Saturday, March 29, 2025

Trump und Signal-Gate: Die Welt hat den Verstand verloren

Wirtschaftswoche Trump und Signal-Gate: Die Welt hat den Verstand verloren von Buttlar, Horst • 8 Std. • 4 Minuten Lesezeit „Signal-Gate“ ist kein Skandal? Unter Donald Trump gibt es keine Scham, keine Reue, keine Konsequenzen. Die Realität ist bizarrer als „Fake News“. Ein Kommentar. Von allen Memes, Tweets und Witzen, die das Unfassbare zu fassen versuchen, war das Bild unten mein Favorit. Es könnte wahnsinnig lustig sein, wenn es nicht so wahnsinnig wäre. Was aber zeigt und lehrt uns „Signal-Gate“, der die „Selbstverzwergung der USA“ manifestiert? Zunächst einmal, dass es in der Trump-Welt keinen Skandal, und damit kein „-gate“ mehr gibt. Es gibt keine Entschuldigung, kein Einräumen, keine Scham, keine Reue, schon gar keine Konsequenzen. „The Atlantic“-Chefredakteur Jeffrey Goldberg ist demnach der Täter, US-Sicherheitsberater Mike Waltz bezeichnete ihn als „übelsten Abschaum eines Journalisten“ und „Verlierer“. (Warum, muss man fragen, fügt Waltz diesen „Loser“ dann einem Chat hinzu, in dem die engste Führung der größten Militärmacht der Welt über einen Militärschlag mit Hilfe von Emojis chattet?) Nein, es ist nichts passiert. Kein Fehler, keine Entblößung. Stattdessen: Abwiegeln, Gegenangriff, Ablenkung mit Strafzöllen, das ist die Strategie. Welche Kriterien, welche Standards gelten in solch einer Welt, in der alles egal scheint? Selbst wenn man glühender Trump-Anhänger ist, selbst wenn man für ihn arbeitet: Man muss doch im Boden versinken angesichts dieser lächerlichen Dilettanten, die über Militärschläge chatten wie über das nächste Baseball-Turnier. Diese singuläre Gefährdung der nationalen Sicherheit müsste doch Konsequenzen haben?! Man kann sich manches gar nicht mehr ausdenken Wir erleben die Auflösung von Maßstäben, wie man mit normalem Menschenverstand – ganz unabhängig von der politischen Einstellung – Ereignisse einschätzt. Ein historischer Skandal wird zum non-event. Dass Politiker abstreiten und abwiegeln, ist zwar nicht neu. Dass sie bei eklatantem Führungsversagen so tun, als sei nichts passiert, schon. Die Realität schlägt inzwischen Fake News. Sie ist absurder, unterhaltsamer, beklemmender und besser als erfundene Fakten, auch als Netflix. Man kann sich manches gar nicht mehr ausdenken. Wollen Republikaner in Arkansas wirklich Mädchen verbieten, Kurzhaarfrisuren zu tragen – oder hat man das in „The Handmaid’s Tale“ gesehen? War ein Clip von J.D. Vance KI-generiert oder nicht? Auch der Journalist Goldberg dachte zunächst, der „War Chat“ sei ein Fake; und wenn man ihn sieht, würde man es immer noch denken: Nach der Enthüllung spricht das Weiße Haus von einem „Hoax“ eines Trump-Hassers, obwohl das ganze Debakel für alle sichtbar ist. Fakten werden relativ, sogar Wirtschaftsdaten von Behörden, wenn dahinter kein Common Sense mehr steht, mit dem man Handlungen als falsch oder richtig beurteilt. Anything goes. Außer es ist woke Die ganze Welt konnte inzwischen die Chat-Nachrichten lesen, in denen US-Verteidigungsminister Pete Hegseth Kriegskoordinaten teilt wie einen Standort für eine Karaoke-Bar. Wenn sich offenkundige Abgründe nicht mehr auftun, wenn Skandale, nach denen normalerweise Köpfe rollen würden, keine Skandale mehr sind, dann erleben wir nicht nur die Umwertung, sondern die Entwertung von Werten. Anything goes. Außer natürlich, es