Monday, October 7, 2024
«Es ist ja nicht so, dass wir ihnen das Geld aufzwingen», sagt der chinesische Präsident der Entwicklungsbank AIIB
Neue Zürcher Zeitung Deutschland
«Es ist ja nicht so, dass wir ihnen das Geld aufzwingen», sagt der chinesische Präsident der Entwicklungsbank AIIB
Artikel von Sabine Gusbeth, Peking • 7 Std. • 5 Minuten Lesezeit
Jin Liqun, der Präsident der Asiatischen Infrastruktur-Investmentbank, von Chinas Antwort auf die Weltbank.
Es ist Jin Liqun anzumerken, dass er lieber über Strategie und Projekte der Asiatischen Infrastruktur-Investmentbank (AIIB) sprechen würde. Stattdessen wird der Präsident der Entwicklungsbank immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, dass China die Bank kontrolliere.
Die AIIB entstand 2016 auf Initiative des chinesischen Staatschefs Xi Jinping. Sie hat 110 Mitgliedsstaaten und ist nach der Weltbank die zweitgrösste multilaterale Entwicklungsbank der Welt. Mit Abstand das grösste Empfängerland ist Indien. Kritiker im Westen sehen die AIIB als Teil des Plans der chinesischen Führung, eine alternative Weltordnung unter der Dominanz Chinas zu etablieren.
Jin kennt die Vorwürfe – und kontert. Die Offenheit, mit der der 75-Jährige im Interview mit dem «Handelsblatt» auch über heikle Themen spricht, ist ungewöhnlich für einen ranghohen chinesischen Beamten. Diese Souveränität und seine jahrzehntelange Erfahrung in multilateralen Entwicklungsbanken, im chinesischen Finanzministerium und in staatlichen Finanzinstituten dürften die bisherige Entwicklung der Bank wesentlich begünstigt haben.
Die AIIB hat nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine sehr schnell alle Projekte in Russland auf Eis gelegt. Das ist bemerkenswert, da Chinas Staatsführung an ihrer Partnerschaft mit Russland festhält. Mussten Sie für die Entscheidung die Genehmigung der chinesischen Führung einholen?
Nein. Es war eine Entscheidung des Managements. Wir mussten sicherstellen, dass nach dem Ausbruch des militärischen Konflikts alle Partner, insbesondere internationale Finanzinstitute, weiter mit uns zusammenarbeiten.
Das heisst, es war eine rein geschäftliche Entscheidung?
Natürlich. Unsere Geschäftsinteressen als multilaterale Entwicklungsbank unterscheiden sich bisweilen von den politischen Interessen unserer Mitgliedstaaten. Das ist völlig normal und in anderen internationalen Institutionen genauso. Aber lassen Sie mich noch etwas anderes zum Thema Einfluss von Gesellschaftern und Personen sagen.
Ja?
Bevor diese Bank gegründet wurde, ging es viel um den Einfluss einiger Länder in bestehenden Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank . . .
. . . traditionell wird der Präsident der Weltbank von den USA ausgewählt und der Direktor des IWF von den Europäern. China kritisiert dies seit langem.
Ich sage es ganz offen: Man kann sich dem Einfluss der grossen Gesellschafter nie ganz entziehen. Das ist auch nicht per se negativ. Die Frage ist, wie Einfluss genommen wird. Einige europäische Mitgliedsländer sind zum Beispiel der Meinung, dass diese Bank mehr für den Kampf gegen den Klimawandel tun sollte. Wir finden das gut. Denn auch China und Indien arbeiten sehr hart daran, klimaneutral zu werden. Aber es gibt zum Beispiel auch immer wieder Diskussionen, wenn wir Projekte ausserhalb Asiens finanzieren.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir haben bald 110 Mitgliedsländer, der Grossteil aus Asien, aber auch einige sogenannte Nicht-Regionale wie Deutschland. Unser Fokus liegt auf Asien, und manchmal kostet es Überzeugungsarbeit bei unseren asiatischen Mitgliedern, wenn wir Projekte in anderen Weltregionen finanzieren wollen. Dabei gibt es durchaus Infrastrukturprojekte etwa in Afrika, von denen asiatische Länder profitieren.
Wir finanzieren zum Beispiel eine Strasse in Côte d’Ivoire. Über sie können Cashew-Bauern aus entlegenen Bergregionen ihre Nüsse schneller in den Hafen von Abidjan bringen, von wo aus sie nach Vietnam verschifft werden. Vietnam ist ein wichtiger Cashew-Verarbeiter. Es ist also nicht so, dass so ein Investment Afrika reicher und Asien ärmer macht.
Manche im Westen sehen die AIIB als Teil des Plans der chinesischen Führung, eine alternative Weltordnung zu etablieren. Die Schwerpunkte der AIIB ähneln auffällig dem Fokus von Xi Jinpings Vorzeigeprojekt, der Seidenstrassen-Initiative: grüne Infrastruktur, Konnektivität und technologische Infrastruktur.
