Wednesday, September 25, 2024
Rücktritt des Grünen-Vorstands: Der Preis für Habecks machtpolitischen Durchmarsch ist hoch
Tagesspiegel
Rücktritt des Grünen-Vorstands: Der Preis für Habecks machtpolitischen Durchmarsch ist hoch
Artikel von Daniel Friedrich Sturm • 11 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Der Amtsverzicht der Grünen-Spitze ist nicht allein auf die jüngsten Wahlschlappen zurückzuführen. Er fußt vielmehr auf Robert Habecks Versuch, sich Beinfreiheit in der Partei zu sichern.
Wer den Rücktritt des Grünen-Bundesvorstandes als konsequenten Schritt nach diversen neuerlichen Wahlniederlagen würdigt, greift zu kurz. Nein, der Amtsverzicht von Ricarda Lang, Omid Nouripour und Co. fußt nicht allein auf dem Scheitern der Partei bei der brandenburgischen oder thüringischen Landtagswahl.
Diese Wahlschlappen, zuvor schon jene in Berlin, Hessen und bei der Europawahl, dazu die miserablen Umfragewerte, sind nur ein Grund für den Kollektiv-Rücktritt.
Noch viel mehr fußt der Rücktritt der Grünen-Spitze auf dem Versuch eines machtpolitischen Durchmarsches ihres designierten Kanzlerkandidaten Robert Habeck. Der Wirtschaftsminister wollte Franziska Brantner, seine Vertraute und Parlamentarische Staatssekretärin, als Wahlkampfmanagerin in der Grünen-Zentrale verankern. Das muss die glücklose Bundesgeschäftsführerin Emily Büning als Attacke aufgefasst haben und das Grünen-Spitzenduo als Affront.
Dass Brantner auf Habecks Wunsch nun für den Co-Vorsitz kandidieren soll, ist da nur konsequent. Habeck will sich seine Beinfreiheit sichern. Ob ihm das gelingt? Vorstandswahlen bei den Grünen bergen oft Eruptionen und Überraschungen. Sollte die Wahl seiner Favoritin Brantner an die Parteispitze scheitern, kann Habeck seine Kanzlerkandidatur sogleich an den Nagel hängen.
Nouripour und Lang: Grünen-Spitze tritt zurück
Souverän beginnt Habecks Bewerbung um das Kanzleramt nicht
Bei Habecks Kampf um die innerparteiliche Beinfreiheit schwingt Panik mit. Das ist verständlich angesichts der erodierenden Zustimmung. Souverän indes beginnt die Bewerbung des Vizekanzlers um das Amt des Kanzlers damit nicht.
Die ganze Malaise lässt sich daran ablesen, dass Habeck bisher keinen geeigneten Tag gefunden hat, um seine Kandidatur offiziell zu erklären. Ob er das noch vor der Bundestagswahl am 28. September 2025 zu organisieren vermag?
Gewiss, Ricarda Lang und Omid Nouripour haben Fehler gemacht und mit ihnen die gesamte Partei. Sie haben die Sorge vieler Menschen vor Veränderungen, etwa durch Migration oder Energiepolitik, heruntergespielt. Ihnen fehlte der Bezug zu Problemen, Sorgen, Nöten vieler Menschen. Das ging einher mit einem schwer erträglichen Predigerton.
Handwerkliche Mängel (Habecks Heizungsgesetz!), gepaart mit einem belehrenden Politikstil – das hat viele einstige Grünen-Wählerinnen und Wähler verprellt, das hat Vertrauen zerstört, das wichtigste Kapital in der demokratischen Politik.
Ricarda Lang und Omid Nouripour waren und sind dabei Zielscheiben maßloser Attacken, verbalen Drecks und Drohungen, Lang außerdem einer erheblichen Frauenfeindlichkeit. Das ist beschämend, und man kann Lang nur Respekt zollen, wie souverän sie diese Attacken durchgestanden hat. Es wäre schade, zöge sich diese „blitzgescheite“ Frau (Wolfgang Schäuble) von der politischen Bühne zurück.
In der Außen- und Verteidigungspolitik haben die Grünen seit Russlands Krieg gegen die Ukraine konsequent umgesteuert wie keine andere deutsche Partei. Sie folgen damit ihrer Fortschritts-Philosophie, die eigene Politik zu überprüfen, zu ändern, sofern sich die Gegebenheiten ändern.
Je stärker die Grünen-Umfragewerte purzeln, desto größer wird ein Glaubwürdigkeitsproblem: Mit wem wollen die Grünen eigentlich regieren?
Daniel Friedrich Sturm
Dass die Grünen klar an der Seite der Ukraine stehen und hier nicht wackeln, ist übrigens eine bedeutende Quelle des maßlosen Hasses auf die Grünen, angefacht und befeuert von AfD und Wagenknecht-Partei.
Deutschland hätte es gutgetan, hätten die Grünen auch bei Atomkraft, Bürgergeld und irregulärer Einwanderung ähnlich klug umgesteuert wie in der Außenpolitik. Mit maternalistischer Verteilungspolitik und naiver Innenpolitik blieben sie fast unbeweglich in einer Phase der Bewegung.
Kanzlerkandidat Habeck versucht sich gegensätzlich zu inszenieren, mit Pragmatismus pur, als moderner, jüngerer Winfried Kretschmann. Habeck ist ein guter Erklärer, er kann in langen Linien argumentieren. Damit aber wird es bei der Wahl 2025 nicht getan sein. Habecks Wirtschafts-Inkompetenz wird den Wahlkampf belasten.
Je stärker die Grünen-Umfragewerte purzeln, desto größer wird ein Glaubwürdigkeitsproblem: Mit wem wollen die Grünen eigentlich regieren? Bei der Grünen-Kanzlerkandidatur geht es, Stand jetzt, nicht darum, die Kanzlerschaft zu erobern, sondern darum, Stimmen zu maximieren.