Saturday, August 5, 2023

Leslie Mandoki: „Wir haben die Gier in unserer Gesellschaft zugelassen“

Berliner Kurier Leslie Mandoki: „Wir haben die Gier in unserer Gesellschaft zugelassen“ Artikel von Julia Nothacker • 14 Std. Leslie Mandoki feiert mit den ManDoki Soulmates in diesem Jahr 30-jähriges Jubiläum. 30 Jahre ManDoki Soulmates – 30 Jahre, die jetzt mit einer Jubiläums-Tour gefeiert werden. Auf die Fans wartet das Beste aus den letzten 12 gemeinsamen Alben sowie ein Vorgeschmack auf das neue Album „A Memory Of My Future“, welches im Frühjahr 2024 erscheinen wird. Mit dabei sind die legendären Rock- und Jazz-Größen Randy Brecker, Till Brönner, Tony Carey, Nick van Eede, Mike Stern, Bill Evans, John Helliwell, Jesse Siebenberg und natürlich der Gründer der ManDoki Soulmates, Leslie Mandoki. Der Berliner KURIER hat den ungarisch-deutschen Musiker zum Interview getroffen und mit ihm über die aktuellen Krisen in Deutschland und seinen Anspruch, die Welt durch Musik zu verbessern, gesprochen. Berliner KURIER: Herr Mandoki, die Tour zum 30-jährigen Jubiläum musste wegen Corona verschoben werden. Wie groß ist die Freude, dass sie nun endlich stattfinden kann? Leslie Mandoki: Die Freude ist enorm groß, endlich wieder live zu spielen und den Menschen zu begegnen. Es gibt kein größeres Privileg für mich als Künstler, als dass unser Publikum mit einem offenen Herzen zu unseren Konzerten kommt und unsere Musik in seiner Seele spürt. Vor allem in dieser schwermütigen Zeit, die wir alle gerade erleben, haben wir Musiker die große Verantwortung, dem Vertrauen, das uns das Publikum entgegenbringt, gerecht zu werden. Wenn die Gewissheiten wackeln und unsere Welt offensichtlich ohne Kompass unterwegs ist, dann ist Kunst besonders bedeutsam. Was können die Fans von der Tour und dem neuen Album, das im Frühjahr 2024 erscheint, erwarten? Auch wenn wir diese Songs zum Teil seit 30 Jahren spielen, die Tour wird keine Retro- oder Nostalgietour. Unsere Großväter in Woodstock haben es uns gelehrt: Rock-Musik ist im Idealfall ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft. Was wir weniger machen, ist fröhliche Unterhaltungsmusik, die den Alltagsstress einfach nur vergessen lässt, auch wenn es viel Spaß auf und vor der Bühne gibt. Wir wollen viel eher musikalische Antworten auf die Fragen unserer Zeit geben. Jeder spürt diese Schwermut. Wir sind kaum aus der Corona-Krise raus, da begann der Krieg, die Energiekrise, die Deindustrialisierung und Inflation wurden zum Thema, ebenso wie die Migration und der Klimawandel. Wir sind es mittlerweile gewöhnt, solche Krisen bewältigen zu müssen. Aber aktuell kommt alles auf einmal und wir alle sind emotional überfordert. Unser neues Album, das im Frühjahr 2024 veröffentlicht wird, heißt „A Memory Of My Future“ und bietet eine Art Zukunftsausblick. Wir befassen uns ausschließlich mit den Themen, die unser Publikum beschäftigen. Wir als Künstler müssen darauf Antworten finden; das sehe ich als unsere Aufgabe, als Licht am Ende des Tunnels, mit unseren Fackeln dazustehen. Klingt, als wird das neue Album sehr schwermütig? Nein, im Gegenteil, es ist ein Ausweg und das Licht am Ende des Tunnels. Unsere Musik ist nicht dunkel, sondern hell – aber unbequem. Der Ausweg aus der Schwermut ist ganz einfach: Es muss die Spaltung zwischen uns Menschen aufgelöst, überbrückt werden. Kunst muss Orientierung und Halt bieten. „Music is the Greatest Unifier“ - Musik verbindet, baut Brücken, auch dort, wo die Brückenpfeiler bereits erodiert sind. Unser Land ist so gespalten wie noch nie. Gerade in Berlin, dieser verwundeten Stadt, der Nahtstelle zwischen Ost und West. Ich war vor wenigen Wochen in New York und da fragte mich eine Journalistin, in welcher Stadt ich mein wichtigstes Konzert gespielt habe, und meinte dazu: „Sicherlich bei den Grammys?