Saturday, March 23, 2024
„Das Einfrieren des Krieges ist eine gefährliche Idee“
Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Das Einfrieren des Krieges ist eine gefährliche Idee“
Julian Staib • 23 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Herr Außenminister, der russische Präsident Putin behauptet, die NATO bringe Schweden und Finnland keine Vorteile, sondern nur mehr russische Truppen an die Grenze. Sind Sie besorgt?
Ganz im Gegenteil. Russland hat Ende 2021 erklärt, dass Schweden und Finnland niemals der NATO beitreten dürften. Seitdem hat Russlands Präsident eine strategische Niederlage nach der anderen erlitten. Wir sind jetzt Mitglieder der NATO, weil wir eine klare Bedrohung unserer Sicherheit wahrgenommen haben und er konnte nichts dagegen tun. Worüber ich mir Sorgen mache, ist aber die Frage, ob wir uns alle darüber im Klaren sind, dass wir uns nun in einem Konflikt mit Russland befinden, der lange andauern wird. Russland bedroht die baltischen Staaten und Polen und will sie wieder in sein verlorenes Imperium eingliedern. Dieser neue Imperialismus, den Putin repräsentiert und unter dem die Ukraine am meisten zu leiden hat, ist für uns alle eine große Bedrohung.
Haben Sie das Gefühl, dass auch in Deutschland verstanden wurde, dass die Bedrohung durch Russland noch lange anhalten wird?
Ich denke, dass mehr getan werden muss, damit alle zeigen, dass sie verstanden haben, was diese Bedrohung durch Russland bedeutet. Die Unterstützung der Ukraine muss langfristig angelegt und nachhaltig sein. Die Europäische Union muss ihre Hausaufgaben machen. In Schweden geschieht das bereits. In der Munitionsfabrik des Nammo-Rüstungskonzerns wird schon im Fünf-Schicht-Betrieb gearbeitet. Bis Ende des Jahres soll die Munitionsproduktion verdreifacht sein. Wir leben in einem der am stärksten industrialisierten Teile der Welt, hier geht es nicht um die industrielle Kapazität. Hier geht es um politischen Willen und politische Führung.
Deutschland ist stolz darauf, dass es zweitstärkster Unterstützter der Ukraine ist. Aber den Taurus-Marschflugkörper, der teilweise in Schweden gebaut wird, will der Bundeskanzler nicht liefern. Verstehen Sie das?
Die Entscheidung liegt bei Deutschland, wie es die Ukraine unterstützen will. Schwedens Haltung ist, dass wir die Ukraine sowohl wirtschaftlich als auch militärisch so stark wie möglich unterstützen müssen, damit sie siegt. Andernfalls würde das ukrainische Beispiel einen Damm für andere autoritäre Staaten öffnen, es Russland gleichzutun.
In Schweden kennen Sie den Taurus ja auch gut. Sind Sie überzeugt von den Berliner Argumenten gegen eine Lieferung an die Ukraine?
Das ist eine deutsche Debatte, in die ich mich nicht einmischen will. Aber es kann Kooperationen zwischen uns geben bei Waffenlieferungen. Etwa Systeme, die man zwischen den Staaten tauschen kann. Da gab es in der Vergangenheit gute Beispiele zwischen unseren Ländern.
Der deutsche Kanzler vermeidet die Aussage, die Ukraine solle siegen. Wünschen Sie sich so ein Signal aus Berlin?
Ich denke, jeder sollte verstehen, dass es bei dem Konflikt nicht nur um Europa geht, sondern um die gesamte Welt. Es ist ein gefährlicher Moment in der Geschichte der Menschheit. Denn es geht darum, ob wir bereit sind, uns für die Weltordnung einzusetzen, die nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegt wurde. Größere Staaten dürfen kein Recht haben, sich kleinere Staaten einzuverleiben. Wir müssen dagegen Stellung beziehen. Andernfalls werden autoritäre Staaten wie Russland, Iran, Nordkorea und China sich ermuntert fühlen.
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, sagte kürzlich, man solle über ein Einfrieren des Krieges nachdenken. Was halten Sie davon?
Das Einfrieren des Kriegs ist eine sehr gefährliche Idee. Wir haben bereits gesehen, was ein Einfrieren brachte. Das geschah nach 2014 mit dem Minsker Prozess. Es war eine totale Katastrophe. Das gab Putin die Zeit, seine Streitkräfte aufzubauen und den politischen Druck zu verringern. Wenn wir das 2014 anders gemacht hätten, wären wir jetzt nicht in der furchtbaren Situation, in der wir uns nun befinden. Wir sollten keinesfalls darüber sprechen, den Konflikt einzufrieren. Wir alle wollen Frieden. Vor allem die Ukraine. Die hat einen Friedensplan vorgelegt, den wir unterstützen. Nur die Ukraine sollte entscheiden, wenn die Zeit da ist, zum Verhandeln.
Wenn Trump wiedergewählt wird, könnte die NATO schlimmstenfalls doch nicht den Schutz geben, den sich Schweden nun erhofft. Was dann?
Die NATO funktionierte auch während der ersten Amtszeit von Trump als Präsident. Das aus Washington eingeforderte Zweiprozentziel für die NATO-Staaten sollte ohnehin nur die Untergrenze bilden, nicht die Obergrenze. Das ist im Interesse von uns allen. Schweden erreicht das Zweiprozentziel schon und will absehbar oberhalb davon bleiben. Wir Schweden zahlen unsere Rechnungen gerne pünktlich und sind der Meinung, dass das andere auch tun sollten. Wir sind enorm dankbar für die militärische Unterstützung Amerikas für die Ukraine. Aber Europas militärische Unterstützung ist insgesamt ähnlich groß, die finanzielle Hilfe sogar größer. Wir in Europa sind diejenigen, die den ukrainischen Staat finanzieren.
Müssen wir als Europäer mehr Druck auf Netanjahu ausüben wegen der Situation in Gaza?
Schweden fordert einen sofortigen humanitären Waffenstillstand. Weiterhin braucht es dringend einen humanitären Zugang. Diese Botschaften übermitteln wir im Rahmen der EU sehr deutlich an Israel. Schweden hat seit Anfang Oktober die humanitäre Hilfe für Gaza um über 26 Millionen Euro erhöht. Wir sind auch einer der größten Spender für internationale Akteure, die vor Ort arbeiten, wie das Welternährungsprogramm und UNICEF. Wir müssen die katastrophale Situation für die Zivilbevölkerung verbessern. Danach müssen wir in die Zukunft blicken. Niemand hat das Recht dazu, die Zweistaatenlösung abzulehnen – so wie es Ministerpräsident Netanjahu getan hat. Das ist inakzeptabel. Die Zweistaatenlösung wurde immer wieder in Resolutionen der UN-Generalversammlung beschlossen. Sie bleibt die einzige gangbare Lösung.