Wednesday, October 9, 2024
„Da sitzen Sie auch im Glashaus“
„Da sitzen Sie auch im Glashaus“
Artikel von RP ONLINE • 4 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Berlin. Ein halbes Jahr nach dem TV-Duell zwischen AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und Thüringens CDU-Landeschef Mario Voigt treffen im „Welt“-Studio zwei umstrittene Frauen aufeinander: Wagenknecht und Weidel. Fahren sie einen Kuschelkurs oder gehen sie auf Konfrontation?
Die Frage, ob es zwischen Alice Weidel und Sahra Wagenknecht kuschelig oder konfrontativ wird, ist schon nach zwei Minuten beantwortet. Die AfD-Chefin trifft im Studio des Senders „Welt TV“ auf die Vorsitzende und Namensgeberin des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Es geht um die Frage des fairen Umgangs der Parteien untereinander, als Wagenknecht zum Frontalangriff übergeht. „Wenn Frau Weidel sich oft beklagt, dass man unfair mit der AfD umgeht, würde ich doch bitten, dass zumindest die AfD auch ihrerseits faire Regeln beachtet“, sagt sie. Weidel habe sie im Vorfeld des Duells als „nützlichen Idioten der Altparteien“ bezeichnet und als „Steigbügelhalter“. Das finde sie „ehrenrührig und ehrabschneidend“. Weidel kontert, dass der Wahlkampf von überspitzter Sprache lebe und das BSW im Osten tatsächlich als Steigbügelhalter fungiere. „Mit Ihnen wird kein echter politischer Wandel möglich sein“, sagt sie.
Vor einem halben Jahr haben sich AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und Thüringens CDU-Landeschef Mario Voigt bei dem Sender ein Streitgespräch geliefert. Am Mittwochabend sind es zwei Populistinnen, deren Parteien bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland zu den Gewinnern zählen. Die 45-jährige Alice Weidel ist Superstar der AfD, die 55-jährige Sahra Wagenknecht Alleinherrscherin des BSW. Die eine steht weit rechts, die andere fällt unter das Label links-konservativ. Beide treffen zum ersten Mal für ein solches Streitgespräch aufeinander.
Nach der ersten Konfrontation gibt es dann doch ein paar Gemeinsamkeiten. Bei der Energiepolitik kritisieren beide zu hohe Energiekosten und die Ampel-Koalition. Beim Thema Ukraine fordert Wagenknecht wie Weidel einen Verhandlungsfrieden. „Die Ukraine wird diesen Krieg nicht gewinnen können, sondern man muss verhandeln, sagt Wagenknecht und Weidel ergänzt: „Das sind AfD-Positionen, wie wir sie von Anfang an vortragen.“ Das finde sie jetzt „ein bisschen billig“, schnauzt Wagenknecht die AfD-Politikerin an.
Unterschiedliche Meinungen vertreten beide beim Thema Schuldenbremse: Wagenknecht will Kredite für Investitionen in die Infrastruktur, Weidel will lieber Sozialausgaben kürzen. Beim Krieg in Nahost stelle sich die AfD einseitig an die Seite der israelischen Regierung, sagt Wagenknecht. Weidel betont, jedes Land habe ein Recht auf Selbstverteidigung.
Als es um die Migrationspolitik geht, steht plötzlich jemand im Mittelpunkt der Debatte, der gar nicht anwesend ist: Björn Höcke. Wagenknecht wirft Weidel vor, bei dem Thema Ressentiments zu schüren und sich von Rechtsextremisten wie Höcke einspannen zu lassen. So sei bei der AfD nicht ganz klar, was sie unter „Remigration“ verstehe. „Dass man das Recht durchsetzt und das Gesetz, das ist ja nichts illegitimes“, sagt sie in Bezug auf Abschiebungen. „Ich finde auch, dass wir die aktuellen Zahlen dringend reduzieren müssen.“
Wenn aber von „millionenfacher Remigration“ gesprochen werde, „Herr Höcke spricht da von 20 bis 30 Millionen Menschen, also ehrlich gesagt, da wird mir übel“. Dann liest sie Weidel lange Passagen von Höcke-Äußerungen vor, in denen sich der AfD-Rechtsaußenpolitiker für ein „großangelegtes Remigrationsprojekt“ von „nicht integrierbaren Migranten“ ausspricht, bei dem man nicht um eine Politik der „wohltemperierten Grausamkeit“ herumkomme. Das Problem sei, sagt Wagenknecht, dass „die Höckes“ nun die AfD dominierten. Sie erinnert daran, dass Weidel 2017 Höcke aus der Partei haben wollte: Nun lasse sie sich von ihm einspannen. „Warum wollten Sie ihn ausschließen, wenn er so ein netter Mensch ist?“, fragt sie.
Weidel geht nicht auf die Frage ein, sondern greift Wagenknecht an. Zum Thema Extremismus sagt sie: „Da sitzen Sie auch im Glashaus.“ Weidel wirft Wagenknecht vor, in der SED gewesen zu sein, dann Frontfrau der „Kommunistischen Plattform“ der PDS, später in der Linken. Auf die anschließende Frage, ob sie eine Koalition mit der AfD auf Bundes- und auf Landesebene ausschließe, sagt Wagenknecht: „Ich schließe eine Koalition mit Leuten, die im Neonazisumpf verankert sind, natürlich aus.“ Weidel habe irgendwann aufgehört, „diese Leute“ zu bekämpfen. Weidel weist zum wiederholten Male darauf hin, dass sie hier stehe, „und nicht Herr Höcke“.
Im Gegensatz zum TV-Duell Voigt gegen Höcke vor einem halben Jahr gab es um das Streitgespräch zwischen Weidel und Wagenknecht deutlich weniger Diskussionen. Voigt ging damals ein großes Risiko ein, hatte Warnungen auch aus seiner Partei ignoriert. Am Ende ging er als Sieger aus dem Duell hervor. Dieses Mal ist es nicht so eindeutig.
Die stellvertretende Linken-Vorsitzende Katina Schubert resümiert nach dem Streitgespräch: „Wagenknecht hat erneut deutlich gemacht, dass sie schon lange keine Linke mehr ist.“