Monday, September 16, 2024

„Dafür schafft niemand ein E-Fahrzeug an“ – Die schweren Vorwürfe ans Umweltministerium

WELT „Dafür schafft niemand ein E-Fahrzeug an“ – Die schweren Vorwürfe ans Umweltministerium Artikel von Daniel Wetzel • 1Wo. • 3 Minuten Lesezeit Der Betrug mit vorgetäuschten Klimaprojekten hat der E-Auto-Branche einen immensen Schaden beschert. Das jedenfalls hat ein neues Bündnis nun vorgerechnet. Die Schuld sehen die Initiatoren beim Umweltministerium von Steffi Lemke, das den Skandal „auch noch schönzureden“ versuche. Die Nachfrage nach Elektroautos ist eingebrochen, die Stimmung in der Autoindustrie ist im Keller, bei Volkswagen drohen erstmals Werkschließungen: Eine neu gegründete Initiative der Biokraftstoff- und E-Auto-Branche wirft dem grün geführten Bundesumweltministerium jetzt zumindest in Teilen eine Mitschuld vor. Die Beamten von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) in Ministerium und Umweltbundesamt (UBA) hätten dem fortgesetzten Betrug mit gepanschten Biodiesel-Importen aus China und dort vorgetäuschten Klimaprojekten zu lange tatenlos zugesehen und täten weiterhin zu wenig, um die Missstände abzustellen, kritisierte die in Berlin gegründete Brancheninitiative „Klimabetrug Stoppen“ (IKS). Zu der Gruppen haben sich 40 Unternehmen aus den Branchen Elektromobilität und Biokraftstoffindustrie zusammengeschlossen. Zehn Branchenverbände schlossen sich der IKS ebenfalls an. Die Initiative sieht in dem Betrug eine Ursache für den Preisverfall für sogenannte Treibhausgas-Quoten (THG-Quoten). THG-Quoten verpflichten Mineralölunternehmen, Geld für CO₂-Sparmaßnahmen, Elektromobilität und saubere Kraftstoffe auszugeben. Die Abgaben, deren Kosten an der Tankstelle auf die nichtelektrischen Autofahrer abgewälzt werden, gelten als wichtigstes Klimaschutzinstrument im Verkehrssektor. Durch Fake-Biosprit aus China und gefälschte Klimazertifikate ist der Wert der THG-Quotenzertifikate in wenigen Monaten um mehr als 80 Prozent eingebrochen. Folge: Dutzende Investitionsprojekte in die E-Mobilitäts-, Wasserstoff- und Biokraftstoffindustrie in Deutschland wurden dadurch bereits gestoppt, stellten die Sprecher der IKS fest. So konnten Besitzer von Elektroautos noch 2022 rund 400 Euro durch den Verkauf ihres Quotenbeitrags einstreichen. Heute seien es nur noch 80 Euro im Jahr. Stadtwerke erhielten über die THG-Quote kürzlich noch 16.000 Euro Prämie bei Anschaffung eines Elektrobusses, heute seien es noch maximal 3000 Euro. „Dafür schafft sich niemand mehr ein E-Fahrzeug an“, sagte Marc Schubert vom Bundesverband THG-Quote: „Der Preiskollaps macht Maßnahmen wie den Ausbau der Elektro-Ladeinfrastruktur, die Förderung grünen Wasserstoffs oder die Beimischung von fortschrittlichen Biokraftstoffen weniger attraktiv und gefährdet die Branche für erneuerbare Antriebe in Deutschland – und damit die Erfüllung der Klimaschutzziele.“ Die IKS-Gründer, darunter der Biokraftstoff-Hersteller Verbio und das Hauptstadtbüro Bioenergie rechnen vor, dass es durch den Verfall der Quotenpreise einen Kapitalabfluss von 4,4 Milliarden Euro in Richtung fossile Industrie gegeben habe. Zusätzlich seien dem Staat 1,3 Milliarden Euro Steuern entgangen. Der Schaden durch den Klimabetrug liege ein Vielfaches über dem des prominenten Wirecard-Skandals, der „nur“ mit einem Schaden von 1,9 Milliarden Euro zu Buche schlug. Durch das „Betrugsgeflecht“ um gefälschte chinesische Zertifikate seien 8,8 Millionen Tonnen CO₂-Minderung bezahlt, aber de facto nicht erbracht worden. Umweltministerium kann Schaden „nicht abschätzen“ Das Bundesumweltministerium hält die Angaben für übertrieben. „Die an verschiedenen Orten genannten Euro-Summen können wir nicht bestätigen und nicht nachvollziehen“, heißt es auf der Website des Ministeriums. Noch wisse man nicht „wie viele Projekte überhaupt falsch zertifiziert wurden – daher ist auch der entstandene Schaden nicht abzuschätzen“. Zudem behauptet das Ministerium, dass selbst gefälschte THG-Zertifikate „den Sprit“ an der Tankstelle „billiger und nicht teurer“ machten. Sandra Rostek, Leiterin des Hauptstadtbüros Bioenergie, nannte die Argumentation des Ministeriums „vollkommen abwegig“. Es sei „ein Unding des Ministeriums gegenüber allen redlichen Marktakteuren, betrügerische Handlungen so auch noch schönzureden“, sagte Rostek: „Die Zeche steht zudem noch aus, denn es ist doch wohl klar, dass der entgangene Klimaschutz nachgeholt werden muss.“ Das Umweltministerium verweist darauf, die Anrechnung von UER-Projekten sei neun Monate nach dem Bekanntwerden erster Verdachtsfälle zum 1. Juli des Folgejahres „unverzüglich beendet“ worden. Nun werde „geprüft, wie die THG-Quote zielführend angepasst und die Betrugsprävention verbessert werden kann“. Die Brancheninitiative zweifelt jedoch am Aufklärungswillen. Zu zwei angeblichen Klimaschutzprojekten in China, die 1800 Kilometer voneinander entfernt lagen, seien identische Formulare eingereicht worden – ohne, dass dies aufgefallen wäre. Betreiber längst bestehender Anlagen hätten sich den Betrieb mit dem Geld aus Deutschland „ein weiteres Mal vergolden lassen“, erklärte Rostek. Zumindest, dass ein Projektbeteiligter auch „als Betreiber einer Karaoke-Bar in NRW firmiert, hätte das Umweltbundesamt ja mal zu Nachfragen veranlassen können“. Nach Recherchen der Branche seien 68 von 69 Projekten fragwürdig, und nicht nur „einige wenige“, wie das Ministerium kommuniziere. Unterdessen wurde bekannt, dass der Ölkonzern Rosneft Deutschland als bislang einziges Unternehmen auf die Verrechnung von zwei zweifelhaften Projekten zu „Upstream Emission Reductions“ (UER) verzichtet. Dem Vernehmen nach ist damit bei einem Quotenpreis von 100 Euro ein Schaden von 55 Millionen Euro verbunden. Rosneft Deutschland ist Eigentum des russischen Energiemultis Rosneft, wird aber von der Bundesnetzagentur treuhänderisch verwaltet. Daniel Wetzel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet über Energiewirtschaft, Energiepolitik, Klimapolitik und Tourismuswirtschaft.