Friday, September 20, 2024
Unruhe in SPD vor Brandenburg-Wahl: „Frau Esken sollte als Parteichefin zurücktreten“
Tagesspiegel
Unruhe in SPD vor Brandenburg-Wahl: „Frau Esken sollte als Parteichefin zurücktreten“
Artikel von Daniel Friedrich Sturm • 18 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Was passiert, wenn Dietmar Woidke als Ministerpräsident nicht weitermacht? Angespannt und nervös blickt die SPD auf interne Auseinandersetzungen nach dem Wahlsonntag.
Das parteiinterne Grummeln über die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken und Generalsekretär Kevin Kühnert könnte lauter werden
Niemand soll sagen, Olaf Scholz mache um Brandenburg einen Bogen. An diesem Freitag besucht der Wahl-Potsdamer Scholz das Filmmuseum Potsdam, eine regionale Weinschenke auf dem Wachtelberg, einen Elektromaschinenbauer in Werder und eine Backstube in Beelitz. Es folgt ein Termin im „energieautarken Dorf Feldheim“ und abends ein Bürgergespräch, zusammen mit einem SPD-Landtagsabgeordneten. Scholz reist aber nicht als Regierungschef durch die Mark, sondern „als direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis 61 im Rahmen seiner diesjährigen Sommerreise“, wie sein Büro mitteilt.
Mangelnden Einsatz vor der Landtagswahl an diesem Sonntag will sich Scholz nicht vorwerfen lassen, und das, obwohl Ministerpräsident Dietmar Woidke gemeinsame Wahlkampf-Auftritte mit dem unbeliebten Kanzler abgelehnt hat. Besorgt blicken die Sozialdemokraten auf den Wahlausgang im einzigen ostdeutschen Bundesland, in dem sie seit 1990 den Ministerpräsidenten stellen. Woidke hat sich selbst eine hohe Hürde aufgebaut, will nur weiterregieren, sofern die SPD am Sonntagabend auf Platz eins landet. In sämtlichen Umfragen liegt, Stand Donnerstagnachmittag, die AfD vorn.
Mit seinem All-in-Einsatz setzt Woidke die eigene Bundespartei indirekt unter Druck. Messlatte für den Wahlabend ist seither nicht mehr die Frage, ob die SPD weiter den Ministerpräsidenten beanspruchen kann, sondern ob Woidke Regierungschef bleiben wird. „Wenn Woidke geht, ist das eine Niederlage“, heißt es in SPD-Führungskreisen: „Es wird dann einen großen Druck geben.“ In der SPD könnte dann die öffentlich bisher leise Debatte über die Zukunft von Kanzler Scholz, seine Eignung als Kanzlerkandidat und eine Nominierung von Verteidigungsminister Boris Pistorius für das mächtigste politische Amt an Fahrt gewinnen.
Europawahl-Schlappe wurde nie aufgearbeitet
Das parteiinterne Grummeln über die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken und Generalsekretär Kevin Kühnert könnte lauter werden. In der SPD gibt es Unmut, dass das miserable 13,9-Prozent-Ergebnis bei der Europawahl im Juni nicht aufgearbeitet worden ist. Die recht gelassene Reaktion von Scholz und der Parteiführung auf die Wahlniederlagen in Sachsen und Thüringen vor gut zwei Wochen passt für etliche Sozialdemokraten da nur allzu gut ins Bild.
Mancher Sozialdemokrat, der sich über den Kanzler, die Partei- oder Fraktionsführung ärgert, wahrt mit Rücksicht auf die Wahlkämpfer in Brandenburg Disziplin. Mit dem Wahl-Sonntag könnte diese selbst verordnete relative Ruhe enden. Die SPD liegt in bundesweiten Umfragen bei 14 bis 16 Prozent, bei der Wahl 2021 hatte sie 25,7 Prozent geholt. Während Scholz beansprucht, Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl am 28. September 2025 zu werden, äußern sich andere SPD-Politiker zurückhaltender. Ex-SPD-Chef Franz Müntefering sagte kürzlich dem Tagesspiegel, diese Frage werde die Partei 2025 beantworten: „Irgendwann 2025 beschließt der Parteitag: Wir machen das in folgender Konstellation. So lange muss man warten, so lange ist die K-Frage offen.“
Unmut über Saskia Esken
Die miese Stimmung zur Ampel, die desolaten Umfragewerte und die geringe Zustimmung für Scholz hat bisher keine fundamentale, öffentliche Kritik von Sozialdemokraten am Kanzler hervorgebracht. Ob sich das mit dem Brandenburger Wahlabend ändern wird? Vernehmbarer ist hingegen Unmut über die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken. Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange (SPD) hatte via „Bild“ ein „Talkshow-Verbot“ für Esken verlangt.
Rückendeckung für Klingbeil, Kritik an Esken – das entwickelt sich zu einem Muster. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) etwa argumentierte jüngst entsprechend, und forderte Esken zu einem Verzicht auf ihr Amt auf. „Saskia Esken mag Verdienste in der Vergangenheit haben, aber ihre skurrilen Auftritte häufen sich. Wer im Fernsehen sagt, aus dem tödlichen IS-Anschlag in Solingen lasse sich nichts lernen, darf nicht länger an der Spitze der SPD stehen“, sagte er vor wenigen Tagen dem Tagesspiegel.
„Kritik prallt an Esken ab“
Die Kritik an Esken dürfte nicht nur auf ihrem persönlichen Agieren beruhen, sondern auch auf dem Unbehagen über das Dauertief der SPD. Pragmatischen, regierungsaffinen Sozialdemokraten erscheint Esken – anders als ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil – als jemand, der enthoben und mit Polit-Stanzen linke Programmatik predigt. Esken gehört dem linken Flügel an und entstammt der oppositionsgeprägten SPD-Diaspora Baden-Württemberg. „Saskia Esken ist wenig sensibel“, sagt ein SPD-Abgeordneter: „Kritik prallt an ihr ab.“ Freilich sei Esken bis 2025 gewählt.
Die Autorität der SPD-Co-Vorsitzenden schwindet erkennbar. Mit dem Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung fordert derweil ein weiterer erfolgreicher SPD-Kommunalpolitiker einen Rücktritt Eskens. Klingbeil gut, Esken schlecht – auch Jung argumentiert so.
Klingbeil sei „eloquent und glaubwürdig“, gelte an der SPD-Basis als bodenständig und sympathisch. „Jeder Auftritt von Klingbeil hilft der SPD“, sagte Jung dem Tagesspiegel.
„Bei Frau Esken ist es leider umgekehrt. Sie kommt verbittert und selbstgefällig rüber. Jeder Auftritt von Esken schadet der SPD“, sagte Jung, der seit 2002 Fürth regiert, und damit der am längsten amtierende Großstadt-OB ist. Im April 2020 war Jung mit 73 Prozent im Amt bestätigt worden. „Frau Esken sollte als SPD-Vorsitzende zurücktreten“, sagt Sozialdemokrat Jung: „Damit würde sie weiteren Schaden von der SPD abwenden.“