Sunday, August 11, 2024
Olympia: Der Sound von Paris 2024? Er hat ihn geschrieben
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Olympia: Der Sound von Paris 2024? Er hat ihn geschrieben
Von Oliver Meiler • 2 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Bereits als Kind hat Thomas Jolly, 42, sein Faible fürs Theater ausgelebt.
Regisseur Thomas Jolly aus Rouen kann Langeweile nicht ausstehen. Es konnte also kaum einen Besseren geben, das Eröffnungs- und das Schlussspektakel der Spiele zu inszenieren.
Der Sound von Paris 2024? Er hat ihn geschrieben
Normalerweise, so sagte Thomas Jolly neulich der französischen Zeitung Libération, langweile er sich bei allem nach anderthalb Minuten. Und das ist ein Glück. Vielleicht nicht für ihn selbst, aber für sein Publikum. Es soll sich möglichst nicht langweilen.
Jolly, 42 Jahre alt, ist der Regisseur aller vier Großzeremonien der Sommerspiele von Paris, der Eröffnungs- und Schlussfeiern. Fertig ist sein Auftrag also erst mit dem Ausklang der Paralympischen Spiele im September. Doch seinen Ton hat er schon lange gesetzt, mit der Eröffnungsfeier auf der Seine am 26. Juli: viereinhalb Stunden und keine Minute Langeweile. Der Sound aus dieser Feier wird noch lange nachhallen, es ist der Sound der Stadt Paris in unserer gequälten Zeit: modern, weltoffen, inklusiv. Hat man das schon einmal so erlebt, mit dieser Wucht und Präzision?
Über Geschmack lässt sich natürlich immer diskutieren, über künstlerische Entscheide, Kostüme, Szenen, Dramaturgie, und das passierte in diesem Fall nicht zu knapp. Die extreme Rechte und die katholische Kirche echauffierten sich dermaßen über eine Szene, die sie für eine schreckliche Parodie auf Leonardo da Vincis Gemälde „Das letzte Abendmahl“ hielten, dass Jolly danach Todesdrohungen bekam. Ein stämmiger Mann mit rotem Bart beschützt ihn seither. Ein Jammer. Doch eine große Mehrheit der Franzosen ist stolz darauf, wie Jolly sie porträtiert hat. 86 Prozent Zustimmung!
Ihn interessiert nur das Theater, das auch das ganze Volk versteht
Jolly kam in einem Dorf bei Rouen im Norden Frankreichs auf die Welt. Der Vater war Drucker, die Mutter Krankenpflegerin. Man ging nur selten ins Theater, das war eine andere Welt. Der kleine Thomas aber führte der Familie schon als Kind kleine Spektakel auf, spielte dazu Opernmusik vom Band, kostümierte sich. Die Großmutter half dabei, sie soll mal davon geträumt haben, Schauspielerin zu werden.
Mit elf ging er in eine Theatergruppe für Kinder in einer Banlieue von Rouen, das war nun seine Welt. Er studierte Theater, gründete die Gruppe „La Piccola Familia“, tourte mit ihr durch Frankreich. Er spielte selbst und inszenierte andere, die Rolle des Regisseurs lag ihm aber mehr. Jolly sagt oft, er mache Volkstheater, weil ihn nur Theater interessiere, das auch das ganze Volk verstehe.
Bekannt wurde er 2014 mit einer verrückt ambitionierten und couragierten Inszenierung von Shakespeares „Henry VI.“ auf dem Festival von Avignon: 18 Stunden lang dauerte die Aufführung, in 15 Akten, mit 150 Rollen. Gigantisch sollen die Werke sein, auch seine Musikkomödie „Starmania“ lebt von Exuberanz. Die Kritik war aber nicht immer sanft zu ihm, dafür mixte er die Genres wohl zu wild, brach zu oft Konventionen, spielte etwa mit Lasern, wo Laser vermeintlich nichts zu suchen haben. Jolly liebt Videospiele und Fernsehserien, er baut ihre Tempi in seine Shows ein.
Es ließ sich nicht alles umsetzen, aber er genoss: absolute Freiheit
Die Idee von der Ouvertüre auf dem Fluss war nicht seine, die hatte der Zeremonienmeister. Der holte ihn als Regisseur, damit er sie umsetzte – wen, wenn nicht ihn? 2022 war das. Ein Jahr später stand das Script für die ganze Erzählung der Feier, an der auch ein Historiker und eine Schriftstellerin mitgeschrieben hatten. Eine Erzählung, die zur Seele von Paris passen sollte, zu seiner Diversität, seiner Resilienz, zu den Palästen und Monumenten an der Seine.
Nicht alles war machbar. Jolly hätte auch gerne einen umgekehrten Eiffelturm gewollt, der dann eine Rolle gespielt hätte bei der Entzündung der olympischen Flamme. Ging nicht, war zu kühn. Auch auf den Brücken war nicht alles möglich, wegen der Statik. Sonst aber gaben der Staatspräsident, die Bürgermeisterin von Paris und der Präsident des Olympischen Organisationskomitees dem künstlerischen Leiter Carte blanche, totale Freiheit.
Und das spürte man. Es ist dieser Geist der Freiheit, der den Spielen von Paris 2024 vorauswehte und wohl noch eine ganze Weile hinterherwehen wird. Wie ein passender Sound.