Thursday, September 26, 2024

„Unternehmen weisen nahezu täglich darauf hin, dass Luft sehr dünn wird“

WELT „Unternehmen weisen nahezu täglich darauf hin, dass Luft sehr dünn wird“ Artikel von Ulrich Exner • 14 Std. • 5 Minuten Lesezeit Niedersachsens Ministerpräsident schlägt wegen der Wirtschaftskrise Alarm. Im Interview ruft Stephan Weil (SPD) die taumelnde Ampel zum sofortigen Handeln auf: Deutschland werde sonst Industrien „sukzessive verlieren“. Besondere Sorge bereitet ihm die „eklatante Absatzkrise“ bei Elektroautos. Stephan Weil, 65, ist Landesvorsitzender der SPD in Niedersachsen und seit 2013 Ministerpräsident seines Bundeslandes. Er ist Mitglied im Aufsichtsrat von VW. WELT: Herr Weil, wenn nicht vieles täuscht, ist die Ampel-Koalition in Berlin gerade dabei, sich nach den Landtagswahlen im Osten endgültig zu zerstreiten. Wofür plädieren Sie: Ende mit Schrecken oder durchhalten bis zum bitteren Ende der Legislaturperiode? Stephan Weil: Ich würde mich freuen, wenn es der Koalition gelänge, ihren Beziehungsstatus jetzt zügig zu klären und auf den letzten Metern womöglich doch noch eine gemeinsame Politik zu präsentieren. Alles andere wäre angesichts des Drucks, unter dem unsere Demokratie mittlerweile steht, nicht zu vertreten. An einem Weiter-so kann jedenfalls niemand ein Interesse haben. Da sprechen die Wahlergebnisse der vergangenen Wochen, insbesondere die der FDP, eine deutliche Sprache. WELT: Wie sollte eine solche gemeinsame Politik aussehen? Weil: Es gibt Themen, die dulden keinen Aufschub. Wir müssen jetzt alle Register ziehen, um einer weiteren Verschärfung der Wirtschaftskrise vorzubeugen. Es melden sich bei mir und meinen Kollegen nahezu täglich Unternehmen, die vertraulich und sehr verantwortungsbewusst darauf hinweisen, dass die Luft für sie inzwischen sehr dünn wird. Darauf muss eine Bundesregierung reagieren. WELT: Mit welchen Maßnahmen? Weil: Die zu hohen Energiekosten sind mit Sicherheit ein Problem, das die Koalition schnell angehen muss. Auch bei der eklatanten Absatzkrise von Elektroautos darf eine verantwortungsbewusste Bundesregierung nicht länger zuschauen. Dasselbe gilt für die langfristige Stabilisierung des Rentenniveaus. Beide Koalitionspartner wissen, dass dieses Thema für die SPD als größte Koalitionspartnerin eine erhebliche Rolle spielt. WELT: Ihr Bundesvorsitzender Lars Klingbeil drängt gerade auf die Einführung eines günstigen Industriestrompreises, um die deutsche Wirtschaft zu unterstützen. Ein Vorschlag, den Sie dem Kanzler schon vor zwei Jahren vergeblich vorgelegt haben. Warum stellt sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) an dieser Stelle derart stur an? Weil: Die Entscheidung gegen den Industriestrompreis ist unter dem Eindruck des Bundesverfassungsgerichts-Urteils zur Schuldenbremse gefallen. Bis dahin hatten wir eine breite Unterstützung für die notwendige Stabilisierung der energieintensiven Industrie. Inzwischen hat sich die Lage noch einmal verschärft. Insbesondere Unternehmen, die Teil internationaler Konzerne sind, brauchen eine plausible Antwort auf die Frage, warum sie angesichts der hiesigen Energiepreise ausgerechnet in Deutschland investieren sollten. Geben wir diese Antwort nicht, werden wir diese Industrien sukzessive verlieren. Das aber würde die öffentlichen Kassen auf Dauer deutlich stärker belasten als ein Industriestrompreis oder ein steuerfinanzierter Zuschuss zu den Netzentgelten. WELT: Die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen in Niedersachsen haben in dieser Woche eine Resolution verabschiedet, in der sie die vollständige Übernahme der Strom-Infrastruktur durch den Steuerzahler fordern, analog zur Finanzierung der Verkehrswege. Machen Sie sich diese Forderung zu eigen? Weil: Ja, ich halte das für richtig. Das wäre allerdings ein sehr großes Reformprojekt, das sich mit Sicherheit nicht über Nacht umsetzen ließe. Fakt ist allerdings auch, dass wir die wirtschaftliche Substanz unseres Landes massiv beeinträchtigen, wenn wir bei den Energiekosten einfach nichts tun. WELT: Ein Thema, das Niedersachsen besonders betrifft, ist die Krise der Automobilwirtschaft. Wirtschaftsminister Robert Habecks (Grüne) Autogipfel Anfang der Woche hat keine fassbaren Ergebnisse gebracht. Was ist aus Ihrer Sicht nötig, um den Absatz von Elektroautos wieder anzukurbeln? Weil: Auch dieses Thema ist ein Beispiel für die Folgen des Karlsruher Schuldenbremsen-Urteils