Thursday, October 17, 2024

Geldpolitik: „Dann käme es zu einer schnellen Flucht aus dem Dollar“

Wirtschaftswoche Geldpolitik: „Dann käme es zu einer schnellen Flucht aus dem Dollar“ Artikel von Fischer, Malte • 4 Std. • 8 Minuten Lesezeit Der Devisenmanager Stephen Jen über die Zinspolitik von EZB, die künftige Rolle von Dollar, Euro und Gold und den Angriff der Kryptowährungen auf das Geldmonopol. WirtschaftsWoche: Herr Jen, der US-Dollar hat in den vergangenen Monaten Boden gegenüber vielen Währungen, darunter auch dem Euro, verloren. Woran liegt das? Stephen Jen: Der Dollar ist überbewertet. Gegenüber den wichtigsten Handelspartnerwährungen der USA ist der Greenback nach unserer Bewertung im Schnitt um rund 17 Prozent zu teuer. Vor allem gegenüber asiatischen Währungen wie dem Yen und den Währungen der skandinavischen Länder ist der Dollar zu hoch bewertet. Gegenüber dem Euro ist die Fehlbewertung weniger ausgeprägt. Gemessen an den ökonomischen Fundamentaldaten wäre ein Wechselkurs gegenüber dem Euro von etwa 1,25 Dollar angemessen. Jetzt befinden wir uns in einer Korrekturphase beim Dollar. Was steckt hinter der Überbewertung des Dollars? Ein Grund ist die starke Performanz amerikanischer Aktien, die von hohen Unternehmensgewinnen gespeist wird, vor allem im Tech-Sektor. Die Aussicht auf Produktivitätsgewinne durch neue Technologien wie die künstliche Intelligenz lockt viele Anleger nach Amerika. Natürlich haben auch die hohen US-Zinsen geholfen, aber das wird sich bald ändern. Welche Rolle spielt die Zinspolitik der Notenbanken für den Wechselkurs? Die Leitzinsen sind ein wichtiger, aber nicht der einzige Einflussfaktor für die Wechselkurse. Die Zinswende in den USA hat zur Korrekturbewegung des Dollars beigetragen. Im nächsten Jahr dürfte der Greenback weiter an Wert verlieren und gegenüber dem Euro in Richtung 1,20 bis 1,25 Dollar gehen. Neben den weiter sinkenden Leitzinsen schwächen die makroökonomischen Ungleichgewichte der USA den Dollar. Sowohl die Leistungsbilanz als auch der Staatshaushalt in den USA weisen hohe Defizite auf. Dieses Doppeldefizit dürfte mehr und mehr in den Mittelpunkt der Märkte rücken. Wie weit werden die Fed und die EZB die Leitzinsen noch senken? Die Notenbanker der Fed gehen davon aus, dass der gleichgewichtige Zins, der die Wirtschaft spannungs- und inflationsfrei wachsen lässt, knapp unter drei Prozent liegt. Die Finanzmärkte gehen von einem etwas höheren Wert für den gleichgewichtigen Zinssatz zwischen 3,0 und 3,5 Prozent aus. Für die Eurozone liegen die Schätzungen bei zwei Prozent. Ich bin jedoch skeptisch, was solche Schätzungen betrifft. Warum? Es ist noch nicht lange her, da erklärten Ökonomen, der gleichgewichtige Zins in den USA und Europa läge bei null Prozent. Nach der Pandemie revidierten sie ihre Schätzungen dann kräftig nach oben, ohne überzeugende Gründe dafür zu nennen. Die Deglobalisierung und die Demografie treiben die Preise und damit die Zinsen nach oben. Ich bezweifele, dass das stimmt. Wir importieren zwar weniger Waren aus China, aber mehr aus Indien und Vietnam. Dort sind die Kosten und Preise noch niedriger als in China. Die Globalisierung und die disinflationären Tendenzen sollten sich also fortsetzen. Und was die Demografie betrifft, so können wir dank innovativer Technologien wie der künstlichen Intelligenz ausscheidende Arbeitskräfte leichter ersetzen als früher und die in den Betrieben verbleibenden Arbeitskräfte produktiver machen. Auch dies wirkt disinflationär. Was bedeutet das für die Zentralbanken? Wegen der globalen