Wednesday, August 9, 2023

Beitrag im ZDF-„heute journal“ zu Migration: Manipulation in Bild und Ton

Frankfurter Allgemeine Zeitung Beitrag im ZDF-„heute journal“ zu Migration: Manipulation in Bild und Ton Artikel von Bernd Stegemann • 14 Std. Die Klagen darüber, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen folge die politische Meinung der Redaktionen einer einseitigen Agenda, reißen nicht ab. Die jüngsten Aufregungen, dass die Aussage von Friedrich Merz „Die Grünen sind der Hauptgegner“ um den entscheidenden Nachsatz „in dieser Bundesregierung“ gekürzt wurde, oder um eine WDR-Mitarbeiterin, die in einem „Tagesschau“-Beitrag die höheren Penny-Preise gelobt hat, konnten nur darum so hochkochen, weil sie ein tief sitzendes Misstrauen bestätigt haben. Der Vorwurf lautet, dass die Redaktionen eine politische Einstellung teilen, die sich selbst als fortschrittlich bezeichne und im Parteienspektrum am ehesten den Grünen zuzuordnen ist. Der Chefredakteur Aktuelles des WDR, Stefan Brandenburg, hat in seinem Beitrag in der F.A.Z. bei seiner Erwiderung auf den früheren Intendanten des Südwestrundfunks, Peter Voß, selbst auf diese Schlagseite hingewiesen. Doch zugleich betont er, dass man sich dessen bewusst und darum der Vorwurf der Parteilichkeit nicht gerechtfertigt sei. Die Aufreger der jüngsten Zeit reduziert er in einer Mischung aus ehrlichem Bedauern und dem Hinweis auf menschliches Versagen als lässliche Fehler. Die Misstrauischen wird diese Rechtfertigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wenig überzeugen. Denn zwei Argumente widersprechen Brandenburgs Ausführungen. Zum Ersten passieren solche Fehler immer nur in eine politische Richtung. Es ist noch kein AfD-Politiker unbemerkt in eine Befragung geraten, wo er seine Partei als „neutrale Stimme“ über den Klee loben konnte. Und es wurden auch noch keine Halbsätze von Annalena Baerbock „zufällig“ herausgeschnitten, um ihre Aussagen substanziell zu verändern. Gäbe es diese Fehler auf allen Seiten des politischen Spektrums, so müsste man sich um die Qualität der Mitarbeiter sorgen, aber nicht um ihre politisch einseitige Ausrichtung. Der Eindruck, manipuliert zu werden Das zweite Argument ist meiner Einschätzung nach aber viel entscheidender. Die Empfindung, dass mit manchen Beiträgen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwas nicht stimmt, teilen inzwischen viele Menschen. Und dieser Eindruck, manipuliert zu werden, folgt nicht aus einzelnen Fehlern, die man gutwillig oder böswillig interpretieren kann. Der Eindruck der Manipulation rührt von einem viel tiefer gehenden Phänomen her. Als Beispiel soll ein Beitrag der Nachrichtensendung „heute journal“ im ZDF dienen. Am 16. Juli dieses Jahres wurde dort über die engere Zusammenarbeit zwischen der EU und Tunesien bei der Eindämmung der Migration berichtet. Man muss es so hart sagen, aber der knapp dreiminütige Beitrag ist ein Paradebeispiel für die Techniken der Manipulation, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk alltäglich angewendet werden. Seit den Propagandameisterwerken von Sergej Eisenstein weiß jeder Filmstudent, dass der Schnitt und die Collage der Sequenzen die Aussage bestimmen. Die Verführungskraft des Filmschnitts besteht darin, dass die einzelnen Bilder als wahr gelten, durch ihre Reihenfolge jedoch in ihrem Inhalt verändert werden können. Das einfache Beispiel, das man in jedem Film findet, geht so: Man sieht einen Mann, der etwas anschaut, was jenseits des Bildes liegt. Im nächsten Bild sieht man eine nackte Frau. Durch diesen Schnitt wird der Blick des Mannes zu dem eines Voyeurs. Sieht man im nächsten Bild aber, wie ein Unfall passiert, wird aus dem gierigen Blick ein Ausdruck des Entsetzens. Die Umdeutung vollzieht sich unmittelbar, und das filmische Wunder besteht darin, dass wir Zuschauer äußert willig diese Beeinflussung mitmachen. Die Collage im „heute journal“ Wie nutzt ein „heute journal“-Beitrag diese Technik der Collage? Der Bericht von Florian Neuhann und Moez Elbey beginnt mit einer Kameraeinstellung, die die trostlose Straße in einem aus Planen und Zelten notdürftig errichteten Flüchtlingslager zeigt. Eine Stimme aus dem Off beschreibt die Lage und dass nur wenige hier mit den Journalisten sprechen wollten. Einer, Mohammed, tut es dann doch, und er berichtet, dass er aus Guinea kommt und mit dem Boot nach Europa und dann nach Deutschland will. Einmal wurde seine Flucht von der Küstenwache schon verhindert, doch er wird es wieder versuchen. Bis hierher sind die Kameraeinstellungen nah an der Person, und in einer Großaufnahme der unruhigen Hände von Mohammed wird seine Anspannung fühlbar. Nach diesen einfühlsamen Bildern folgt ein scharfer Perspektivwechsel. Aus der Untersicht wird der Aufmarsch der EU-Vertreter gefilmt, die über den roten Teppich eines Rollfelds schreiten, als wollten sie wie in „Independence Day“ die Welt erobern. Die Collage beider Sequenzen erzeugt eine Aussage, wie ein junger nervöser Mann um sein Leben kämpft, während die Macht von drei weißen Politikern genau dieses verhindern will. Und tatsächlich wiederholt die Offstimme noch einmal diesen Inhalt. Zu den Bildern von Mohammed spricht sie „Er will es wieder versuchen“ und leitet damit zu den Bildern vom roten Teppich über – „und sie wollen es verhindern“. Ein Kinotrailer aus dem Filmgenre David gegen Goliath hätte ähnliche Bilder finden können. Das „Team Europa“ wird von unten gefilmt Nun wird das „Team Europa“ in den üblichen Einstellungen gezeigt, mit denen Staatsbesuche illustriert werden. Schon Enzensberger schrieb in seiner Fernsehkritik aus den 1960er-Jahren, wie viel Sendeminuten man doch gewönne, zeigte man nicht jedes Treffen von Staatsoberhäuptern mit vorfahrenden Limousinen, Händeschütteln und Treppenbesteigungen. In diesem Fall erfüllt das Ritual der Annäherung jedoch den Zweck, die prächtige Welt der Macht gegenüber der Welt der Ohnmacht zu betonen. Diese Sequenz endet mit den Einlassungen von Giorgia Meloni bei der Pressekonferenz nach der Vertragsunterzeichnung. Dass die rechtspopulistische Politikerin die Einzige ist, die an dieser Stelle zu Wort kommt, und nicht Ursula von der Leyen oder Mark Rutte, die ebenfalls zum Team Europa gehören, bestätigt die bisherige Wertung: Mi­gration steuern zu wollen ist rechte Unheilspolitik. Und als wäre die Parteinahme nicht deutlich genug, werden Melonis Worte durch die nachfolgenden Bilder moralisch disqualifiziert. Es wird ein überfülltes Flüchtlingsboot gezeigt, das mit den Worten unterlegt ist, „Europa hat ein Problem. Steigende Flüchtlingszahlen, Druck von rechts in jedem Land.“ Von der Leyens Aussage wird als „Floskel“ gerahmt In dieser Sequenz folgt ein Wechsel von Bildern mit erschöpften Flüchtlingen, die um eine Flasche Wasser bitten, und einer lachenden Ursula von der Leyen, die in einem prunkvollen Raum am Verhandlungstisch mit dem tunesischen Präsidenten Saïed sitzt. Nachdem die Offstimme Saïed als Diktator bezeichnet hat, wird eine Expertin in Deutschland dazu befragt. Diese bestätigt noch mal das zuvor Gesagte, indem sie Saïed als Rassisten und Diktator beschreibt. Nach dieser Einordnung, die als neutral gelten soll, da sie von einer Expertin stammt, springt der Beitrag wieder zurück nach Tunesien. Hier verändert sich nun der Bildausschnitt. Die Bilder wurden offensichtlich von einer wackeligen Handykamera aufgenommen und zeigen, wie erschöpfte Menschen mit Wunden an Händen und Füßen an der Grenze von Tunesien und Libyen ausgesetzt wurden. Die Offstimme kommentiert diese Bilder mit den Worten „Die EU drückt beide Augen zu“, um dabei zurück zur Pressekonferenz zu springen. Von der Leyen wird mit einigen Worten gezeigt, die jedoch von der Offstimme zuvor als „Floskel“ gerahmt worden sind. Das letzte Wort hat dann der tunesische „Diktator“, der davon spricht, dass man an einer Zukunft arbeite, in der jeder Mensch seine Träume erreichen könne. Danach kehrt der Beitrag zurück ins Flüchtlingslager, um sein Resümee zu sprechen: „Sollten sie im Lager irgendwann davon erfahren, es dürfte sich wie Hohn anhören.“ Es mag einen journalistischen Standard geben, nach dem in diesem Bericht alles in schönster Ordnung ist. Jedes Bild ist echt, die Einordnung von Saïed wird von einer Expertin belegt, und die Flüchtlinge werden in ihrem realen Elend gezeigt. Nichts ist inszeniert, kein ZDF-Mitarbeiter hat sich verkleidet, um eine Rolle zu spielen. Doch vielleicht konnte die kurze Beschreibung der Collage sichtbar machen, dass die Manipulation nicht auf dieser offensichtlichen Ebene der Inszenierung passiert. In der Reihenfolge der Szenen steckt die Botschaft. Dass der Bericht mit den Flüchtlingen beginnt und mit ihnen aufhört, gibt ihnen das erste und das letzte Wort. Alle Bemühungen des Teams EU bekommen hierdurch einen brutalen Charakter. Die Bilder suggerieren, dass die EU blind ist für das Elend, sich von der rechten Giorgia Meloni treiben lässt und lieber mit einem Diktator paktiert, als den Flüchtlingen zu helfen. Das filmische Argument Wer zu den Versuchen der EU, dem wachsenden Migrationsdruck entgegenzutreten, eine neutrale Haltung hat, der fühlt sich von diesem Beitrag manipuliert. Denn seine Botschaft ist: An den Bemühungen der EU ist nicht nur nichts richtig, sondern sie sind im Kern böse. Das filmische Argument hierfür sind die Bilder des Flüchtlingsleids und die Art ihrer Collage mit den Bildern der Politiker. Um die Dimension dieser Tendenz zu ermessen, stelle man sich einmal einen entsprechenden Beitrag über das Heizungsgesetz vor. Dieser Beitrag würde mit einem alten Ehepaar beginnen, das frierend in einem ärmlichen Haus mit einer alten Heizung sitzt. Nun marschieren in Berlin die Politiker der Grünen auf und predigen aus ihren warmen Regierungspalästen, dass es nun ein Ende mit dem schmutzigen Heizen hat. Eingeblendet wird ein Experte, der über die Vetternwirtschaft im grünen Wirtschaftsministerium spricht. Und am Ende des Beitrags sieht man das alte Paar, wie es seine Habseligkeiten zusammenpackt und das Haus verlassen muss, weil es sich die neue Heizung nicht leisten kann. Wer hier die Manipulation sofort erkennt, der sollte sich bei dem „heute journal“-Beitrag über den Migrationspakt nicht dumm stellen. Genau diese Mittel werden dort verwendet. Und dass diese Mittel von jedem empfunden werden, gehört zur Macht der Bilder. Wer die politische Stoßrichtung begrüßt, mag die Manipulation für nebensächlich oder sogar richtig halten, doch wer mit der Aussage hadert, dem stoßen die Versuche der unterschwelligen Beeinflussung übel auf. Aus diesem Grund interessiert mich, wie offensiv in den Redaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über den Einsatz dieser Mittel diskutiert wird. Eine ehrliche Antwort auf diese Frage könnte dem Image der Sender helfen. Eine Beschwichtigung, dass es alles nur Einzelfälle seien, die als menschliche Fehler zu erklären sind, geht an der Dimension des Problems vorbei. Denn dass die raffinierte Collage des „heute journals“ aus Zufall entstanden ist, das glaubt wohl selbst ein Chefredakteur nicht. Bernd Stegemann ist Professor für Dramaturgie an der HfS Ernst Busch in Berlin und Autor politischer Sachbücher. Im August erscheint „Identitätspolitik“ im Verlag Matthes & Seitz.