Friday, August 25, 2023

Am Rande der Irrelevanz in Bayern: Die SPD

WELT In Bayern liegen die Sozialdemokraten hinter vier anderen Parteien. Dennoch gibt sich die Partei um Spitzenkandidat Florian von Brunn im Landtagswahlkampf trotzig: „Die Marke ist SPD, das reicht.“ Es ist bei Weitem nicht nur diese Haltung, die den Schrumpfkurs beschleunigt. „Ich finde, dass ich viel mache“: Florian von Brunn, Chef der SPD Bayern und deren Spitzenkandidat für die Landtagswahl picture alliance/Panama Pictures/Dwi Anoraganingrum Der Nockherberg in München ist für viele Bayern beinahe ein „Heiliger Berg“ wie der, auf dem Kloster Andechs thront. Denn wer den höchsten Punkt erklimmt, was beim Nockherberg in wenigen Minuten geschafft ist, wird mit bestem bayerischem Bier belohnt. Für Politiker ist der biergartenbebaute Höhepunkt in der Landeshauptstadt allerdings mitunter ein gefährlicher Ort – und das nicht wegen des berühmten Starkbiers. Die Falltür, die sich für jeden Politiker dort ein Mal im Jahr öffnen kann, ist die Tradition, beim jährlichen Starkbieranstich „Derblecken“, also auf bayerische Art hoch- und auseinandergenommen zu werden. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) versicherte daher beim Bürgerdialog auf dem Nockherberg am Donnerstag sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch dem bayerischen SPD-Chef und -Spitzenkandidaten für die Landtagswahl, Florian von Brunn, dass es „heut‘ keine Predigt und kein Singspiel gibt“. Also kein Spektakel, bei dem besonders heftige Attacken geritten werden. Kanzler Scholz nahm das gleichmütig hin, von Brunn wird aufgeatmet haben. Jetzt auch noch Spott und Häme zu ernten, wäre zu viel. Denn Gründe, von Brunn und seine SPD zu „derblecken“, gibt es viele. Bei der Landtagswahl 2018 war sie auf 9,7 Prozent abgerutscht, der Stimmenanteil hatte sich mehr als halbiert. Das Ergebnis, das von Brunns Vorgängerin Natascha Kohnen zu verantworten hatte, war das zu diesem Zeitpunkt schlechteste bei einer Landtagswahl überhaupt für die SPD. Die Talfahrt dauert nun, von kurzer Besserung abgesehen, seit 1994 an. Und auch diesmal sieht es für die Landtagswahl am 8. Oktober nicht gut aus. Laut Umfragen kommen Sozialdemokraten derzeit im Freistaat auf maximal 10,4 Prozent. Andere Institute sehen sie bei neun Prozent. Bei der CSU sind es laut Prognosen 30 Prozentpunkte mehr. Schlechter steht die SPD aktuell nur in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt da. „In einigen Regionen Bayerns hat die SPD fast schon den Charakter einer Sekte“, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. „Bei der letzten Landtagswahl haben 4,4 Prozent der Wahlberechtigten im Regierungsbezirk Niederbayern für die SPD gestimmt. Die Partei ist dort inzwischen eine Splittergruppe.“ Die Schrumpfkur der SPD im Freistaat und in ostdeutschen Bundesländern zeigt, wie die Parteienlandschaft künftig auch in einigen westdeutschen Ländern aussehen könnte: Eine Volkspartei fällt als solche aus und muss mit einer ganzen Reihe anderer, etwa gleich großer Parteien konkurrieren. Derzeit ist die SPD in Bayern die fünftstärkste Kraft: nach der CSU, den Grünen, den Freien Wählern und der AfD. „Es hat fast schon etwas von Masochismus, wenn man in die Bayern-SPD eintritt, um politisch etwas zu bewegen. Als Frau geht man zu den Grünen. Wer richtig Karriere machen will, zur CSU“, sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Der Partei hafte im Freistaat das Etikett der ewigen und chancenlosen Opposition an. „Daher findet die Partei kaum führungsstarke, prägnante Köpfe, die die Wähler begeistern und die Mitglieder mobilisieren könnten“, so Münch. Die Bayern-SPD steckt in einem Teufelskreis. Mit jeder Niederlage wird sie unattraktiver – ein Schicksal, das den Sozialdemokraten auch in anderen Bundesländern drohen kann. „Direkter Draht ins Kanzleramt“ ohne Wirkung Die aktuelle Schwäche der SPD ist zum Teil auch Ergebnis der