Tuesday, September 24, 2024
Chinas hohe Jugendarbeitslosigkeit wird auch für Deutschland zum Problem
Merkur
Chinas hohe Jugendarbeitslosigkeit wird auch für Deutschland zum Problem
Artikel von Sven Hauberg • 14 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Fast jeder Fünfte ohne Job
Menschen bei einer Jobmesse an einer Universität in Peking
Fast jeder fünfte junge Mensch in China hat keinen Job. Experten sind sich sicher: Die wirtschaftliche Misere wirkt sich längst auch auf andere Länder aus.
Die Auswirkungen der chinesischen Wirtschaftskrise lassen sich an vielen Orten besichtigen. An den Rändern der großen Städte etwa, wo sich die Betonskelette von Wohnhochhäusern aneinanderreihen, die wohl niemals fertiggestellt werden. Oder in den Dörfern, in die sich viele junge Menschen zu ihren Eltern zurückgezogen haben, weil sie trotz Studium keine Hoffnung haben auf einen guten Job in der Stadt. Im vergangenen Jahr ist ein weiterer, unwahrscheinlicher Ort hinzugekommen, der sehr weit weg ist von China: die Südgrenze der USA.
Rund 37.000 Chinesen wurden dort 2023 von den US-Grenzbeamten aufgegriffen, fast zehnmal so viele wie im Jahr zuvor. Zwar machen Migranten aus China nur einen Bruchteil der insgesamt 2,5 Millionen Menschen aus, die 2023 versucht haben, illegal von Mexiko in die USA einzureisen. Aber ihre Zahl wächst schneller als die aller anderen Gruppen von Einwanderern. Manche fliehen vor staatlicher Verfolgung, andere träumen den „American Dream“ – viele wollen der zunehmenden Hoffnungslosigkeit entkommen, die sich in Teilen Chinas breitgemacht hat.
Es seien „vor allem wirtschaftliche Gründe“, die die Menschen aus China nach Amerika treiben, glaubt Maximilian Butek von der Deutschen Handelskammer in Shanghai. Gerade junge Menschen würden in der Volksrepublik keine Zukunft mehr sehen, sagte Butek vor Kurzem auf einer Veranstaltung des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW).
Jugendarbeitslosigkeit in China: „Es gibt einfach nicht genug Jobs für all die jungen Leute, die nachkommen“
Ablesen lässt sich das zum Beispiel an den Statistiken zur Jugendarbeitslosigkeit in China. Im Juni vergangenen Jahres waren 21,3 Prozent der 16- bis 24-Jährigen ohne Job, mehr als jeder Fünfte also, ein trauriger Rekord. Gezählt wurden dabei nur Menschen in städtischen Gebieten, auf dem Land dürfte die Jugendarbeitslosigkeit Experten zufolge fast doppelt so hoch sein. Weil Legionen an arbeitslosen Jugendlichen nicht hineinpassen ins Narrativ von einem boomenden China, das die Kommunistische Partei unter Staatschef Xi Jinping so gerne erzählt, setzten die Behörden die Veröffentlichung der Statistik kurzerhand aus. Neue Zahlen kamen erst im Dezember, nun wurden Studenten nicht mehr mitgerechnet. Geholfen hat das Drehen an der Statistik nur wenig: In diesem August waren 18,8 Prozent der jungen Leute in China ohne Arbeit, nach 17,1 Prozent im Juli.
„Es gibt einfach nicht genug Jobs für all die jungen Leute, die nachkommen“, sagte Nicole Goldin von der US-Denkfabrik Atlantic Council auf der IfW-Veranstaltung. Alleine in diesem Jahr drängen knapp zwölf Millionen Uni-Absolventen auf den Arbeitsmarkt. Dort treffen sie auf eine Wirtschaft, die lange nicht mehr so schnell wächst wie noch vor ein paar Jahren. Im zweiten Quartal 2024 lag das Wachstum bei nur 4,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, zu wenig für ein Land, das noch viele Millionen Menschen aus der Armut holen will.
Die zweistelligen Wachstumsraten aus den Neunzigern und Nullerjahren dürfte China nach Ansicht der meisten Analysten nie wieder erreichen. Die Experten des Internationalen Währungsfonds (IMF) etwa gehen davon aus, dass sich das Wachstum bis 2029 auf 3,3 Prozent verlangsamen wird. Gründe dafür seien die wohl noch über Jahre schwelende Krise im Immobiliensektor, an dem verschiedenen Schätzungen zufolge 20 bis 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung hängen; zudem eine zurückgehende Produktivität und die Überalterung der Gesellschaft: Während die Lebenserwartung in China seit Jahren steigt, bringt jede Frau im Laufe ihres Lebens im Schnitt nur noch ein Kind zur Welt. Die Gesellschaft übe deswegen großen Druck auf Frauen aus, mehr Kinder zu bekommen, sagt Expertin Goldin. Das wiederum führe dazu, dass viele Unternehmen sich weigerten, junge Frauen anzustellen. Sie seien also ganz besonders von Arbeitslosigkeit betroffen.
Der Konsum in China schwächelt
Goldin befürchtet, dass China seine Probleme bald exportieren könnte. Etwa nach Afrika, wo Peking im Rahmen seines globalen Infrastrukturprogramms „Neue Seidenstraße“ Eisenbahnen, Straßen und Flughäfen baut – schon jetzt oftmals vor allem mit aus China eingeflogenen Arbeitern statt mit lokalen Kräften. In Zukunft, so Goldin, könnten noch mehr Chinesen in afrikanische Länder geschickt werden, zum Nachteil der dort einheimischen Bevölkerung.
Für Chinas Regierung habe die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit „oberste Priorität“, erklärte Staats- und Parteichef Xi Jinping im Mai. Maximilian Butek von der Handelskammer in Shanghai glaubt jedoch nicht, dass die Initiativen der chinesischen Regierung in die richtige Richtung gehen. Er verweist darauf, dass Xi die Lage noch verschlimmert habe, als er vor zwei Jahren ganze Wirtschaftszweige wie die Gaming-Industrie stärker regulieren ließ. Auch der neue Fokus auf Hightech-Industrien helfe nur bedingt. Denn zunehmende Automatisierung koste weitere Jobs.
Ein weiteres Problem: Wer keinen Job hat, kauft weniger. Und weil vor allem junge Menschen gerne Geld ausgeben, schlägt sich die hohe Jugendarbeitslosigkeit auf den Konsum in China nieder, die Umsätze im Einzelhandel gehen zurück. Der generelle Konsumrückgang zeigt sich mittlerweile auch in der chinesischen Außenhandelsstatistik. So stiegen die Ausfuhren des Landes im August zwar um 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, was auf eine generelle Belebung der Wirtschaft schließen lässt. Die Importe hingegen stiegen nur um 0,5 Prozent und damit deutlich weniger stark als von Experten erwartet. Offenbar schwächelt die Nachfrage nach Waren aus dem Ausland.
Zu spüren bekommt das auch Deutschland. Im vergangenen Jahr sanken die chinesischen Importe aus der Bundesrepublik um knapp zehn Prozent, und erste Daten deuten darauf hin, dass sich der Rückgang in diesem Jahr noch beschleunigen wird. Für die Export-Republik Deutschland sind das keine guten Nachrichten.