Wednesday, March 27, 2024

Die Grünen und ihre irritierende Geschlossenheit in Kriegsfragen

RP ONLINE Die Grünen und ihre irritierende Geschlossenheit in Kriegsfragen 29 Mio. 4 Minuten Lesezeit Berlin. In der Ampel wird erbittert über die Taurus-Lieferung an die Ukraine gestritten. Die Grünen sind dafür, daran lassen sie keinen Zweifel. Führende Köpfe der Partei plädieren inzwischen sogar für mehr Aufrüstung, der Kanzler wird hart kritisiert. All das zeigt, wie weit die Grünen in Fragen von Krieg und Frieden gegangen sind – und wie ernst die Lage ist. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock reiste zuletzt Ende Februar in die Ukraine, die sich seit mehr als zwei Jahren gegen Russlands brutalen Krieg verteidigen muss. Annalena Baerbock sagt nichts, sie fällt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nicht ins Wort. Aber der Gesichtsausdruck der Außenministerin von den Grünen verrät ihr Unverständnis und ihre Empörung. Gerade hat Mützenich im Bundestag jenen Satz gesagt, über den tagelang gestritten wurde. In einer Debatte über die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine hatte er gefragt, ob es nicht an der Zeit sei, „dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“. Bei den Grünen brachte das viele auf die Palme. Man fühlt sich an die „falsche Russlandpolitik“ (Parteichef Omid Nouripour) der SPD aus früheren Jahren erinnert. Baerbock erwiderte auf Mützenichs Äußerung später, indem sie auf den Horror russischer Kriegsverbrechen und auf die Annexion der Krim durch Russlands Präsident Wladimir Putin vor 10 Jahren verwies. „Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen“, mahnte die Außenministerin. Die Grünen sind für die Lieferung des Taurus an die Ukraine. Je schneller, desto besser. Inzwischen verwundert das kaum mehr. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor mehr als zwei Jahren gehörten die Grünen immer zu den Ersten, die noch schwerere Waffen und größeres Gerät für das vom Krieg gebeutelte Land forderten. Und doch bleibt eine Irritation darüber, dass eine Partei, die ihre Wurzeln in der Friedensbewegung hat und die den Frieden als einen der tragenden Werte ihrer Politik beschreibt, sich so klar pro Waffenlieferungen positioniert. Zweifel daran findet man in der Partei kaum. Die Grünen stehen in dieser Frage geschlossen zusammen. Im aktuellen Europawahlprogramm der Grünen ist dennoch zu lesen: „Abrüstung, Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Waffen sind und bleiben wesentliche Pfeiler jeder Friedenspolitik.“ Dort steht aber auch, dass der russische Angriffskrieg gezeigt habe: „Frieden und Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeit. Sie müssen immer wieder aufs Neue verteidigt und gestärkt werden.“ Für die Grünen sind die Verteidigung des Friedens und Waffenlieferungen kein Widerspruch mehr, im Gegenteil. Sie setze sich für eine Unterstützung, „ja auch für eine noch stärkere Unterstützung der Ukraine ein, weil ich Frieden möchte“, sagt Parteichefin Ricarda Lang auf Nachfrage. Russlands brutale imperialistische Kriegsführung hat bei vielen Grünen zu einem radikalen Umdenken in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik geführt. Es geht so weit, dass der grüne Vizekanzler Robert Habeck inzwischen offen für mehr Aufrüstung plädiert. „Europa muss seine eigenen Hausaufgaben in der Wehrhaftigkeit machen“, sagte Habeck vergangene Woche. Dass jetzt wieder der Landkrieg zurückgekommen sei, darauf sei Deutschland nicht vorbereitet. Am Mittwoch lud der Wirtschaftsminister zu Gesprächen zur Stärkung der Rüstungsindustrie in sein Ministerium ein. Dass ein Grüner darauf pocht, Deutschland müsse auf Kriegsszenarien vorbereitet sein, zeigt, wie weit die Grünen gegangen sind. Die Unterstützung für die Ukraine auf die Taurus-Lieferung zu reduzieren, ist natürlich verkürzt. Zumal Deutschland sehr viel liefert, militärisch wie finanziell. Und doch wirkt der Taurus wie ein Kristallisationspunkt: Je heißer die Debatte geführt wird, desto mehr zeigt sich, zu welchen Mitteln die verschiedenen Parteien zur Friedenssicherung zu greifen bereit sind – oder eben nicht. Im Zentrum der Debatte steht der Bundeskanzler. Nach langem Schweigen hat Olaf Scholz (SPD) seine Beweggründe, warum er die Taurus-Lieferung ablehnt, inzwischen erklärt: Um die Kontrolle über die Hochpräzisionswaffe, die im Zweifel bis nach Moskau zielen könnte, nicht allein den Ukrainern zu übertragen, müssten deutsche Soldaten bei der Steuerung beteiligt sein. Für Scholz ist das ein Tabu. „Ich halte es für erforderlich, dass wir bei der Lieferung von Waffen sicherstellen, dass es keine Beteiligung deutscher Soldaten gibt“, erklärte der Kanzler kürzlich im Bundestag. Kein Applaus bei den Grünen, stattdessen nur ernste Mienen. Die Grünen sind für die Taurus-Lieferung, auch um den russischen Machthaber in die Schranken zu weisen. Würde Putin in der Ukraine gewinnen, könnten er und andere Diktatoren sich ermuntert fühlen, auch anderswo Grenzen zu verschieben und andere Staaten anzugreifen, sagt Parteichefin Lang. Mit einer friedlicheren Welt habe das nichts zu tun, zumal die Ukraine „auch unsere Friedensordnung hier in Europa“ verteidige, so Lang. Europapolitiker Anton Hofreiter warf dem Kanzler in der „FAZ“ gar einen „katastrophalen Defätismus“ vor, ausgerechnet zusammen mit CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Was man hinter vorgehaltener Hand inzwischen häufiger hört: Der Kanzler wolle sich als „Friedenskanzler“ inszenieren. Im Juni findet die Europawahl statt, im September folgen drei wichtige Landtagswahlen im Osten, dann steht das Jahr der Bundestagswahl bevor. Genau genommen kommt die Ampel bis zum Ende der Legislatur nicht mehr aus dem Wahlkampf heraus. Dem Kanzler in der so wichtigen Frage von Krieg und Frieden bloße Wahlkampftaktik zu unterstellen, ist ein harter Vorwurf. Lang will öffentlich nicht miteinstimmen: Dieses Thema sei „zu ernst für Wahlkampf“. All das deutet nicht nur darauf hin, dass die Debatten der kommenden Wochen und Monate an Härte zunehmen werden. Es zeigt vor allem: Es sind harte Zeiten.