Sunday, September 15, 2024

Wurden in Wiesbaden interne Informationen aus Etatberatungen weitergegeben?

Frankfurter Allgemeine Zeitung Wurden in Wiesbaden interne Informationen aus Etatberatungen weitergegeben? Artikel von Robert Maus • 6 Std. • 4 Minuten Lesezeit Unmut über Kürzungen: Schon im vergangenen Jahr hat es Proteste gegen Etatpläne gegeben. In Wiesbaden fällt es offenbar sehr schwer, einen ausgeglichenen Haushalt für das nächste Jahr aufzustellen, ohne einschneidend zu kürzen. Insbesondere der Sozialetat drohe aus dem Ruder zu laufen, ist zu hören. Bei einigen Beteiligten liegen deshalb wohl die Nerven blank. So soll es in der ersten Woche der Haushaltsberatungen der Kooperationsfraktionen von SPD, Grünen, Linken und Volt zu heftigem Streit gekommen sein. Nach Recherchen der F.A.Z. haben Vertreter von Grünen und Volt mehrere Male die laufenden Sitzungen verlassen. Unterdessen hat sich die Liga der freien Wohlfahrtspflege zu Wort gemeldet, die vor Sozialkürzungen warnt. Die Mitteilung der Liga ist offenbar die Ouvertüre zu größeren Protesten. Aber das ist nur ein Teil der komplizierten Gemengelage. Aus politischen Kreisen der Landeshauptstadt ist zu hören, dass interne Zahlen der Haushaltsberatungen aus der Kooperation heraus an Sozialverbände, die in der Liga der freien Wohlfahrtspflege organisiert sind, weitergegeben worden seien. Die Wohlfahrtsverbände sollen daraufhin massive Kritik an Grünen und Volt geäußert haben. Aufgrund der Indiskretionen sollen wiederum die Vertreter der beiden Fraktionen erbost die Sitzungen zur Etatberatung verlassen haben. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es zwar nicht, aber die Pressemitteilung der Liga lässt keinen anderen Schluss zu, als dass vertrauliche Informationen an die Verbände übermittelt wurden. „Smart City“ statt sozialer Stadt? „Grüne und Volt verabschieden sich von einer sozialen Stadt Wiesbaden – Keine Ahnung von der Realität?“, lautet die Überschrift der Mitteilung, in der die Liga moniert, dass im Sozialen massiv gekürzt und wissentlich gegen einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung aus dem Jahr 2019 gehandelt werden solle. Dabei geht es unter anderem um die Dynamisierung von Zuschüssen. „Ohne diese Anpassung sind die sozialen Leistungen und Einrichtungen aller freien Träger in ihrer Existenz gefährdet“, argumentiert die Liga. Sie will „erfahren“ haben, dass „man trotzdem die Dynamisierung im Haushalt nicht berücksichtigen und den Ausbau und die Schaffung von neuen Kinderbetreuungsplätzen stoppen“ wolle. „Wir fordern insbesondere von der Oberbürgermeisterkandidatin der Grünen, Gesine Bonnet, dass sie sich einsetzt für Wiesbaden, für gute Kinderbetreuung in ausreichender Zahl und dass der Ausbau vorangetrieben wird“, schreibt die Liga. Sie wirft Grünen und Volt vor, dass ihnen eine „Smart City“ wichtiger als das soziale Wohl der Bürger sei. Bei einem gemeinsamen Gespräch im Juli sei deutlich geworden, dass die Grünen „manche soziale Errungenschaft“ in Abrede stellen wollten und Volt „gar kein Interesse“ habe, mit der Liga zu reden. Daher kündigen die Liga und das Bündnis „Finger vom Sozialetat“ an, um die sozialen Leistungen kämpfen zu wollen: „Wir machen uns stark für den Erhalt des sozialen Netzes in Wiesbaden und gegen ungerechte und ungerechtfertigte Kürzungen im Sozialetat. Unser Protest wird laut und deutlich.“ Aus der Politik heißt es, diese Strategie habe das Bündnis schon im vergangenen Jahr erfolgreich angewandt, nachdem der damalige Sozialdezernent Christoph Manjura (SPD) vor den Haushaltsberatungen eine Liste mit möglichen Kürzungen aus dem Sozialen veröffentlicht hätte. Die heftigen öffentlichen Proteste seien ein Grund dafür gewesen, dass zahlreiche Kürzungsvorschläge doch nicht realisiert worden seien. Mittlerweile verfügt die Landeshauptstadt jedoch über keine nennenswerte Rücklage mehr, weil diese in den vergangenen Jahren fast vollständig aufgebraucht wurde. In diesem Jahr geht es abermals darum, Tariferhöhungen von städtischen Kitabeschäftigten auf die Kitamitarbeiter der freien Träger zu übertragen. Gleichwohl muss aber auch die beschlossene Tariferhöhung für die Mitarbeiter des städtischen Busunternehmens ESWE Verkehr im Haushalt berücksichtigt werden, die mit rund neun Millionen Euro zu Buche schlagen wird. Kein „verantwortungsvolles politisches Handeln“ Im Fokus der Kritik steht die grüne Oberbürgermeisterkandidatin Bonnet. Auf Nachfrage zeigte sie sich überrascht davon, dass die Liga „Anschuldigungen kolportiert, denen jede Basis fehlt“. „Wir stehen am Anfang unserer Haushaltsverhandlungen, und diese sind aus gutem Grund vertraulich“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen. „Wir müssen schauen, wie wir überhaupt mit unseren finanziellen Mitteln hinkommen, weil die Kosten explodieren.“ Sie geht davon aus, dass die Sozialverbände mit ihrer Erklärung Druck auf die Haushaltsverhandlungen ausüben möchten. Bonnet bezeichnete das Vorgehen jedoch als „absolut kontraproduktiv“. „Wir fragen uns, wer ein politisches Interesse daran haben könnte, die Informationen nach außen zu spielen“, sagte sie zu möglichen Indiskretionen. „Das ist nicht das, was ich mir unter einem verantwortungsvollen politischen Handeln vorstelle.“ Auf die Frage, ob man dann noch von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb der Kooperation sprechen könne, antwortete Bonnet: „Dieses Vertrauen ist im Moment massiv gestört.“ Gleichwohl sei es nötig, sich über die politischen Farben hinweg zusammenzusetzen, um gemeinsam einen zukunftsfähigen Haushalt aufzustellen. „Möglicherweise ist das Defizit höher, als es in der Planung der Kämmerei zunächst angenommen wurde“, warnte Bonnet. In diesem Fall müsse die Kooperation genau schauen, wie ein ausgeglichener Haushalt auf die Beine gestellt werden könne. „Wir wollen nicht von heute auf morgen gezwungen sein, abrupt Leistungen abzubauen. Wir wollen jetzt schauen: Was brauchen wir, um ein robustes soziales Netz auch in Zukunft zu sichern.“