“ Ich antwortete: „Nein, mein wichtigstes Konzert war in Berlin, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt zu Ehren des 30. Jahrestages des Mauerfalls.“ Sie verstehen Ihre Musik als Ausdruck von Freiheit. Sie haben sich damals 1975 bei Ihrer Flucht aus Ungarn ja im wahrsten Sinne des Wortes befreit. Haben Sie auch nach diesem einschneidenden Erlebnis in Ihrem Leben das Gefühl, sich irgendwie befreien zu müssen oder fühlen Sie sich mittlerweile komplett frei? Ich lebe sehr privilegiert und bin unserem Publikum unglaublich dankbar dafür, dass wir die Art Musik machen dürfen, die wir als am ehrlichsten und am authentischsten empfinden. Deshalb begegne ich unseren Zuhörern auch immer mit Demut und Dankbarkeit, dass ich so uneingeschränkt frei sein und arbeiten kann. Aber Freiheit verpflichtet auch. Ich bin mir darüber vollkommen im Klaren, dass ich nur eine so laute Stimme habe, wie das Publikum sie mir gestattet. Das bedeutet: Ich bin total frei in der Gestaltung meiner Musik, meiner Konzerte und meines Lebens. Aber genau das verpflichtet mich dazu, dort zu helfen und zu unterstützen, wo die Menschen nicht frei sein können. Ich sehe diesen schrecklichen Krieg nicht nur als geopolitische, imperiale Aggression, sondern richte meinen Fokus auf die Menschen, die als Opfer davon betroffen sind. Mich widert der Krieg an. Ich habe 1956 als Kleinkind die Russen als schreckliche Aggressoren erlebt, die den Volksaufstand im Blut ertränkt haben. Eigentlich dachte ich, wir müssen das nie wieder erleiden. Mein Herz und meine Unterstützung sind bei den Opfern. Kamen durch den aktuellen Krieg von Russland gegen die Ukraine Erinnerungen an Ihre Kindheit, in der Ungarn unter Kontrolle der Sowjetunion stand, hoch? Absolut. Beim Volksaufstand gegen das kommunistische Regime war ich fast vier Jahre alt, da hat man noch keine zusammenhängenden Erinnerungen. Aber ergänzt durch die Erzählungen meiner Eltern kommen Erinnerungen in mir hoch. An jedem Abend gab es 8.000 bis 10.000 Tote auf den Straßen. Auch in unserer Wohnung starben drei Studenten, die von der Roten Armee angeschossen wurden. Ich habe diese Menschen nicht sterben gesehen, denn ich war eingesperrt in meinem Kinderzimmer. Aber Sterben ist laut. Diese Russophobie sitzt tief in meiner kulturellen Entwicklung als Teenager, aber auch das Studium von Dostojewski und Strawinsky. Mir war klar, dass dieser Eiserne Vorhang, hinter dem ich aufgewachsen bin, irgendwann fallen würde. Ich konnte es nur nicht abwarten, deswegen bin ich geflüchtet. Mein Vater und Großvater haben gesagt: „Es ist noch kein Panzer gebaut worden, der die Sehnsucht nach Freiheit überrollen kann.