Sunday, October 6, 2024
Ein bayrisches Monument steht vor der Pleite – und zwei prominente Schweizer befinden sich mitten im Wirtschaftsdrama
Neue Zürcher Zeitung Deutschland
Ein bayrisches Monument steht vor der Pleite – und zwei prominente Schweizer befinden sich mitten im Wirtschaftsdrama
Artikel von Guido Schätti • 13 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Manche halten sie für systemrelevant: Die bayrische Baywa ist der Rundumversorger für die deutschen Bauern. Nun droht ihr die Pleite.
Für den bayrischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ist sie nicht weniger als «die zweitwichtigste Institution neben der katholischen Kirche». Der Agrarkonzern Baywa gehört zum Freistaat wie Lederhosen, das Oktoberfest und der FC Bayern. Er versorgt die Bauern im Frühling mit Pestiziden, Dünger und Saatgut, kauft ihnen im Herbst die Ernte ab und stellt ihnen im Winter einen neuen Schweinestall auf den Hof. 1923 als Bayerische Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften gegründet, ist der Agrarhändler zu einem der grössten Unternehmen Deutschlands aufgestiegen.
Das Schweizer Pendant zur Baywa ist die Fenaco, die Rundumversorgerin der Schweizer Bauern, die obendrein noch Volg und Landi besitzt. Auch Fenaco wird zuweilen Machtkonzentration und Intransparenz vorgeworfen, doch im Vergleich mit den Bayern sind die Berner Agrargrosshändler Chorknaben.
Während die Fenaco ihren genossenschaftlichen Wurzeln bis heute treu blieb, ging die Baywa an die Finanzmärkte. Sie wandelte sich zur AG, liess ihre Aktien an den wichtigen Börsen handeln und schlug einen forschen Wachstumskurs ein. Die Baywa besitzt etwa einen Obsthändler in Neuseeland, einen niederländischen Getreidehändler und baut auf der ganzen Welt schlüsselfertige Wind- und Solarparks. Manche bezeichnen sie als systemrelevant für Süddeutschland.
Klassisches Beispiel für bayrischen Politfilz
Die Grösse wird nun zur Last. Mitte Jahr implodierte das Agrarkonglomerat wie ein Kartenhaus. Die Baywa ächzt unter einer Schuldenlast von 5 Milliarden Euro, Banken und Grossaktionäre mussten mehrfach Notfallkredite einschiessen, um die Pleite abzuwehren. Seither herrscht Spektakel in Bayern.
Denn die Baywa ist ein Musterbeispiel für politischen Filz. Im Aufsichtsrat sitzen die Strauss-Tochter Monika Hohlmeier und weitere CSU-Honoratioren, auch die Spitzen von Bauernverband und Banken sind dort vertreten und laben sich an fürstlichen Tantiemen.
Nun kommt auch Schweizer Prominenz zu einem Auftritt im bayrischen Komödienstadel. Letzte Woche legte die Baywa endlich ihren Halbjahresbericht vor. Der Schocker ist ein Abschreiber von 222 Millionen Euro. Er fällt zum Grossteil bei der Energietochter Baywa r. e. an.
An dieser ist seit drei Jahren die Schweizer Investmentfirma Energy Infrastructure Partners (EIP) mit 49 Prozent beteiligt und stellt vier Leute im Aufsichtsrat: die Sulzer-Chefin Suzanne Thoma, den früheren FDP-Ständerat Ruedi Noser, den EIP-Gründer Roland Dörig und einen weiteren EIP-Manager.
EIP kaufte sich vor drei Jahren mit 530 Millionen Euro bei der Baywa-Tochter ein. Inzwischen dürfte sich ein Grossteil davon in Luft aufgelöst haben, der Gesamtkonzern ist heute weniger wert als der damalige Kaufpreis. EIP logiert am Zürcher Paradeplatz und ist mit insgesamt rund 8 Milliarden Franken im Energiesektor investiert, auch Alpiq und Swissgrid zählen zu den Beteiligungen. Zu den Investoren gehören Schweizer Pensionskassen, beim Investment in Baywa r. e. sollen diese aber nur eine kleine Minderheit ausmachen.
Baywa macht einen Mix aus sinkenden Strompreisen und steigenden Finanzierungskosten verantwortlich für die Wertberichtigungen bei der Tochter. Verschärft wurden deren Probleme allerdings dadurch, dass ihr die Mutter ohne Vorwarnung ein konzerninternes Darlehen kündigte. Hinzu kommt wie beim kriselnden Schweizer Modulproduzenten Meyer Burger der Preiszerfall bei den Solarpanels durch die chinesische Billigkonkurrenz. Unter dem Strich fuhr Baywa r. e. einen Halbjahresverlust von über 100 Millionen Euro ein. R. e. steht für Renewable Energy, erneuerbare Energien. Man spricht Englisch in Bayern.
Suzanne Thoma ist bei Sulzer stark engagiert
Hätte sie dies geahnt, hätte sich die Sulzer-Chefin Suzanne Thoma vor zwei Jahren wohl kaum in den Aufsichtsrat wählen lassen. Damals fungierte die Baywa r. e. noch als Geldesel des Konzerns, nun ist sie zum lahmenden Gaul geworden, der eine Frischzellenkur braucht.
Thoma ist bereits bei Sulzer stark gefordert, seit zwei Jahren ist sie CEO und Verwaltungsratspräsidentin in Personalunion. Das verpönte Doppelmandat begründete sie mit dem «dringenden Handlungsbedarf» beim Winterthurer Industriekonzern.
Hat sie genügend Kapazitäten, um einen weiteren Krisenherd zu löschen? Thoma sei nicht in die Sanierung des Gesamtunternehmens involviert, sagt eine Sulzer-Sprecherin. «Eine signifikante Mehrarbeit fiel deshalb in den letzten Monaten bei ihr nicht an.» Entlastend dürfte auch sein, dass ihre Arbeit bei Sulzer schon Früchte zeigt. Der Aktienkurs hat sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt.
Wie die anderen Schweizer im Verwaltungsrat von Baywa r. e. kann Thoma zudem auf Spezialisten von EIP zurückgreifen, die sie mit Analysen versorgen. «Unsere Aufsichtsräte haben die Unterstützung eines spezialisierten Teams, das sich rund um die Uhr mit unseren Beteiligungen beschäftigt. Das beschränkt den zeitlichen Aufwand massiv», sagt EIP-Chef Roland Dörig.
Zu den Plänen seiner Investmentfirma wollte sich Dörig nicht äussern. Auch Ruedi Noser gab auf Anfrage keinen Kommentar ab.
Die Zeit läuft für die Schweizer
Das Ziel der Schweizer ist aber klar: Sie wollen die ganze Macht bei der kriselnden Baywa-Tochter, ihren Anteil auf 70 bis 80 Prozent aufstocken und die Führung mit eigenen Leuten besetzen. Entsprechende Verhandlungen laufen bereits seit Juli, gefunden haben sich die Parteien bislang aber nicht.
Knackpunkt dürfte der Preis sind. Bei der Baywa haben die Banken die Macht übernommen, das Management ist nur noch Ausführungsorgan. Doch die Kreditgeber stecken in einem Dilemma: Sie wollen den Verkaufspreis für die Aktien maximieren, gleichzeitig brauchen sie aber dringend Crash, um einen Konkurs abzuwenden. Die Zeit dürfte für die Schweizer arbeiten.