Es ist richtig, dass sowohl die Seidenstrassen-Initiative als auch die AIIB von China lanciert wurden. Aber die AIIB agiert nach ihren eigenen Regeln. Jedes Mitgliedsland kann Projekte vorschlagen. China hat uns nie aufgefordert, ein Projekt zu finanzieren, weil es ein Seidenstrassen-Projekt ist. Diese Kategorie gibt es bei uns nicht. Wir finanzieren nur Projekte, die unseren hohen Standards entsprechen.
Der ehemalige Kommunikationschef Bob Pickard hat bei seiner Kündigung 2023 der Bank öffentlich vorgeworfen, sie sei von der Kommunistischen Partei dominiert.
Ich habe darauf ganz gelassen reagiert. Denn jeder weiss, wie in dieser Bank Entscheidungen getroffen werden. Sie werden vom zuständigen Vorstandsmitglied vorbereitet, dann im Führungsteam diskutiert, bis ein Konsens gefunden wird, und anschliessend genehmigt. Ich bin der einzige Chinese im Vorstand. Ich habe noch nie etwas gegen den Willen des Vorstands durchgesetzt. Diese Vorwürfe sind schlichtweg falsch.
China hat mit einem Stimmrechtsanteil von 26,6 Prozent einen grossen Einfluss und ein De-facto-Vetorecht bei wichtigen strategischen Entscheidungen, so auch bei der Wahl des nächsten Präsidenten. Im kommenden Jahr wird über Ihren Nachfolger entschieden. Wird der nächste Präsident der AIIB wieder ein Chinese und ein Mitglied der Kommunistischen Partei sein, so wie Sie?
Lassen Sie mich eines klarstellen: Auch wenn Mitarbeiter oder Führungskräfte politischen Parteien ihres jeweiligen Landes angehören, sind politische Aktivitäten in der AIIB nicht erlaubt. Sobald jemand bei der Bank arbeitet, muss er sich wie ein internationaler Beamter verhalten, unabhängig von seiner religiösen Überzeugung, seiner Parteizugehörigkeit und seiner Staatsangehörigkeit.
Im Übrigen hat nicht nur China ein De-facto-Vetorecht, sondern auch die Europäischen Staaten gemeinsam mit Australien, Kanada, Südkorea und Neuseeland, die bei wichtigen Fragen zusammenhalten. Das ist wahre Kontrolle und Gegenkontrolle. Wenn die europäischen Länder weniger Stimmen hätten, wären sie vermutlich nicht beigetreten. Wir hatten auch noch nie eine Kampfabstimmung, weil wir immer versuchen, einen Konsens zu finden.
Der Präsident der Asiatischen Infrastruktur-Investmentbank
Jin Liqun wurde 1949 in der ostchinesischen Stadt Changshu geboren. Aufgrund der Kulturrevolution musste er sein Studium abbrechen und auf dem Land arbeiten. Später studierte er englische Literatur in Peking sowie Wirtschaft in Boston in den USA. 1980 begann er seine Karriere in der Vertretung des chinesischen Finanzministeriums bei der Weltbank in Washington. Er war chinesischer Vizefinanzminister, Vizepräsident der Asiatischen Entwicklungsbank, Chefaufseher des chinesischen Staatsfonds CIC und Geschäftsführer der halbstaatlichen chinesischen Investmentbank CICC. 2014 wurde er von Chinas Staatsführung mit dem Aufbau der AIIB betraut, seit 2016 ist er deren Präsident.
Noch mal zurück zur Frage Ihrer Nachfolge. Wäre es nicht ein Signal der Unabhängigkeit der AIIB, wenn der nächste Präsident kein Chinese wäre?
Ich höre das nicht zum ersten Mal. Meine Gegenfrage lautet: Stellen Sie auch die Unabhängigkeit des IWF und der Weltbank infrage? Als Chinese hoffe ich, dass mein Nachfolger auch ein Chinese sein wird. Aber der Kandidat muss 75 Prozent aller Stimmen erhalten, das ist eine hohe Messlatte. China hat viel zur Unterstützung dieser Bank beigetragen. Nicht nur finanziell. Trotzdem hat es sich nie in die Leitung eingemischt. Deshalb finde ich: Wenn China einen kompetenten Kandidaten vorschlägt, hat er oder sie Unterstützung verdient. Dennoch würde ich es begrüssen, wenn auch andere asiatische Länder qualifizierte Kandidaten vorschlagen.
Einige westliche Staaten werfen China vor, Länder gezielt in eine Schuldenfalle zu locken und so von sich abhängig zu machen. Hören Sie als AIIB-Präsident diese Vorwürfe auch?
Wenn Staaten sich von China oder anderen Ländern Geld leihen, ist das eine souveräne Entscheidung. Es ist ja nicht so, dass wir ihnen das Geld aufzwingen. Das Problem ist meistens ein schlechtes Schuldenmanagement. Aber schon bevor China angefangen hat, Kredite zu vergeben, gab es Länder in Afrika und Lateinamerika mit Schuldenproblemen. Von wem kam denn da das Geld? Wer hat da eine Schuldenfalle gestellt? Nicht China. Wir sollten also sachlich bleiben und nicht die Schuld aus geopolitischen Gründen auf andere schieben.