Einflussfaktoren korrelieren die Teuerungsraten in den USA und Europa zyklisch stark miteinander. In Europa liegt die Inflation bereits unter der Marke von zwei Prozent, in den USA ist sie auf dem Weg dorthin. Die EZB und die Fed werden die Leitzinsen daher in einem ähnlichen Rhythmus weiter nach unten schleusen. In wenigen Tagen wählen die Amerikaner ihren neuen Präsidenten. Wie wird der Dollar darauf reagieren? Für die Teilnehmer an den Devisenmärkten gilt es, drei Dinge im Auge zu behalten. Erstens: Welchen Kurs schlägt die nächste Regierung in der Finanzpolitik ein? Sollte sie weiter aufs Gaspedal treten, wäre die Fed gezwungen, mit einer restriktiveren Gangart der Geldpolitik dagegenzuhalten. Das triebe die Zinsen in Amerika nach oben und ließe den Dollar aufwerten. Zweitens: Was macht die neue Regierung in der Handelspolitik? Zölle haben Folgen für die Leistungsbilanz und damit den Wechselkurs. Drittens: Wie entwickelt sich das geopolitische Umfeld? In der Vergangenheit hatten politische Schocks meist Fluchtbewegungen in den Dollar ausgelöst. Derzeit findet eher eine Flucht raus aus dem Dollar statt. Viele Zentralbanken, vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern, schichten ihre Währungsreserven zulasten des Dollars um und kaufen Gold. Was steckt dahinter? Die Schwellenländer reagieren auf das Einfrieren eines großen Teils der russischen Währungsreserven durch den Westen als Teil der Sanktionen gegen Russland. Die Schwellenländer fürchten, dass sie beim Kampf um die weltweite Vormachtstellung zwischen den USA und Europa auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite zwischen die Fronten geraten könnten und ihren Währungsreserven ein ähnliches Schicksal droht wie Russland. Deshalb versuchen sie, ihre Abhängigkeit vom Dollar zu verringern. Das ist der Grund, warum sie sich seit 2022 mit Gold eindecken. Wie stark schwächt das die Stellung des Dollars als Weltleitwährung? Die Stellung des Dollar erodiert schon seit zwei Jahrzehnten. Anfang dieses Jahrhunderts entfielen 72 Prozent der Weltwährungsreserven auf den Dollar. Aktuell sind es nur noch 58 Prozent. Dieser Anteil dürfte in den nächsten Jahren weiter sinken. Die Welt hat sich verändert. Sie verfügt über mehr wirtschaftliche Pole als vor 25 Jahren. Das eröffnet den Zentralbanken die Möglichkeit, ihre Währungsreserven stärker zu diversifizieren. Die Schwellenländer, die rund 75 Prozent der weltweiten Währungsreserven halten, lieben den Dollar nicht mehr so wie früher. Warum trennen sie sich dann nicht vollständig von ihm? Weil es aktuell keine Alternative zum Dollar gibt. Und wenn es sie gäbe? Dann käme es zu einer sehr schnellen Flucht aus dem Dollar. Warum haben es Euro und Renminbi bisher nicht vermocht, den Dollar vom Thron der Weltleitwährung zu stoßen? Europa und China sind ökonomisch potente Regionen, realwirtschaftlich können sie sich mit den USA messen. Doch ihre Finanzmärkte können es nicht mit dem Finanzmarkt der USA aufnehmen. Dazu kommt, dass das Land der Weltleitwährung über Soft Power und Hard Power verfügen muss. Können Sie das näher erläutern? Ein Land, das für seine Währung den Status der Weltleitwährung beansprucht, muss in manchen Momenten geliebt, in anderen hingegen gefürchtet werden. China verfügt über viel Hard Power. Es verfügt über die wichtigste industrielle Werkbank der Welt und ist eine aufstrebende Militärmacht. Aber dem Land fehlt es an Soft Power. Die wirtschaftliche und finanzielle Transparenz lässt zu wünschen übrig, die ökonomischen Rahmenbedingungen sind volatil, der Schutz