Thursday, August 10, 2023

"Das Ausscheiden ist nicht zufällig geschehen": Was Schweers jetzt vom DFB fordert

"Das Ausscheiden ist nicht zufällig geschehen": Was Schweers jetzt vom DFB fordert 24 Min. Ex-Nationalspielerin Verena Schweers beschreibt in ihrer vierten WM-Kolumne die Gründe aus ihrer Sicht für das deutsche Debakel. Für die vorzeitige Verlängerung mit der Bundestrainerin sieht sie rückblickend keinen konkreten Anlass. Sie ist nun gefordert: Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (re.) braucht eine klare Aufarbeitung. WM-Kolumne der Ex-Nationalspielerin Der Schock über das Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der WM in Australien und Neuseeland sitzt immer noch tief. Auch eine Woche nach der Blamage gegen Südkorea bin ich enttäuscht und frage mich, wie es dazu kommen konnte. Jetzt darf kein Blatt mehr vor den Mund genommen werden. Ich fordere keine personellen Veränderungen auf den wichtigsten Positionen, aber ich erhoffe mir fortan eine klarere Strategie und eine erheblich höhere Konstanz. Denn das Ausscheiden ist in seiner Entstehung ja eben kein Betriebsunfall oder gerade zufällig geschehen. Es ist die fehlende Entwicklung, die seit längerem zu beobachten ist. Wer sich die Spiele der vergangenen zwei, drei Jahre anschaut, der weiß, was ich meine. Das Team entwickelt sich spielerisch nicht konstant weiter, obwohl es alles mitbringt. Denn ja, es gab die herausragende EM in England mit einer völlig losgelösten Mannschaft, die es verdient gehabt hätte, den Titel zu gewinnen. Sie war im letzten Sommer eine der beiden besten Mannschaften Europas. Aber zur Wahrheit gehört auch: Das war sie vor der EM nicht und nach der EM nicht mehr. Die defensiven Außenbahnen sind unsere große Schwachstelle Die Vorbereitung auf das Kräftemessen in Down Under lief mehr als holprig ab. Jeder konnte spüren, dass sich dieser überstrapazierte "Flow" nicht einstellen wollte. Verletzungssorgen machten das Unterfangen dann kompliziert, aber ich würde auch diesen Fakt nicht als Ausrede gelten lassen. Gerade unsere europäischen Konkurrenten aus England und Frankreich kämpfen mit ähnlichen Verletzungssorgen, stehen aber im Viertelfinale. Plötzlich Verteidigerin? "Huth muss vorne rechts spielen" "Deutschland hat die Stürmerin mit dem weltweit besten Kopfballspiel" Wo ist sie hin, die deutsche Leichtigkeit? Der deutsche Turnierauftakt war vielversprechend, nicht spielerisch, aber vom Ergebnis. Was danach folgte, hatte leider wenig mit der Leichtigkeit, dem Spielwitz und dem Spaß aus dem Vorjahr zutun. Es war eher mutlos, ideenlos, oft auch kopflos. Aber es ist nahezu die gleiche Mannschaft in Australien aufgetreten, die uns letztes Jahr so begeistert hat. Woran könnte es also gelegen haben? Bei der WM 2019 in Frankreich stand ich selbst noch auf dem Platz, meine Position war immer hinten links. Ich weiß sehr genau, wie komplex es ist, die Außenbahnen zu bespielen, gerade in der heutigen Zeit. Es braucht Zeit, Vertrauen und Automatismen. Deutschland hat bei dieser WM auf beiden Außenbahnen nie zu der nötigen Sicherheit und Stabilität gefunden. Ich habe die Positionierung von Svenja Huth von Anfang an kritisch gesehen. Vor allem, weil uns Huth in der Offensive extrem gefehlt hat. Aber auch der Rest der Kette war durch die ständigen Wechsel und kleinen taktischen Veränderungen nie eingespielt. Das führt dann von hinten heraus zu einer Unsicherheit, die sich in die gesamte Mannschaft weiterträgt. Eindimensionaler Matchplan Ja, Deutschland hat Alex Popp: eine Leaderin, die auch in diesem Turnier jederzeit vorangegangen ist. Aber nur Flanken auf Popp, das ist in der Weltspitze zu wenig. Ich kenne Martina Voss-Tecklenburg gut, ich bin mir sicher, es wird nicht ihre einzige Idee gewesen