Friday, October 25, 2024

Abgründe der Ampelkoalition : Das Gegenteil staatspolitischer Verantwortung

Tagesspiegel Abgründe der Ampelkoalition : Das Gegenteil staatspolitischer Verantwortung Artikel von Christopher Ziedler • 7 Std. • 3 Minuten Lesezeit Eine typische rot-gelb-grüne Woche geht zu Ende: Wenn mal etwas gelingt, sorgen peinliche Profilierungsversuche dafür, dass es niemand mitbekommt. Ein „Herbst der Entscheidungen“ tut Not. Drei Jahre ist es diesen Samstag her, dass der Bundestag am 26. Oktober 2021 mit einer Ampel-Mehrheit zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetreten ist. Was als hoffnungsvolle Erzählung über eine neue Beziehung dreier ganz unterschiedlicher Beteiligter begann, die die großen gesellschaftlichen Gräben überbrücken und dem Land sozialen, ökologischen und ökonomischen Fortschritt gleichermaßen bringen könnte, entwickelt sich immer mehr zu einem Scheidungsdrama, aus dem jeder Partner nur noch bestmöglich herauskommen will. Natürlich hatte sie es extrem schwer mit Russlands Angriffskrieg und dessen weltwirtschaftlichen Nebenwirkungen. Dafür war ihr Koalitionsvertrag nicht geschrieben. Vieles musste neu ausgehandelt werden. Dabei haben SPD, Grüne und Liberale das selbstzerstörerische Talent entwickelt, wirklich jede koalitionäre Errungenschaft zu übertünchen, in dem sie sich über ein anderes Thema öffentlich zerlegten. So hätte auch die zurückliegende Woche eine gute für die Ampel sein können, wenn sie das, was ihr am Mittwoch gelungen ist, als gemeinsamen Erfolg verkauft hätte. So aber bekam kaum jemand mit, dass sich die G7-Finanzminister auf letzte Details eines 50-Milliarden-Dollar-Kredits für die Ukraine verständigt haben. Viele Experten waren skeptisch, ob er wirklich mit Zinsgewinnen aus eingefrorenen russischen Vermögen abgesichert werden kann, nun aber haben Christian Lindner & Co. in New York geliefert und der Koalition in Berlin Erleichterung verschafft. Zumindest ein Ampel-Aus-Szenario weniger Was das mit der Ampel zu tun hat? Sehr viel! Ohne dieses Finanzinstrument, mit dem der halbierte Etatansatz für die ukrainische Militärhilfe im Bundeshaushalt 2025 gerechtfertigt würde, wäre unweigerlich die Frage aufgekommen, wie Deutschland seinem Unterstützungsversprechen anders nachkommen kann. Wieder hätte über eine erneute Aussetzung der Schuldenbremsenregeln geredet werden müssen. Den Grünen galt das intern als Sollbruchstelle, wenn sich die FDP verweigert hätte. Zumindest dieses Szenario für ein vorzeitiges Koalitions-Aus ist nun vom Tisch. Die Ampel wäre aber nicht die Ampel, wenn sie nicht den nächsten lautstarken Streit vom Zaun gebrochen hätte, der diesen wichtigen Punkt völlig übertönt hat. Die im Überfluss vorgebrachten Appelle, sich jetzt doch bitte im Sinne des großen Ganzen zusammenzuraufen, sind schon allzu häufig verhallt. Sie werden nicht einmal mehr artikuliert, weil kaum jemand mehr darauf hofft, dass ihnen Folge geleistet wird. Und so erleben jene, die es noch interessiert, in dieser Woche einen völlig verantwortungslosen Umgang der drei wichtigsten Ampel-Männer mit der Wirtschaftskrise. Robert Habeck stellt – mehr als Kanzlerkandidat denn als Wirtschaftsminister – seine Idee eines Deutschlandfonds vor. Er und FDP-Chef Lindner wussten angeblich erst nichts vom Industriegipfel, den SPD-Kanzler Olaf Scholz für Dienstagnachmittag organisiert hat, weshalb der FDP-Chef nun selbsttätig am Vormittag einen Gegengipfel der dort nicht Eingeladenen veranstaltet. So uneinheitlich und konfus darf eine Regierung nicht agieren, erst recht nicht in der Wirtschaftspolitik, die bekanntermaßen mindestens zur Hälfte aus den richtigen psychologischen Signalen besteht. Stabilitätsanker nur auf dem Papier Es entlarvt das wohlklingendere der beiden Argumente dafür, dass die Ampelkoalition trotz allem zusammenbleibt. Wie häufig heißt es, Deutschland als größte EU-Wirtschaftsmacht könne in dieser aufgewühlten Weltlage keine vorzeitigen Neuwahlen gebrauchen und müsse Europas Stabilitätsanker bleiben? Natürlich ist da was dran, nur zelebrieren Scholz, Habeck und Lindner gerade das glatte Gegenteil von staatspolitischer Verantwortung. Jeder von ihnen trägt dazu bei – sonst hätte sich das Trio längst eingeschlossen und würde gemeinsam beschließen, was auf die unzureichende Wachstumsinitiative folgen muss, um aus der Rezession zu kommen. So bleibt der fatale Eindruck, dass es einzig und allein die schlechten Umfragewerte der drei Koalitionsparteien sind, die sie von einem Ausstieg aus dem Bündnis abhalten. Wenn die beteiligten Parteien schon jetzt nur noch auf Wahlkampf setzen, um ihre eigene Haut zu retten, tun sie der Republik keinen Gefallen. Der von Lindner ausgerufene „Herbst der Entscheidungen“ ist die allerletzte Chance der Ampel: Sie sollte sich für ihre Restlaufzeit entweder ein sinnvolles Restprogramm geben – oder diese verkürzen.