“ Die Sehnsucht nach Freiheit ist grenzenlos. Betrachten Sie Ungarn trotzdem als Ihre Heimat? Meine Heimat ist Bayern. Ich bin deutscher Staatsbürger, ich lehne die doppelte Staatsbürgerschaft ab. Ich bin hier mit 22 Jahren aufgenommen worden und habe mich in das Land verliebt, in die Mentalität, in die Menschen. Ich bin ein deutscher Patriot, im positiven Sinne. Aber das ändert nichts daran, dass meine Wurzeln in Ungarn liegen. Ich bin dort aufgewachsen und Ungarisch ist meine Muttersprache. Auch meinen Kindern habe ich die ungarische Kultur nähergebracht, sie können perfekt ungarisch sprechen und schreiben, was sehr anspruchsvoll ist. Sie können sogar ungarisch kochen. Sie treten am 18. August auch in Ihrer Geburtsstadt Budapest auf? Wie sehen Sie die politische Entwicklung in Ungarn? Die Freiheit der Bevölkerung scheint dort durch die nationalistische Regierung erneut in großer Gefahr zu sein. Ich bin, egal wo ich bin, ein kritischer Geist. Für mich ist der kritische Geist aber nicht jemand, der andere Meinungen ausschließt, sondern anderen Meinungen widerspricht. Gegenteiliger Meinung sein zu dürfen, das ist das Grundwesen der Demokratie. Nicht widersprechen zu können, das ist der Punkt, an dem die Freiheit endet. Ich werde immer versuchen, Brücken zu bauen, selbst dann, wenn alles völlig unversöhnlich anmutet. Es gibt immer eine gute Hoffnung für Gemeinsames. Ein kritischer Geist auch gegenüber Deutschland? Ja. Ich bin immer für eine selbstkritische Betrachtung. Haben wir denn nichts gelernt aus der Geschichte? Wenn Covid für irgendetwas gut war, dann, dass wir was daraus gelernt haben. Dass, zum Beispiel, die Krankenschwester, der Lehrer und der Feuerwehrmann systemrelevant sind und nicht der Investmentbanker, der meistens eigentlich nur ein gieriger Spekulant ist. Wenn der Müllabfuhr-Fahrer, eine Lehrerin, der Arzt oder eine Pflegekraft ausfallen, haben wir ein echtes Problem. Menschen mit systemrelevanten Berufen bekommen kaum Wohnungen in der Stadtmitte, dort, wo sie arbeiten. Die Lösung ist meiner Meinung nach aber nicht, dass wir uns 50.000 Pflegekräfte von den Philippinen holen. Wieso bezahlen wir nicht unsere eigenen Pflegekräfte vernünftig? Glauben Sie, dass Sie etwas in Deutschland verändern können? Ich habe zumindest ein starkes Verantwortungsgefühl, meine Stimme dafür zu erheben, dass wir eine generationsgerechte Gesellschaft bekommen. 1989 regnete mit dem Mauerfall in Berlin Glück vom Himmel. Wir hätten ein Paradies bauen müssen, aus Menschlichkeit, Achtsamkeit, Respekt und harmonischem Miteinander. Aber wir haben die Gier als Leitmotiv in unserer Gesellschaft zugelassen und das ist eine katastrophale Fehlentwicklung. Ich erachte das als Generationsversagen, das unsere Kinder jetzt ausbaden müssen. Dagegen müssen wir etwas unternehmen: Eine andere Gefühlswelt erschaffen, ein achtsames Miteinander, old Rebels and young Rebels, Hand in Hand, wie auch zwei Songs aus unserem aktuellen Album „Utopia For Realists“ heißen. Warum ist es uns misslungen, unsere Grundwerte, wie Gleichberechtigung, besser umzusetzen und Homophobie und Antisemitismus erfolgreicher zu bekämpfen? Es sollte doch auch möglich sein, unseren Wertekanon als Teil der Willkommenskultur zu vermitteln. Und das sage ich als ehemaliger, illegaler Einwanderer, der im Alter von 22 Jahren nach Deutschland kam, kein Wort Deutsch sprach und um Asyl bat. Als Künstler war mir der Kampf gegen Antisemitismus immer sehr wichtig. Ich empfinde es als Christ als eine Schande, dass in Berlin jüdische Kindergärten geschützt werden müssen. Das ist keine polizeiliche Aufgabe, sondern eine gesellschaftliche. In der Hinsicht bin ich auf meine Geburtsstadt Budapest stolz, dass es hier eine Selbstverständlichkeit ist, dass Europas größte Synagoge kein