sein. Aber die anderen Möglichkeiten, zum Beispiel das schnelle, variable Kombinationsspiel aus dem hochveranlagten Mittelfeld heraus, haben nie richtig funktioniert. Die Gründe sind zu eruieren, denn hier hat das Team ein wahnsinniges Potenzial, was zu selten auf dem Platz zu sehen ist. Auch in diesem Mannschaftsteil sind permanente Rochaden ein Ansatz für fehlende Automatismen. Die Spielerinnen sind aber auch zu wenig widerstandsfähig und scheinen ihren Qualitäten nicht immer zu vertrauen. Zu schwankend sind die Leistungen über einen längeren Zeitraum, zu unterschiedlich ihre Performance zwischen Klub- und Nationalmannschafts-Einsätzen. Lohmann fiel positiv auf, der Rest hat sich versteckt Die Erwartungshaltung hat sich fundamental geändert. Ich war als junge Spielerin bei der Heim-WM in Deutschland 2011 im Kader. Eventuell gibt es eine vergleichbare Ausgangslage der medialen Beachtung zwischen damals und diesem Mal. Heute haben wir aber ein nachhaltiges Interesse, es ist über mehrere Jahre gewachsen und nicht mehr künstlich herbeigeführt. Konkret bedeutet das für das Team und das Drumherum eine neue Aufmerksamkeit, aber auch einen ganz andere Erwartungsdruck. Es wird genau zugehört und hingeschaut. Wir erlebten es im Viertelfinale 2011 gegen Japan: Es gab keine Energie mehr im Team. Angst und Respekt vor dem Ausscheiden im eigenen Land lähmten unsere Mannschaft. Ähnliches habe ich beim Spiel gegen Südkorea wiedererkannt. Die Mannschaft hat sprichwörtlich gezittert, es gab kein kollektives Aufbäumen gegen diese Widerstände. Einzig Sydney Lohmann fiel in den letzten Minuten positiv auf. Der Rest hat sich versteckt und die Verantwortung weitergeschoben, so scheidet ein Team am Ende allerdings dann auch verdient aus. Für die vorzeitige Verlängerung mit "MVT" gab es keinen konkreten Anlass Ich habe mich nach der Vertragsverlängerung von Martina Voss-Tecklenburg und ihrem Trainerteam gefragt, ob es das richtige Zeichen ist und der richtige Zeitpunkt war. Wenn rückwirkend nur die EM betrachtet wird: ja. Wenn wir über Vertrauen für ein Trainerteam vor einem Turnier sprechen: auch ja. Aber hat es nach den nicht sehr überzeugenden Spielen in der Saison 2022/23 einen konkreten Anlass gegeben, die Verträge vorzeitig zu verlängern? Ich finde nicht. Und nicht falsch verstehen: Ich bin kein Freund davon, die Schuld jetzt allein dem Trainerteam in die Schuhe zu schieben. Es ist immer ein Mix aus Mannschaft, Trainerteam und Verantwortlichen. Ich habe die Hoffnung, dass nun der Scheitelpunkt der Ergebniskrise erreicht ist. Und dann wünsche ich mir, dass der DFB nun fokussiert und klar die nächsten Herausforderungen angeht - ohne Angst vor schwierigen, auch unpopulären Entscheidungen. Es gilt nun etwas gutzumachen Im Fußball geht es immer weiter, eine Floskel, die aber gerade so sehr guttut. Es ist auf den sozialen Kanälen der Spielerinnen zu lesen: Der Fokus geht bereits wieder auf das nächste Event: Das olympische Fußballturnier im nächsten Sommer wird bekanntermaßen in Paris ausgetragen. Es ist das erklärte Ziel und es muss unser Anspruch sein, dort als eine von drei Nationen aus Europa teilzunehmen. Der Weg führt über die schwierige Nations League, denn es werden nur zwei Startplätze vergeben. Eine riesige Herausforderung für das Team, aber es gilt jetzt, keine Ausreden mehr zu suchen, sondern Automatismen zu finden. Und, es gilt nun auch, etwas gutzumachen. Verena Schweers Verena Schweers hat in der Bundesliga für den SC Freiburg und die Top-Klubs VfL Wolfsburg und Bayern München gespielt. Unter anderem gewann sie je zweimal die Champions League und die deutsche Meisterschaft. Die Verteidigerin absolvierte zudem 47 Länderspiele für die DFB-Auswahl. Im Sommer 2020 beendete sie ihre aktive Laufbahn.