“, das das Duell Wagenknecht vs. Weidel seit Tagen groß angekündigt hatte, vorgestellt. „Wir verstehen uns als Nachrichtensender und als Medium für brisante Debatten“, hatte Jan Philipp Burgard, Chefredakteur von „Welt TV“, vorab das Duell erklärt. Die Zuschauer sollten sich ihre eigene Meinung zu den „umstrittensten und gleichzeitig erfolgreichsten Politikerinnen Deutschlands“ bilden. Am Ende fallen sich Weidel und Wagenknecht so sehr ins Wort, dass man die beiden Politikerinnen überhaupt nicht mehr versteht. Moderator Burgard hat Mühe das Gespräch zu beenden. Doch zumindest bei „Welt TV“, die an diesem Abend rund 30 Journalisten ins hauseigene Springer-Studio geladen haben, dürfte man mit dem Abend zufrieden sein. „Sieg ging deutlich an Wagenknecht“ – T-Online Beide Parteichefinnen werden von Berichterstattern gerne gleichermaßen als „scharfe Rhetorikerinnen“ beschrieben. Im direkten Vergleich allerdings zog Alice Weidel den Kürzeren. Wagenknecht argumentierte ihre Linien stringent durch, ließ sich weder vom Moderator noch von Weidel aus der Bahn werfen. In die Karten spielte Wagenknecht, dass Außenpolitik im Duell viel Raum einnahm, um die sich in der AfD-Führung nicht Weidel, sondern ihr Co-Chef Tino Chrupalla kümmert. Weidel wirkte gerade bei diesen Themen nicht sattelfest und wechselte häufiger die Richtung. Zu spüren war da, wie sehr sie Machtpolitikerin ist, die sich durch Opportunismus an der Spitze der AfD hält – nicht Ideologin und Programmatikerin. Lücken, die Weidel als designierte AfD-Kanzlerkandidatin eigentlich schließen muss, bevor sie in den Bundestagswahlkampf mit seinen TV-Duellen zieht. Der irrste Moment: Weidels Lachen. Auf die Frage, wen die beiden in den USA wählen würden („Harris oder Trump?“) fängt Weidel plötzlich an zu lachen – und kriegt sich nicht mehr gefangen. Während sie weiterspricht und Trump lobt – zum Beispiel dafür, in seiner Amtszeit keine Kriege begonnen zu haben – lacht sie immer wieder los. Warum, lässt sich nicht erschließen, nicht nur Wagenknecht scheint das zu irritieren. Weidel versuchte, die AfD so gemäßigt zu verkaufen wie nur möglich. Für das große TV-Format war das wichtig, innerparteilich aber könnte ihr das noch Ärger bringen. Ähnlich lief es schon für Höcke nach einem TV-Duell gegen Voigt: Die Radikalen in der Partei waren gar nicht zufrieden mit ihm. Trotz Weidels Selbstverharmlosungs-Strategie für das große Publikum arbeitete Wagenknecht deutlich heraus, wie wenig rechtsstaatlich große Teile der AfD im Vergleich zum BSW agieren. Auch argumentativ und rhetorisch ging der Sieg deutlich an Wagenknecht. „Gescheitert ist der Mann im Studio“ – Frankfurter Rundschau Das Fernsehduell von Sahra Wagenknecht und Alice Weidel am Mittwochabend hat viele Fragen offengelassen. Ein davon dürfte sicher diese sein: Ist Quote im deutschen Fernsehen wirklich alles? Einen anderen Grund kann es für den Springer-Sender Welt TV ja nicht gegeben haben, das einstündige Format auszustrahlen. Aber es ist nun mal ein problematisches: Man lädt zwei Politikerinnen, die das Selbstverständnis der Bundesrepublik als weltoffenes, tolerantes Land mit Westbindung mindestens in Frage stellen, wenn nicht zerstören wollen. Als Quintessenz fragt man dann das Publikum, wer gewonnen hat. Nehmen Sie Ihr Smartphone in die Hand und voten Sie gerne mit. Schon die Frage des umfangreich beworbenen