des Privateigentums ist nicht gewährleistet. China wird gefürchtet, aber nicht geliebt. Mit Europa verhält es sich genau andersherum. Europa verfügt über viel Soft Power. Seine Wirtschaft ist transparent, das Rechtssystem verlässlich. Touristen aus aller Welt lieben Europa. Aber niemand fürchtet Europas Wirtschafts- oder Militärmacht. Die USA hingegen verfügen sowohl über Soft Power als auch über Hard Power. Sie sind die Heimat von Disneyworld und haben zugleich die schlagkräftigste Armee der Welt. China will die globale Verbreitung seiner Währung steigern, indem es sie als Fakturierungswährung für den Handel mit anderen Ländern verwendet. Die globale Bedeutung einer Währung wird nicht durch die Güterströme, sondern durch die finanziellen Ströme bestimmt. Lediglich zwei Prozent des täglichen Umsatzes an den Weltdevisenmärkten entfallen auf die Finanzierung des Güterhandels. 98 Prozent hingegen resultieren aus Finanztransaktionen. Dass China und Russland ihren Güterhandel untereinander vermehrt in Renminbi abwickeln, ist nahezu bedeutungslos für das Weltwährungssystem und die Dominanz des Dollars. Der Greenback dominiert die globalen Finanztransaktionen. Das ist entscheidend. Leidet die Stellung des Euros an den Finanzmärkten noch unter den Spätfolgen der Eurokrise? In der Eurokrise fürchteten viele Anleger, die Währungsunion könne auseinanderbrechen. Das hat Vertrauen gekostet. Mittlerweile hat sich die Furcht gelegt. Bei den kurzen Zeithorizonten, die für die meisten Akteure am Devisenmarkt relevant sind, spielt das Szenario eines Auseinanderbrechens der Eurozone kaum eine Rolle. Dennoch ist das Risiko bei vielen noch in den Hinterköpfen. Wenn Sie Devisenhändler fragen, ob Euro, Renminbi und Dollar auch in 20 Jahren noch existieren werden, wird die Antwort für Renminbi und Dollar ein klares Ja sein. Beim Euro dürfte die Antwort eher Ich weiß nicht lauten. Warum? Die Eurozone ist ein heterogenes Gebilde von Staaten, die Mentalitäten der Menschen unterscheiden sich von Land zu Land sehr stark. Die Deutschen denken anders über die Rolle des Staates und die Staatsfinanzen als die Italiener. Der Euro thront auf einem Staatengebilde, dessen Fundament Risse hat. Der Eurozone mangelt es an ökonomischer, finanzieller und wirtschaftspolitischer Kohärenz und Konvergenz. Eine politische und fiskalische Union ist nicht in Sicht. Könnten Gemeinschaftsanleihen eine finanzielle Klammer für die Eurozone bilden? Rein statisch betrachtet könnte man das so sehen. Doch man muss die Dynamik bedenken, die von Anreizwirkungen ausgeht. Je dichter man das Sicherheitsnetz für den Euro, etwa durch implizite Bail-Out-Versprechen wie Gemeinschaftsanleihen strickt, desto größer werden die Anreize für die Länder, finanzpolitisch über die Stränge zu schlagen. Das Kernproblem der Eurozone ist nicht der Mangel an gemeinsamen Finanzierungsinstrumenten, sondern der Mangel an einer gemeinsamen Vorstellung über den geeigneten Kurs in der Finanz-Wirtschafts- und Geldpolitik. Die EZB will einen digitalen Euro einführen. Wie sinnvoll ist das Vorhaben? Die Pläne der EZB und anderer Zentralbanken, digitales Zentralbankgeld einzuführen, müssen vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung privater Kryptowährungen gesehen werden. Es gibt dabei drei Aspekte. Erstens misstrauen die Nutzer und Produzenten privater Kryptowährungen dem staatlichen Fiatgeldsystem und wollen es durch privates Geld ersetzen. Zweitens wollen die Zentralbanken ihre Macht verteidigen, die Zinsen bis in den negativen Bereich zu drücken, um die