ist woke. Der Backlash gegen alles, was in den großen „Woke“-Topf kommt, ist dabei noch das Natürlichste. Es ist eine Gegenreaktion, eine Gegenbewegung, wie es sie in der Geschichte immer gegeben hat. Das Pendel schwingt zurück, nachdem es an vielen Universitäten ebenso Extreme und Exzesse gegeben hat. Die einen haben jahrelang eine Gendersprache forciert, die konservative MAGA-Bewegung tilgt nun Hunderte Begriffe aus der offiziellen Sprache. Auf beiden Seiten sollen Bücher in Schulen verboten oder umgeschrieben werden – nun allerdings im Namen der Meinungsfreiheit, was eine Camouflage ist, weil es schlicht und einfach autoritär und illiberal ist. Was beunruhigt, ist das Wesen der Lügen, die Donald Trump und sein Team verbreiten, sowohl in Quantität als auch in Qualität. Gelogen hat Trump schon immer, doch nun wird die Lüge oder die Halbwahrheit zum Prinzip. Man kann alles sagen und kurz darauf abstreiten, auch das Offensichtliche und für alle Welt Sichtbare. Trump hat Wolodymyr Selenskyj bekanntlich als „Diktator“ bezeichnet. Wenige Tage später drauf angesprochen, sagt er: „Did I say that? I can’t believe I said that.“ Die Strategie dahinter hat der „New York Times“-Kolumnist Ezra Klein in seinem Podcast analysiert: „Der Sinn dieser Art von Lügen, die so leicht zu überprüfen sind, besteht (…) darin, das Wahrheitsvermögen des Systems zu überfordern. Ab einem bestimmten Punkt gibt man auf.“ „Flood the zone with shit“, hat der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon diese Strategie genannt. Insofern übersteht man auch jeden Skandal, weil das System sofort mit neuem Mist geflutet wird. „Sie können ein paar Lügen überprüfen“, sagt Klein. Aber nicht jeden Satz. „Sie werden Ihr Publikum und sich selbst langweilen.“ Es ist im Grunde das, was George Orwell in seinem Roman „1984“ mit der Formel 2+2=5 und „Doppeldenk“ als Herstellung von Wirklichkeit bezeichnet hat: „Die Wirklichkeit spielt sich im Kopf ab. … Es gibt nichts, was wir nicht machen könnten.“ Wenn man lange genug dran glaubt und etwas wiederholt, wird es die Wahrheit. Lügen als Loyalitättests Unter Trump wird diese Formel biegsamer, flexibler, agiler. Lüge und Wahrheit können sich so schnell anpassen, dass fast egal ist, was wirklich passiert ist. „Fact Checking“ wird obsolet, weil die Karawane längst weitergezogen ist. In Trumps Team, so Klein, seien diese Lügen auch „Loyalitätstests“. Sie zwingen irgendwann zur Selbstaufgabe – und den Gegner zur Erschöpfung. Denn wenn alles gaga ist, verschwinden die Standards, die Regeln, die Gepflogenheiten. Langsam wird deutlich, was „flood the zone“ unter Trump II bedeutet: Es wird wild in alle Richtungen losgeschlagen, sodass es praktisch kaum Widerstand gibt. Ob USAID, FBI, Voice of America, das Bildungsministerium oder Columbia University: Tempo, Wucht, Entschlossenheit und Erbarmungslosigkeit haben die USA überrascht und überrollt. (Wobei: Das finale Urteil über DOGE sollten wir noch nicht fällen; da gibt es immer noch gute Ansätze, die im Prinzip das Richtige wollen.) Der größte und peinlichste Sicherheitsskandal seit Jahrzehnten kann so überspielt werden; rationale Kalküle und Einwände zählen nicht mehr, wenn das Ziel ist, dass die Welt den Verstand verliert. Oder hat sie nicht schon verloren? Aber was soll man von einem Weißen Haus erwarten, das solche Bilder auf X postet? Oder hat es das gar nicht getan? Es ist egal.