TV-Duells war falsch gestellt. Sie lautete: Was trennt, was verbindet AfD und BSW? Dahinter kann man kaum etwas anderes vermuten als die händereibende Hoffnung, dass sich Frauen möglichst in die Haare kriegen sollen. Der gleiche Verdacht kommt auf, wenn in der anschließenden Analyse des Duells im Studio nur Frauen am Tisch sitzen. Allerdings waren sämtliche der an dem Abend beteiligten Frauen zu intelligent, um einem derart platten Plot zu erliegen. Gescheitert auf der ganzen Linie ist indes der Mann im Studio. Man möchte Chefredakteur Philipp Burgard nicht unterstellen, dass er sich dachte, zwei Frauen im Gespräch, das moderiert sich ja von alleine weg. Aber Tatsache bleibt doch, dass er von Anfang an, nun ja, beträchtlich überfordert war. Für alle künftigen politischen Diskussionen sollte ein für allemal klar sein, dass es nicht genügt, auf den „Faktencheck morgen früh“ zu verweisen und dann sämtlichen falsche Narrative, anderswo auch Lügen genannt, stehen zu lassen. „Es ist ein Verdienst des Moderators, dass das Wagnis gelingt“ – Focus Als „TV-Duell“ ist es angekündigt: Wagenknecht gegen Weidel . Für die einen treffen zwei Erfolgsfrauen aufeinander, die gerade in drei Landtagswahlen viele Wähler überzeugt haben. Für die anderen ist es schlicht der Tabubruch: Teufel*In trifft Beelzebüb*In – zwei Frauen, die von links und rechts die demokratische Mitte in Deutschland und damit die Basis unserer Gesellschaft aufreiben. Der Sender „Welt-TV“ lässt sich auf das Risiko ein. Es ist ein Verdienst des Moderators Jan Philipp Burgard, dass das Wagnis gelingt. Mit der ersten Frage bringt Moderator Jan Philipp Burgard gleich beide aus dem Konzept. Sehr direkt fragt er: „Was haben Sie sich für heute vorgenommen?“, ist die erste Frage. Da reibt sich der Zuschauer dann doch die Augen und traut seinen Ohren kaum: Teufel*In und Beelzebüb*In drängeln sich massiv aneinander, da braucht es kein Weihwasser. Beide tun alles, um sich jede Option offenzuhalten. Am Ende geht es eben doch nur um die Macht. Schöne Grüße von der Ampel. „Das schreit nach einem zweiten Duell“ – Neue Zürcher Zeitung Nach gut einer Stunde war die Zeit um. Da hatten sich die Kontrahentinnen gerade warm geredet. Der Moderator beendete das Wortgefecht mit den Worten: «Das schreit nach einem zweiten Duell.» „Duelle als Markenzeichen“ – Der Standard (Wien) Es sind ungewohnte Töne, die Sahra Wagenknecht anschlägt, als die Kameras noch aus sind. „Man ist schon ein bisschen angespannt“, sagt die Chefin des BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) am Mittwoch um kurz vor 18 Uhr und lächelt ein bisschen. Sie ist als erste ins Studio des Senders Welt-TV (Springer Verlag) gekommen und wartet dort nun auf ihre Duell-Partnerin. Diese, AfD-Chefin Alice Weidel, kommt vier Minuten vor Beginn, wird in aller Eile verkabelt, dann kündigt Welt-Chefredakteur Jan Philipp Burgard auch schon das erste Duell der „erfolgreichsten aber auch umstrittensten“ Politikerinnen in Deutschland an. Wird es tatsächlich ein Duell? Oder eher ein Duett? Keine wird ausfällig oder fährt der anderen über den Mund. Man hat schon wildere Duelle gesehen, etwas jenes des thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke gegen den thüringischen CDU-Chef Mario Voigt. Dieses hatte ebenfalls Welt-TV übertragen. Der Sender will diese Duelle jetzt zu seinem Markenzeichen machen.