Wirtschaft zu fördern. Und drittens befürchten Geschäftsbanken, dass die Menschen ihre Ersparnisse lieber in Kryptos anlegen könnten, was hohe Risiken mit sich bringt. In dem Machtpoker zwischen diesen drei Akteuren haben die Zentralbanken den Staat auf ihrer Seite, aber sie werden darauf achten, die Geschäftsbanken nicht zu verdrängen, wenn sie digitales Zentralbankgeld auf den Markt bringen. Die staatlichen Zentralbanken bleiben also Herren des Geschehens? Die Zentralbanken können entscheiden, wieviel Spielraum sie den privaten Kryptowährungen gewähren und wie viel Geschäftsvolumen sie den Banken lassen. Mit der Einführung von digitalem Zentralbankgeld wollen sie eine staatliche und von ihnen kontrollierte Alternative zu den privaten Kryptowährungen auf den Markt bringen und die Kryptos ausbremsen, ohne die Geschäftsbanken zu ruinieren. Wird das digitale Zentralbankgeld die privaten Kryptowährungen verdrängen? Ich denke, dass private Kryptowährungen sich nicht mehr verdrängen lassen. Sie werden in Zukunft ein wichtiger Spieler auf dem Markt für Geld bleiben. Sie profitieren von dem Wunsch nach Datenschutz und Privatheit, der vor allem in Europa stark ausgeprägt ist. Das verleiht den privaten Kryptowährungen Rückenwind. Sie werden die Geldpolitik der Zentralbanken nachhaltig beeinflussen. Inwiefern? Eine Frage wird sein, wie die Zentralbanken die Entwicklung der Geldmenge kontrollieren wollen, wenn sich digitale Währungen durchsetzen und die Geschäftsbanken an Bedeutung verlieren. Wie werden die Zentralbanken ihre Leitzinsen anpassen, wenn es einen Kryptomarkt mit unterschiedlichen und konkurrierenden Zinssätzen gibt? Ich glaube, dass sich die Konzeption der Geldpolitik grundlegend ändern wird. Wenn das Geldmonopol der Zentralbanken angefochten wird, ist auch die Wirkung der Geldpolitik in Frage gestellt. Anders als die EZB macht die Fed bisher nur wenig Anstalten, digitales Zentralbankgeld auf den Markt zu bringen. Warum? Die Fed gibt die wichtigste Währung der Welt heraus und ist der Marktführer auf dem Markt für staatliches Geld. Marktführer oder etablierte Unternehmen attackieren ihren Status Quo nicht durch Innovationen. Sie sind bestrebt, ihn zu verteidigen. Daher bin ich überzeugt, dass die Fed abwarten und beobachten wird, wie sich die Dinge entwickeln. Die US-Notenbanker wissen, wie schwierig es ist, im Spannungsfeld der unterschiedlichen Interessen digitales Zentralbankgeld auf den Markt zu bringen. Die Fed hat daher betont, es komme bei der Ausgabe von digitalem Zentralbankgeld nicht darauf an, der Erste, sondern der Beste zu sein. Im Gegensatz dazu geht es bei Herausforderern wie der EZB und der chinesischen Zentralbank darum, den Status quo zu erschüttern. Deshalb ist die chinesische Zentralbank unter den drei Zentralbanken bei der Einführung eines digitalen Zentralbankgeldes am aggressivsten vorgegangen. Werden die Menschen digitales Zentralbankgeld akzeptieren? Das hängt von dem Vertrauen ab, das sie ihren Zentralbanken entgegenbringen. Zentralbanken könnten digitales Zentralbankgeld jederzeit löschen oder einfrieren. Dazu kommen auch noch Probleme mit dem Datenschutz. Technisch könnten die Zentralbanken, wenn sie denn wollen, alle Bewegungen mit digitalem Zentralbankgeld nachvollziehen und kontrollieren. Deshalb wird es darauf ankommen, wie sie den Datenschutz handhaben und ob die Menschen ihnen vertrauen. Die Anonymität von Bargeld wird digitales Zentralbankgeld nie bieten. Deshalb wird es weiter Bargeld geben. Münzen und Scheine haben auch im digitalen Zeitalter eine Zukunft.