und der daraus abgeleiteten politischen Konsequenzen. Der Wegfall der staatlichen Zuschüsse für den Kauf eines Elektroautos hat zu einem massiven Rückgang der Verkaufszahlen geführt. Im August 2024 sind fast 70 Prozent weniger E-Fahrzeuge verkauft worden als im August 2023. Eine Entwicklung, die nicht nur die Klimaschutzziele der Bundesregierung gefährdet, sondern auch ein hartes gesamtwirtschaftliches Problem darstellt. An dieser Stelle brauchen wir dringend eine Korrektur. WELT: Also zurück zur Verkaufsprämie für E-Autos? Weil: Ich will mich nicht auf eine einzelne Maßnahme festlegen. Die geplanten Sonderabschreibungen für Elektro-Dienstwagen halte ich zum Beispiel für eine gute Maßnahme. Allerdings bräuchten wir eine vergleichbare Steuervergünstigung auch für private Fahrzeuge. Denkbar wäre, dass die Anschaffungskosten für E-Autos künftig teilweise von der Steuer abgesetzt werden können. WELT: Wie wollen Sie eine solche Subventionen finanzieren? Ihre Landtagsmehrheit hat gerade die Einführung eines grundgesetzlich verankerten „Sondervermögens Transformation“ gefordert. Ist das für Sie ein gangbarer Weg? Weil: Das könnte ich mir schon vorstellen, fürchte allerdings, dass die dafür nötige Mehrheit so schnell nicht zustande kommen wird. Die Wahrheit ist, dass wir am besten noch vor der Bundestagswahl endlich in eine sachliche Diskussion darüber eintreten, wie der Staat die enormen Aufgaben der kommenden 15 Jahre eigentlich bewältigen kann. Ich bin mir jedenfalls absolut sicher – und diese Prognose werden ihnen viele meiner Kolleginnen und Kollegen auch mit anderen Parteibüchern bestätigen: Unter den aktuellen Bedingungen werden wir es nicht schaffen. WELT: Noch einmal zurück zur Elektromobilität. Was passiert – zum Beispiel beim VW-Konzern, dessen Aufsichtsratsmitglied Sie sind – wenn sich die Ampel-Koalition nicht auf eine erneute Förderung der E-Mobilität einigen kann? Weil: Volkswagen muss seine Hausaufgaben in erster Linie schon selbst lösen. Das ist nicht primär eine staatliche Aufgabe. Dennoch haben einige politische Entscheidungen die Situation sicherlich verschärft. Dazu gehören neben dem plötzlichen Wegfall der Kauf-Zuschüsse auch die Regelungen zum CO₂-Minderungspfad der Europäischen Union. Da droht im nächsten Jahr eine deutliche Verschärfung. Das setzt aber nun einmal einen steten Anstieg der Elektro-Verkaufszahlen voraus. Den jedoch gibt es nicht, wie wir gerade sehen. Und darauf muss die EU reagieren. WELT: VW hat ja bereits ein massives Sparprogramm angekündigt – wie groß ist Ihre Sorge, dass die angekündigten Szenarien wie Standortschließungen und Massenentlassungen tatsächlich umgesetzt werden? Weil: Fakt ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung dieses Jahres es notwendig macht, das ohnehin anspruchsvolle Sparkonzept des Unternehmens noch einmal deutlich nachzuschärfen. Das wird kein Spaß. Gleichzeitig ist VW ein sehr großes Unternehmen mit vielen unterschiedlichen Stellschrauben. Insofern bin ich zuversichtlich, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Weg finden, der Standortschließungen vermeidet und intelligentere Formen des Personalabbaus findet als Kündigungen. WELT: Wäre die Rückkehr zu einer Vier-Tage-Woche ohne Lohnausgleich wie in den 90er-Jahren für Sie eine angemessene Maßnahme? Weil: Ich werde mich ganz bestimmt nicht in die Tarifverhandlungen einmischen. WELT: Unabhängig von der Frage, wann der nächste Bundestag tatsächlich gewählt wird – wie unumstößlich ist aus Ihrer Sicht die Vorgabe der SPD-Führung, erneut mit Olaf Scholz als Kanzlerkandidat anzutreten? Weil: Die Niedersachsen-SPD hat sich jetzt in mehreren großen Runden unter anderem auch mit diesem Thema beschäftigt, und sie ist zu einem klaren Ergebnis gekommen: Wir führen keine Personaldiskussion. WELT: Sie selbst müssen sich in Niedersachsen gerade gegen Vorwürfe wehren, Regierungs- und Parteiarbeit nicht hinreichend sorgfältig voneinander getrennt zu haben. Aus einem in diesem Zusammenhang veröffentlichten internen E-Mail-Verkehr der Staatskanzlei geht hervor, dass einer Ihrer Mitarbeiter in der Regierungszentrale regelmäßig Textbausteine für Ihre Parteitagsreden geliefert habe. Stimmt das? Weil: Nein. Ich formuliere meine Parteitagsreden selbst, allein schon, weil ich grottenschlecht darin bin, fremder Leute Texte vorzulesen. Korrespondent Ulrich Exner ist bei WELT für die norddeutschen Bundesländer zuständig.