Bewachungspersonal braucht. Wir müssen unsere Grundwerte verbindlich vermitteln. Deutschland ist ein wunderbares und liebenswertes Land, deshalb: keine Toleranz für Intoleranz. Aus meiner Sicht ist Integration eine Bringschuld der Einwanderer. Wir sollten ihnen aber auch die wahrhaftige Chance geben, die Kultur und die Werte dieses Landes zu entdecken und sich diese zu eigen machen zu können. Sie sagen von sich, dass Sie unbequem sind, um etwas verändern zu können. Was halten Sie von den Klimaklebern, die ja auch gerade sehr unbequem sind? Ich finde die Form des Protestes falsch und lehne sie deshalb ab. Der Anlass ist natürlich wichtig und das Anliegen ist berechtigt, die Methode aber kontraproduktiv. Vor dieser Bewegung war die Bereitschaft, sich mit der Klimapolitik zu beschäftigen, aber höher als jetzt. Das lehrt uns, dass das nicht der richtige Weg des Protestes war. Sie wettern oft gegen die sozialen Medien. Warum? Ich halte die sozialen Medien für eine schwere Bedrohung unserer Gesellschaft, weil durch die Algorithmen immer das Konfrontative die größte Aufmerksamkeit erhält. Dadurch hat Fake keine Grenzen. Früher waren Wissenschaftler, Künstler und Unternehmer die Leitfiguren einer Gesellschaft, heute sind es Influencer. Diejenigen, die keinen Beitrag, keinen Mehrwert zur Gesellschaft geleistet haben, werden Influencer. Wenn Haltung, Meinung und Fakten nicht mehr für sich selbst stehende Säulen der Kommunikation sind, sind die Demokratie und die Freiheit bedroht. Wenn wir heute die Demoskopie anschauen, wird Einiges klar. Eines der größten Probleme der sozialen Medien ist, dass zu oft Meinungen geäußert werden, aber nicht unter dem eigenen Namen. Diese Anonymisierung trägt nicht zu einem Verantwortungsgefühl bei. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir den Journalismus schützen müssen. Das ist eine wahrhaftige Säule unserer freiheitlichen Demokratie. Gegenrede und Diskurs müssen wieder völlig natürlich und selbstverständlich werden. Dafür brauchen wir einen Journalismus, der nicht unter dem Druck der sozialen Medien leidet. Sie sind Vater von drei Kindern. War es Ihr Wunsch, dass Ihre Kinder in Ihre Fußstapfen treten? Ich habe meine Rolle als Vater klar definiert, denn ich halte sie für die wichtigste meines Lebens. Ich wollte zwei Dinge vermitteln: Mein kosmopolitisches Weltbild als tiefe Wurzel und starke Flügel. Ich habe versucht, ein starker Baum zu sein, der keinen Schatten wirft, sondern in dessen Baumkrone sich eine Aussichtsplattform befindet, von der aus die Kinder die Welt anschauen und ihren eigenen Platz in ihr finden können. Ich habe meine Kinder schon früh überallhin mitgenommen. Schon als Kleinkinder waren sie mit mir in Amerika, sind im Studio rumgesprungen und waren mit auf Tourneen. Meine Tochter Lara ist Schauspielerin. Mein Sohn Gabor ist ein großartiger Musiker und Designer. Auch meine jüngste Tochter Julia ist eine grandiose Musikerin. Ich würde sogar sagen, sie ist talentierter als ich. Sie ist sehr rebellisch, nimmt kein Blatt vor den Mund, engagiert sich gesellschaftlich und ist immer an vorderster Front zu finden – wie ihr Vater. Wir machen musikalisch immer mal wieder etwas zusammen. Auch für unser neues Album hat sie einen Song komponiert. Bei der Jubiläumstour kann sie leider nicht dabei sein, weil sie selbst auf den Bühnen dieser Welt unterwegs ist. Es ist schön, dass sie ihren eigenen beruflichen Weg geht.