Saturday, August 5, 2023
Bayerische Grünen-Chefin zur Landtagswahl: „Wir gehören in Regierungsverantwortung“
Merkur
Bayerische Grünen-Chefin zur Landtagswahl: „Wir gehören in Regierungsverantwortung“
9 Std.
Grünen-Chefin Katharina Schulze will nach zehn Jahren Opposition erstmals in Bayern mitregieren.
Im Interview mit Table.Media erklärt sie, warum ihre Partei trotz aller Differenzen mit Markus Söder‘ CSU koalieren würde und warum der seinen Wirtschaftsminister eigentlich hätte entlassen müssen.
Markus Söder und Hubert Aiwanger propagieren seit vielen Monaten die Fortsetzung ihrer Koalition. Machen Sie sich wirklich noch Hoffnungen auf eine grüne Regierungsbeteiligung?
Das Schöne an der Demokratie ist ja, dass Söder und Aiwanger sich viel überlegen können. Aber die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Und ganz viele haben sich noch nicht entschieden. Ich bin überzeugt: Grüne gehören in Regierungsverantwortung, um Probleme anzupacken und zu lösen.
Als Markus Söder vor zwei Jahren davon geträumt hat, Kanzler zu werden, hat er regelrecht von Schwarz-Grün geschwärmt. Jetzt sind die Grünen sein Erzfeind. Glauben Sie, dass sich das wieder ändern kann?
Markus Söder schafft es, ohne rot zu werden, an dem einen Tag das eine und am nächsten das andere zu erzählen. Deswegen noch einmal: Nicht Markus Söder entscheidet, wie die nächste Koalition aussieht, sondern die Wählerinnen und Wähler. Wir gehen mit guten Ideen für Bayerns Zukunft in diesen Wahlkampf, um so stark zu werden, wie es nur irgendwie geht, um dann Regierungsverantwortung zu übernehmen. Fünf weitere Jahre Stillstand kann sich unser schöner Freistaat nicht leisten.
Sollte Markus Söder am Wahlabend also sagen: Komm, lass uns vergessen, was war – würden Sie sich darauf einlassen?
Ich bin nicht in die Politik gegangen, um in Schönheit am Spielfeldrand zu sterben. Man macht Politik, um Realitäten zu verändern, weil man Ideen für eine gute Zukunft für alle Menschen hat.
In einen Satz übersetzt: Ja, ich, Katharina Schulze stünde als Stellvertreterin von Markus Söder in einer gemeinsamen schwarz-grünen Regierung zur Verfügung.
Das diskutieren wir dann anhand der Inhalte.
Wie übel nehmen Sie als Unter-40-Jährige es Söder, dass er verhindert hat, die Altersgrenze für Ministerpräsidenten von 40 herunterzusetzen – und damit Ihre Chance aufs Amt?
Gute Politik ist keine Frage des Alters. Die Grenze von 40 Jahren ist in meinen Augen völlig aus der Zeit gefallen. Gucken wir uns doch mal in der Welt um: Frankreich, Finnland, Neuseeland wurden alle schon von Unter-40-Jährigen regiert. Interessanterweise hat die Söder-Regierung die Wählbarkeit bei Kommunalwahlen für Ältere gelockert. Man darf in Bayern jetzt so alt sein, wie man möchte, um Bürgermeister oder Bürgermeisterin zu werden – aber nicht zwischen 18 und 40, um das Ministerpräsidentenamt anzustreben. Wir Grüne finden Altersdiskriminierung in beide Richtungen Quatsch.
Es ist ja kein Geheimnis, dass es letztlich eine Lex Schulze war.
(lacht) Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mir mal wünschen würde, älter zu sein. Im Juni, als ich 38 Jahre alt geworden bin, haben mir einige zum „40-minus-zweiten“-Geburtstag gratuliert.
Heizungsgesetz: „Wir haben uns verloren in Details“
Vor einem Jahr standen Sie bei 20 Prozent, jetzt sind Sie auf 15 bis 16 abgerutscht. Wie viel haben Ampel-Streitereien dazu beigetragen?
In Bayern standen die Grünen jahrzehntelang zwischen 5 und 9 Prozent. Bei der Landtagswahl 2018 sind wir auf 17,6 gekommen – unser historisches bestes Ergebnis. Seitdem sind wir klar zweitstärkste Kraft. Das konnten wir halten und das ist erstmal eine sehr, sehr gute Ausgangslage. Das möchten wir natürlich noch steigern. Die letzten Monate waren für uns Grüne nicht leicht. Wir mussten kämpfen und wir müssen weiterkämpfen. Gewisse Diskussionen, Desinformationskampagnen, aber auch unsere eigene Kommunikation aus der Bundesregierung waren schwierig. Auf der anderen Seite sind wir als bayerische Grüne und ich auch persönlich sehr stolz und froh, dass wir im Bund in Regierungsverantwortung sind. Es geht so viel vorwärts! Ich würde das für nichts in der Welt eintauschen wollen.
