Thursday, August 29, 2024
Kein Geld mehr für ausreisepflichtige Flüchtlinge: Die deutsche Bundesregierung verhandelt über Asylverschärfungen
Neue Zürcher Zeitung Deutschland
Kein Geld mehr für ausreisepflichtige Flüchtlinge: Die deutsche Bundesregierung verhandelt über Asylverschärfungen
Artikel von Susann Kreutzmann, Berlin • 3 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Nach dem islamistischen Anschlag in Solingen mit drei Toten steigt der politische Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz. Jetzt will die Bundesregierung laut einem Medienbericht ein umfassendes Massnahmenpaket vorlegen. Dabei sollen Asylbewerbern die Leistungen massiv gekürzt, Hürden für Ausschaffungen gesenkt werden. Der Bundeskanzler will einen Gipfel einberufen, um zusammen mit Vertretern der Opposition und der Bundesländer über die Verschärfungen zu beraten.
Laut der «Bild»-Zeitung sollen jenen Asylbewerbern, die in ein anderes EU-Land eingereist und dort gemäss dem Dublin-Abkommen registriert wurden, die Leistungen deutlich gekürzt werden. Geplant sei, ihnen nur noch die nötigsten Sachleistungen wie Verpflegung, einen Schlafplatz und Drogerie-Artikel zur Verfügung zu stellen. Sie sollen kein Bargeld und auch keine Bezahlkarte erhalten. Zudem sollen Abschiebungen schneller durchgeführt und die Hürden für Ausschaffungen gesenkt werden.
Verschärfungen beim Waffenrecht hatte die deutsche Bundesregierung bereits angekündigt. Verstösse dagegen sollten künftig als Grund für eine Ausschaffung ausreichen. Über die Massnahmen verhandeln demnach das SPD-geführte Innenministerium, das grüne Wirtschaftsministerium und das FDP-geführte Justizministerium. Bundesinnenministerin Nancy Faeser will laut der «Bild»-Zeitung Anfang nächster Woche zu einem Asyl-Gipfel einladen.
Lindner verlangt «null Euro» für Dublin-Flüchtlinge
Der FDP-Chef Christian Lindner plädierte dafür, dass ausreisepflichtigen Asylbewerbern gar keine Sozialleistungen mehr gewährt werden. Es gebe kein Recht von Asylbewerbern im Dublin-Prozess, sich ihren Standort in Europa auszusuchen, sagte Lindner in der ARD. Für diese Asylbewerber sollte es «null Euro» vom deutschen Steuerzahler geben. Lediglich die Reisekosten in das zuständige EU-Land sollten noch übernommen werden, sagte der Finanzminister. Lindner verlangte auch eine Verschärfung des Ausländerrechts. So müssten Asylbewerber nach einem Urlaub in ihrem Heimatland das Aufenthaltsrecht verlieren.
Der Oppositionsführer Friedrich Merz hatte bereits ähnliche Forderungen aufgestellt und die Zusammenarbeit der Union bei Änderungen der Asylgesetze angeboten. Auch er sprach sich für die Einhaltung der Dublin-Verordnung aus. Migranten, die bereits einen Asylantrag in einem anderen EU-Land gestellt hätten, sollten dann an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden.
«Wenn das EU-Recht das nicht zulässt, haben wir die Pflicht, eine nationale Notlage zu erklären», sagte Merz. Dann sei das nationale Recht der Bundesrepublik Deutschland wichtiger als das europäische Recht. Merz will vor allem Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan zurückweisen, dies seien die problematischsten Gruppen.
Grüne werfen Faeser veraltete Sicherheitspolitik vor
Nach Medieninformationen sind auch die Grünen für Beratungen über einen Kurswechsel in der Asylpolitik offen. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, und Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic verlangten in einem Positionspapier eine «Zeitenwende im Inneren», wie die ARD berichtet. Bund und Länder müssten ihre Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen grundlegend neu ausrichten. Investitionen in die Sicherheit und die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats wurden nach ihrem Eindruck «sträflich vernachlässigt».
Bundesinnenministerin Faeser werfen sie eine «in weiten Teilen veraltete Sicherheitspolitik» vor. Sie sprechen sich für konsequente Ausschaffungen von ausländischen Gefährdern aus und zeigen sich offen für ein schärferes Waffenrecht. Stationäre Grenzkontrollen sehen die Grünen kritisch, sie schlagen aber mobile Binnengrenzkontrollen vor.
Der mutmassliche Attentäter von Solingen sollte im vergangenen Jahr eigentlich von den nordrhein-westfälischen Behörden nach Bulgarien abgeschoben werden, weil er dort als Asylbewerber registriert war. Der Syrer wurde aber in seiner Unterkunft nicht angetroffen, danach gab es keinen weiteren Versuch der Ausschaffung. Später wurde ihm dann subsidiärer Schutz und damit ein Aufenthaltsrecht in Deutschland gewährt.
Bei einem Stadtfest in Solingen tötete der 26-Jährige am Freitag drei Menschen, acht weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Der mutmassliche Täter ist in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Mordes und wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat.