Thursday, October 17, 2024

Olaf Scholz mogelt sich in seiner Regierungserklärung um die Migrationspolitik herum

Neue Zürcher Zeitung Deutschland Olaf Scholz mogelt sich in seiner Regierungserklärung um die Migrationspolitik herum Artikel von Oliver Maksan, Berlin • 19 Std. • 3 Minuten Lesezeit Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs ab Donnerstag in Brüssel steht die gemeinsame Asylpolitik wieder einmal ganz oben auf der Tagesordnung. Durch die kurz vor Beginn des Europäischen Rats erfolgte Ankündigung des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, das Asylrecht auszusetzen, gewinnt der Dauerbrenner irreguläre Migration zusätzlich an Brisanz. Es wird deutlich, dass vielen Mitgliedsstaaten die im April vom Europäischen Parlament beschlossene Asylreform nicht weit genug geht. Auch EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich in einem Brief an die EU-Mitgliedsstaaten in dieser Woche offen für neue Wege bei Asylverfahren ausserhalb der EU. Sie verwies dabei ausdrücklich auf das Abkommen zwischen Italien und Albanien, auf dessen Grundlage in dieser Woche die ersten Asylbewerber aus Italien in den Drittstaat überstellt wurden. Der CDU-Chef wirft Scholz Schweigen vor Während auf EU-Ebene also rege diskutiert wird, erwähnte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz das Thema Asyl an diesem Mittwoch im Deutschen Bundestag mit keinem Wort. Stattdessen konzentrierte er sich in seiner Regierungserklärung vor seiner Abreise nach Brüssel ausschliesslich auf die ebenfalls auf der EU-Tagesordnung stehenden Fragen wie die Unterstützung der Ukraine oder die Wettbewerbsfähigkeit der EU. In seiner Erwiderung spiesste der Oppositionsführer Friedrich Merz das Schweigen des Kanzlers zur Asylfrage sofort auf. Er habe dazu kein einziges Wort gesagt, obwohl es beim Europäischen Rat in Brüssel auf Platz eins der Tagesordnung stehe. Merz vermutete, dass dem Kanzler schlicht die Hände gebunden seien. «Sie fahren nach Brüssel mit einer Koalition zu Hause, die noch nicht einmal mit Trippelschritten in der Lage ist, in der Migrationspolitik voranzukommen», sagte der Chef der Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Scholz soll SPD-Fraktion mit Vertrauensfrage gedroht haben Tatsächlich dürften Rücksichtnahmen des Regierungschefs auf seine Regierungskoalition ausschlaggebend für sein asylpolitisches Schweigen gewesen sein. Gemäss Presseberichten soll es am Vortag bei einer Sitzung der Bundestagsfraktion der SPD zum Konflikt gekommen sein. Selbst Teile der eigenen Partei scheinen die migrationspolitischen Vorhaben des Kanzlers nicht mittragen zu wollen. Scholz habe das sogenannte Sicherheitspaket daraufhin indirekt mit der Vertrauensfrage verknüpft. Dabei handelt es sich um ein Massnahmenpaket, das im Nachgang zum jihadistischen Anschlag von Solingen durch einen Asylbewerber an diesem Freitag vom Bundestag beschlossen werden soll. Unter anderem sieht es neben waffenrechtlichen Verschärfungen Leistungskürzungen für ausreisepflichtige Asylbewerber vor. Mehreren SPD-Abgeordneten gehen die Massnahmen aber zu weit. Sie kritisieren eine Vermengung von Sicherheits- und Migrationspolitik. Bei der Probeabstimmung am Dienstag sollen etwa zwanzig bis dreissig Abgeordnete die Gefolgschaft verweigert haben. Der Kanzler soll daraufhin für den Fall des Scheiterns des Pakets am Freitag mit der Vertrauensfrage gedroht haben. Die SPD dementierte dies am Mittwoch allerdings. CDU und CSU kritisieren das Sicherheitspaket der Regierungskoalition als nicht weitgehend genug. Sie wollten dem Bundestag am Freitag deshalb einen eigenen Entwurf zur Abstimmung vorlegen. Dieser sieht unter anderem generelle Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen vor. Die Parlamentsmehrheit verhinderte dies am Mittwoch aber. Der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries machte die FDP dafür verantwortlich. Damit die liberalen Abgeordneten nicht Farbe bekennen müssten, sei eine Vorlage des Unionsentwurfs verhindert worden. Tatsächlich hatte die FDP deutlich weiter gehende Massnahmen gefordert. Sie konnte sich damit SPD und Grünen gegenüber aber nicht durchsetzen. Angesichts dieser Uneinigkeit in der Koalition und der eigenen Partei überrascht das Schweigen des Bundeskanzlers nicht.