Thursday, May 4, 2023
„Irrwitzig“, „Planwirtschaft“, „abändern“ – Kritik an Habecks Wärmepumpen-Coup
WELT
„Irrwitzig“, „Planwirtschaft“, „abändern“ – Kritik an Habecks Wärmepumpen-Coup
Artikel von Daniel Wetzel • Vor 58 Min.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat konkrete Zielwerte für die Verbreitung von Wärmepumpen und E-Autos ins Energiewirtschaftsgesetz geschrieben. Nun äußern sich Gaswirtschaft, FDP und Top-Juristen. Alle halten die Ausbauvorgabe für falsch.
Wirtschaftsminister Robert Habeck will die 2030er-Planziele für Wärmepumpen und E-Autos gesetzlich verankern
Der Versuch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die genauen Planziele für die Verbreitung von Wärmepumpen und Elektroautos im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) zu verankern, stößt auf Kritik der Energiebranche.
„Im EnWG sehen wir detaillierte, politisch gesetzte Zielvorgaben wie 15 Millionen E-Pkw oder sechs Millionen Wärmepumpen als nicht erforderlich an“, erklärte Kerstin Andreae, die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Wie WELT zuvor berichtet hatte, will das Wirtschaftsministerium die 2030er-Planziele für Wärmepumpen und Elektroautos erstmals in einem Bundesgesetz verankern. Demnach soll der Paragraf 1 („Zweck und Ziele des Gesetzes“) um die politisch gewünschten Technologien mit genauen Ausbauzahlen ergänzt werden. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben“ liegt WELT vor.
„Aus Sicht des BDEW sollten gesetzliche Zielvorgaben hinreichend Spielräume für die weitere Entwicklung lassen und sich nicht konkret auf gesetzte Zielzahlen beschränken“, erklärte Andreae. Der Gesetzgeber sollte mit der Novelle lediglich „einen generellen Rahmen für die Erreichung der klimapolitischen Ziele der Bundesregierung vorgeben“.
„Das Ziel ist klar: Wir ertüchtigen die Netze, um sicher und verlässlich Strom und Gas aus erneuerbaren Quellen zum Kunden zu bringen“, betonte Andreae: „Das Gesetz muss sicherstellen, dass die Bundesnetzagentur einen regulatorischen Rahmen setzt, der es den Netzbetreibern ermöglicht, diese Anforderungen wirtschaftlich umzusetzen.“
Vorgaben jedoch, „die allein auf Annahmen und Prognosen beruhen“ sollen, sehe der BDEW kritisch, erklärte die BDEW-Chefin: „Solche Vorgaben müssen fachlich abgesichert sein, um mögliche Fehlinvestitionen bei den Netzbetreibern zu vermeiden.“
Damit wäre „weder der Energiewende noch den Kundinnen und Kunden geholfen, die diese Mehrkosten über die Netzentgelte zahlen müssten“. Zudem müsse sichergestellt sein, „dass die Kosten für einen entsprechenden Netzausbau unmittelbar und in voller Höhe regulatorische Anerkennung findet.“
Das sehen auch Topjuristen so. Zusätzlich zu dem bisherigen Zieldreieck des EnWG „Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Umweltschutz“ sollen nun offenbar „sehr konkrete Zielvorgaben der Energiewende und des Klimaschutzes mit aufgenommen werden“, stellt Wiegand Laubenstein, Energierechtsexperte der Essener Kanzlei Rosin Büdenbender und ehemaliger Vorsitzender Richter am Landgericht Düsseldorf fest: „Mit anderen Worten werden die Netzbetreiber mit Verweis auf diese zusätzlichen Zielvorgaben neue Forderungen nach höheren Netzinvestitionen begründen und bei der Bundesnetzagentur einfordern können.“
„Das gesamte Energiewirtschaftsrecht insbesondere in den Dienst einzelner Technologien zu stellen, ist eine vollkommen irrwitzige Idee“, findet Lukas Kühler, Fraktionsvize der FDP im Deutschen Bundestag. Dass EnWG müsse darauf ausgerichtet sein, die gesamte Stromnachfrage in Deutschland zu decken.
Gaswirtschaft naturgemäß kritisch
„Krankenhäuser, Schulen, private Haushalte und unzählige Betriebe von der Industrie über das Handwerk bis zum Einzelhandel müssen jederzeit sicher mit Strom versorgt werden“, mahnte Köhler: „Wirtschaftsminister Habeck muss nun die Frage beantworten, ob er all diese Einrichtungen den Wärmepumpen und Elektroautos unterordnen will.“
Andernfalls solle er seinen Gesetzentwurf „umgehend abändern“, so Köhler: „Mit der FDP-Fraktion ist eine derart ideologiegetriebene Energiepolitik jedenfalls nicht zu machen.“
Die Gaswirtschaft sieht die geplante gesetzliche Verengung der Heizwende auf die Wärmepumpen-Technologie naturgemäß kritisch. „Mit dem Versuch, im Energiewirtschaftsgesetz durch die Hintertür ein verbindliches Ziel zum Anschluss von sechs Millionen Wärmepumpen bis 2030 zu verankern, setzt das BMWK seinen planwirtschaftlichen Kurs bei der Wärmewende ungeachtet der laufenden gesellschaftlichen Debatte fort“, kritisierte Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW).
„Dabei erfordert die Wärmewende eine Vielzahl an verschiedenen Technologien, wie beispielsweise die Wasserstofftechnik, um den unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort und der Zahlkraft der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden“, so Linke weiter.
Neben der erstmaligen Verankerung konkreter Ausbauziele im Gesetz hat Habecks Gesetzesentwurf ein weiteres Ziel: Das Ministerium reagiert damit auf eine Klage der EU-Kommission, wonach die Bundesnetzagentur nicht unabhängig genug agieren könne.
Mit dem Gesetzentwurf des Wirtschaftsministeriums sollen die Kompetenzen der zentralen Energiemarktaufsicht deshalb gestärkt werden. So sollen die „Verordnungsermächtigungen“ der Bundesregierung etwa zu Netzentgelten gestrichen werden. Stattdessen soll nun die Bundesnetzagentur befugt werden, Regeln des Netzzugangs und Tarife festzulegen.
Machtzuwachs bei der Bundesnetzagentur
„Der Gesetzgeber legt damit ein Herzstück der Netzentgeltregulierung, wie zum Beispiel die Anreizregulierung, in die Hände der Bundesnetzagentur“, urteilt Energierechtsexperte Laubenstein. „In Summe bekommt die Bundesnetzagentur weitreichende zusätzliche Festlegungsbefugnisse und damit verbunden zusätzliche Beurteilungs- und Ermessensspielräume.“
Dies bedeute „absehbar eine intensivere gerichtliche Überprüfbarkeit dieser Entscheidungen und mit erkennbar ein ‚noch mehr‘ an Gerichtsverfahren“.
BDEW-Chefin Andreae sieht im Machtzuwachs der Bundesnetzagentur auch Chancen: „Wenn die Bundesnetzagentur ihre neu eingeräumten größeren Entscheidungsspielräume im Sinne einer Ermöglichung nutzt, kann sie zu einer erfolgreichen und schnelleren Energiewende beitragen.“
Allerdings müsse eine größere Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur in der Entscheidungsfindung „aus rechtsstaatlichen Gründen mit neuen Verfahren zur Kontrolle der behördlichen Entscheidungen einhergehen“.