Aber waren das wirklich nur Desinformation und kommunikative Fehler? Sehen Sie beim Heizungsgesetz im Rückblick nicht auch politische und handwerkliche Fehler?
Ich stehe inhaltlich zu dem Gesetz. Wir müssen die Wärmewende in den Gebäuden anpacken. Daran geht kein Weg vorbei. Wir wollen nicht, dass sich die Menschen mit einer neuen Gasheizung eine Kostenfalle in den Keller bauen. Und wenn wir auch nur annähernd das 1,5 Grad-Klima-Ziel erreichen wollen, müssen wir CO₂ reduzieren, auch bei Gebäuden. Was nicht optimal lief, ist eindeutig die Kommunikation. Ich glaube, wir haben zu wenig über das Warum geredet. Wir haben uns am Ende verloren in Details. Alles klang sehr kompliziert, wir haben gar nicht mehr gesagt, warum das nötig ist. Das war nicht gut gelöst. Und dann haben politische Mitbewerber von angeblichen Heizungsverboten schwadroniert und den Leuten wirklich Angst gemacht: Gefühlt kommt morgen jemand vorbei und reißt die funktionierende Ölheizung raus. Das stand natürlich nie zur Debatte. Das war immer Schmarrn. Wir Grüne müssen daraus lernen, dass wir bei Gesetzen, die kontrovers sein könnten, von Anfang an besser erklären.
Auf Landesebene haben die Grünen dieses Jahr auch wegen eigener Fehler Wahlniederlagen erlebt. Droht so etwas wie die Bremer Brötchentaste auch in Bayern?
Mein innerer Kompass als Grüne war schon immer: pragmatisch die Welt retten. Das bedeutet: kluge Lösungen anbieten, mit denen wir das Leben der Menschen besser machen und gleichzeitig natürliche Lebensgrundlagen schützen. Bei der Mobilität heißt das: Wir wollen mehr in den ÖPNV investieren, wissen aber sehr wohl, dass Bayern ein Flächenland ist. Es wird immer den Individualverkehr mit dem privaten Auto geben. Das soll nur eben sauber fahren. Also, was ist unser Job? Ein Ladesäulen-Netz über das Land verteilen, damit die Reichweiten-Angst weg ist und jeder einfach Strom tanken kann. So haben wir die letzten fünf Jahre im Landtag gearbeitet: sehr konzeptionell getrieben, wir haben Dinge gut durchdacht und finanziell sauber durchgerechnet.
In den Augen vieler haben sich die Grünen seit der letzten Bundestagswahl zurückentwickelt zu einer Partei, die vorwiegend Politik für ihre eigene Blase in den urbanen Zentren macht.
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Wir bayerische Grüne machen das nicht. Wir tun viel fürs Land: Die Energiewende findet vorwiegend auf dem Land statt. Wir wollen, dass die Menschen an jedem Windrad und jeder Photovoltaikanlage mitverdienen können. Die Menschen auf dem Land wissen selbst am besten, was sie brauchen. Wir geben ihnen Gestaltungsmacht, Gehör und die finanziellen Mittel, ihre Ideen auch umsetzen zu können. Ich höre immer wieder: Die vegane Bratwurst auf dem Volksfest ist jetzt nicht das größte Problem von bayerischen Unternehmerinnen und Unternehmern. Die haben andere Sorgen. Wir müssen die Probleme lösen.
Das Schöne: Selbst in Bayern müssen Windräder gebaut werden.
Glauben Sie, dass sich die Grünen bis zur Bundestagswahl in zwei Jahren weit genug erholen, damit es überhaupt sinnvoll ist, jemand ins Rennen ums Kanzleramt zu schicken?
Ich finde, dass die Grünen in der Bundesregierung einen guten Job machen. Ich bin sehr froh, dass Robert Habeck unser Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler ist. Wir sind gut durch den letzten Winter gekommen, wo mancher geunkt hat, wir würden frierend unterm Weihnachtsbaum liegen und müssten die Industrie abschalten. Das fand alles nicht statt, dank der guten Arbeit von Robert Habeck und der Bundesregierung. Und das Schöne: Selbst in Bayern müssen jetzt Windräder gebaut werden. Allein dafür hat sich die Bundesregierung schon gelohnt. Aber der Dauerstreit der vergangenen Monate hat allen Regierungsparteien geschadet. Und er hat auch die Erfolge verdeckt. Ich hoffe, dass sich die Regierungspartner wieder zusammenraufen.
Zurück nach Bayern: Im Moment spricht alles dafür, dass die Koalition aus CSU und Freien Wählern weiterregieren kann.