schwachen Performance der Ampel-Koalition. Von Brunn hatte nach dem Bundestagswahlsieg der Partei und der Wahl von Olaf Scholz damit geworben, „nun den direkten Draht ins Kanzleramt zu haben“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) könne viel erzählen, die Union sei nur noch Opposition. Aber Landespolitik wird maßgeblich in der Landeshauptstadt gemacht, und da lässt die CSU keinen vorbei. Davon abgesehen, dass direkte Drähte ins Kanzleramt derzeit kaum jemand beeindrucken dürften, weil man dort allenfalls beim Streiten mit den Grünen und der FDP zuhören kann. „Rückenwind bekommen wir aus Berlin derzeit nicht wirklich“, gesteht einer von der SPD-Kampagnenleitung beim Bürgerdialog denn auch ein. Die bayerischen Top-Sozis setzten trotzdem voll auf die Mutterpartei. So sehr, dass sie vergangenen Herbst den Namen „BayernSPD“ zusammenstrichen und nur noch SPD stehenließen. In Bayern – einem Bundesland, in dem parteiübergreifend eine große Mehrheit der Menschen sehr das „Stammestum“ samt aller Eigenheiten betont. Am Nockherberg hieß es auch am Donnerstag noch trotzig: „Die Marke ist SPD, das reicht.“ Aber damit machen es die weiß-blauen Sozialdemokraten der CSU und den Freien Wählern leicht, sie als fünfte Kolonne der Bundespartei darzustellen, die nicht für die Interessen der Bayern, sondern die der Ampel-Koalition stehe. Und das ist nur einer der vielen Stockfehler der bayerischen Parteigranden in den vergangenen Jahrzehnten. Zur Wahrheit gehört auch, dass es die SPD in Bayern immer besonders schwer hatte. Da ist eine CSU, die seit Kriegsende regiert und erfolgreich alle Bevölkerungsgruppen vertritt. Da sind viel ländlicher Raum und eine starke katholische Kirche. Das ist nicht gerade Humus, auf dem die Sozialdemokratie gut gedeiht. Eine starke Industriearbeiterschaft hatte und hat der Freistaat. Aber anders als in anderen Bundesländern ist diese Gruppe trotz ihrer Arbeit in den Werken in ihren Dörfern, den Traditionen, der Kirche, oft sogar der Nebenerwerbslandwirtschaft verhaftet geblieben. Die Arbeiter drängten nie in die Ballungsräume, wo sie für die SPD besser zu organisieren gewesen wären. BMW sammelt in Niederbayern bis heute in Werksbussen die Mitarbeiter für die Fabriken auf den Dörfern ein und transportiert sie nach Schichtende wieder nach Hause. „Auf dem Land hat die SPD auch in Bayern nie richtig Fuß gefasst und in den großen Städten sind längst die Grünen erfolgreicher. Im Vergleich zu den Freien Wählern fehlt ihr eine starke Basis in den Kommunen“, schildert Ursula Münch das Dilemma der Partei. Allerdings: Den unbedingten Willen zur Macht haben die Sozialdemokraten im Südosten, die sich traditionell ganz besonders links geben, offensichtlich nie gehabt. „Zu Zeiten der Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Horst Seehofer hatte die CSU Schwächen gezeigt, das wäre die Chance der SPD gewesen. Doch die hat sie nicht genutzt oder schlicht verschlafen“, sagt Forsa-Chef Güllner. Und Ursula Münch meint: „Die bayerische SPD ist genügsam, sie hat sich in der Rolle der Daueropposition eingerichtet und streitet vor allem intern, das ist wenig attraktiv für Wähler.“ Und so hat sie zugesehen, wie die Grünen, die Freien Wähler und die AfD an ihr vorbeiziehen. Beim Bürgerdialog am Nockherberg lautete schon die zweite Frage: „Warum hört man so wenig von der Bayern-SPD?“ Florian von Brunn stand etwas ratlos da, in seinem preußisch-blauen Anzug und dem weißen Bürohemd, und sagte: „Ich finde, dass ich viel mache.“ Der bayerische SPD-Chef spricht so astreines Hochdeutsch, wie es ein Hannoveraner nicht besser könnte. An diesem Tag wirkte sogar der Hamburger Scholz etwas weiß-blauer: Der sagte zusätzlich zu seiner Standardbegrüßung „Guten Tach“ immerhin noch „Grüß euch“. Dann zählte von Brunn einen langen Katalog von sozialen Wohltaten auf, die er fordert. Er kann das: Er weiß, dass er diese Forderungen niemals erfüllen müssen wird.