Thursday, May 4, 2023

Realitätsfremd? Womit die Bundesregierung heizen will und womit sie wirklich heizt

Berliner Zeitung Realitätsfremd? Womit die Bundesregierung heizen will und womit sie wirklich heizt Artikel von Liudmila Kotlyarova • Vor 4 Std. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will eine Heizwende, deren Ziele sehr ambitioniert sind. Diese wären: 65 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien ab 2024; sechs Millionen Wärmepumpen in Eigenheimen bis 2030, wo es aktuell nur knapp eine Million sind; oder etwa grüne Fernwärme für Mehrfamilienhäuser, obwohl das meiste Angebot kaum zehn Prozent Anteil der erneuerbaren Energien hat. Sollte die Novelle zum Gebäudeenergiegesetz so gebilligt werden, wie das Wirtschaftsministerium sie verfasst hat, könnte es für viele Haushalte in Deutschland mit alten Öl- und Gasheizungen bald teuer werden. Die Behörde hat für den Übergang zwar Fristen und einige Härtefälle vorgesehen, doch wie zügig wird die massenhafte Umstellung auf Fernwärme und Wärmepumpen sein? Die eigene Erfahrung der Ministerien zeigt: Es ist nicht immer so, wie man es gerne haben will. Das Bundeskanzleramt in der Willy-Brandt-Straße hat aktuell zum Beispiel immer noch eine Ölheizung. Oder, wie die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) als Eigentümer des Gebäudes auf Anfrage mitteilt, „eine Heizungsanlage auf der Basis des Primärenergieträgers Heizöl“. Natürlich wird das Gebäude noch mit Öl beheizt – womit denn sonst? Eine Umstellung auf Fernwärme soll nach dem Plan im Zuge der energetischen Erneuerung der Anlagentechnik lediglich „spätestens im Jahr 2024“ erfolgen, bestätigt ein Sprecher des Kanzleramts auf Anfrage. Früher geht es also nicht. Darüber hinaus werden die Gebäude der Bundesregierung in Berlin und Bonn hauptsächlich mit Fernwärme versorgt, versichert die BImA. Allerdings erfüllt diese Fernwärme noch lange nicht die 65-Prozent-Vorgabe an erneuerbaren Energien des Wirtschaftsministeriums. Habecks Behörde bezieht die Fernwärme nach eigenen Angaben vom Berliner Grundversorger Vattenfall Wärme, der sie grundsätzlich noch durch Gas und Kohle erzeugt. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Fernwärme von Vattenfall liegt aktuell lediglich bei acht Prozent. Das Ministerium ist damit unzufrieden und hat bereits 2021 nach eigenen Angaben einen Wechsel in einen Öko-Tarif beantragt, der aber „aufgrund mangelnder Kapazität“ nicht möglich war. Die Bitte habe man in diesem Jahr wiederholt, denn man sei weiterhin an einer „klimaneutralen“ Fernwärmebelieferung interessiert. Wie gut stehen die Chancen des Wirtschaftsministeriums in diesem Jahr? „Aktuell sieht es leider so aus“, antwortet die BImA der Berliner Zeitung, dass es seitens Vattenfall Wärme „keine freien“ Kapazitäten für einen klimaneutralen Tarif im Bereich Fernwärme gebe. Bis 2030 wolle man aber gemeinsam mit dem Energieunternehmen eine Lösung finden, wie man das Wirtschaftsministerium klimaneutral versorgen kann, so die BImA, die Eigentümerin der Regierungsgebäude. Bizarr ist nur: Fragt man direkt bei Vattenfall nach, stellt sich heraus, dass es anders als beim Strom noch überhaupt keinen Öko-Tarif für die Fernwärme gibt, geschweige denn „freie Kapazitäten“. Man habe lediglich den Tarif Stadtwärme Klassik Plus, sagt ein Vattenfall-Sprecher auf Anfrage. Man setze dabei ganz bewusst auf den Ansatz „ein System – ein Produkt“, das gleiche Produkt wird also an alle Verbraucher geliefert. Es gebe daher keine „Öko-Nischenprodukte“, die Kategorisierungen in puncto Klimafreundlichkeit vornehmen würden, denn alle projektierten Erzeugungskapazitäten würden sukzessive den Anteil erneuerbarer Energie für alle Stadtwärmekunden in gleichem Maße erhöhen, bestätigt der Vattenfall-Sprecher. Komisch, dass die Bundesregierung andere Informationen als der Lieferant hat. Am Ende entsteht wiederum eine tiefe Kluft zwischen Wollen und Können. Sie stellt die Heizwende der Grünen zwar nicht grundsätzlich infrage; diese beißt sich allerdings mit den Realitäten auf dem Markt, die den Heizungstausch am Ende deutlich verlangsamen und verteuern können. Denn wenn sich selbst für das Wirtschaftsministerium „keine freien Kapazitäten“ finden, wie kann ein Ottonormalverbraucher schneller an die Sache rankommen?