Gerade in den letzten Wochen haben wir in Bayern wirklich gemerkt, dass viele Sorge haben bei dieser Konstellation. Viele Leute wollen diese spalterische Regierung nicht, sie wollen anständig regiert werden. Wenn Hubert Aiwanger, der stellvertretende Ministerpräsident, davon schwadroniert, die schweigende Mehrheit müsse sich die Demokratie zurückholen, sind das Aussagen, die man sonst von Trump und Co. kennt. Und dafür trägt auch Markus Söder eine Verantwortung. Er ist der Chef dieses Kabinetts, er ist ja selbst dem Populismus nicht immer abgeneigt, er hätte seinen Vize nach diesen Worten entlassen müssen. Wer die Demokratie in Frage stellt, kann sie nicht gleichzeitig vertreten.
Groß geschadet hat es beiden bisher aber nicht.
Die CSU hatte zuletzt 38 Prozent. Dafür, dass Söder seit Monaten in jedem Bierzelt ist, gefühlt jedem Neugeborenen Strampler überreicht und allen eine Bratwurst in die Hand drückt, ist nicht einmal ein Prozent Zuwachs seit der Wahl 2018 kein guter Wert. Die AfD haben sie damit auch nicht kleinbekommen. Das ist genau das Gefährliche: Wenn man das Lied der Rechten singt, werden die nur stärker. Umfragen zeigen, dass viele Menschen in Bayern Angst vor diesem Rechtsrutsch haben und auch erwarten, dass eine Staatsregierung sich dem entgegenstellt, statt selbst nach ganz rechts zu rutschen.
Gleichzeitig vereinen CSU, Freie Wähler und AfD in aktuellen Umfragen fast zwei Drittel der Stimmen auf sich. Eine Sehnsucht nach progressiver Politik lässt sich daraus kaum ableiten. Ist Bayern im Grunde ein rechtskonservatives Land?
Ich erlebe Bayern als ein vielfältiges Land, in dem ganz viele Menschen leben, die die Parolen der AfD weit von sich weisen. Ich erlebe ein Land, wo ganz viele Menschen es unanständig finden, wenn ein stellvertretender Ministerpräsident demokratiefeindliche Aussagen macht, Falschbehauptungen aufstellt und Feindbilder aufbaut.
„Bayern hat einen anderen Stil verdient“
Aber der Traum von einem Bündnis jenseits der CSU, das kurz nach der Bundestagswahl möglich erschien, ist längst geplatzt. Die SPD steht erneut vor einem Desaster, die FDP hängt bei 4 Prozent.
Ich trage für meine Partei Verantwortung. Mein Ziel ist, die Grünen in Regierungsverantwortung zu bekommen, um die Herausforderungen zu lösen. Wir haben Wählerinnen und Wähler 2018 von beiden Parteien – SPD und CSU – dazugewonnen. Wir sind eindeutig die Kraft der progressiven Mitte.
Regierungsverantwortung zu übernehmen, heißt für Sie also: Schwarz-Grün?
Ich bin jetzt seit zehn Jahren in der Opposition. In diesen zehn Jahren ist in Bayern wahnsinnig viel liegengeblieben. Das wollen wir in Regierungsverantwortung angehen. Als Demokratin ist es für mich selbstverständlich, mit anderen Demokraten und Demokratinnen zu reden, gemeinsame Ideen fürs ganze Land zu entwickeln und Antworten zu geben auf zentrale Fragen: Wie wollen wir in Zukunft miteinander leben? Wie wollen wir miteinander umgehen?
Bei allen Diskrepanzen: Haben Sie eine Idee davon, wie eine schwarz-grüne Erzählung aussehen könnte?
Bei der letzten Fastnacht in Franken war ich ja als Bavaria verkleidet. Und Landtagspräsidentin Ilse Aigner – zufälligerweise – auch. Das war witzig, wir haben das Kostüm ein bisschen unterschiedlich interpretiert. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Mails ich danach bekommen haben von Leuten, die gesagt haben: „Hey, wir haben die Fotos gesehen. So kann bayerische Politik also auch sein.“ Was ich damit sagen will: Bayern hat einen anderen Stil verdient. Es geht nicht darum, immer nur Ellenbogen zu zeigen und andere runterzumachen, sondern das Potenzial der Gesellschaft zu heben und das Beste aus verschiedenen Welten zu vereinen. Das hat Kraft, da entfaltet sich Dynamik.
Sollten die Grünen nach der Wahl weiter in der Opposition bleiben, wäre es für Sie dann nicht reizvoll, 2025 auf die Bundesebene zu wechseln?
Wir haben noch etwas mehr als zwei Monate bis zur Landtagswahl. Ich bin Spitzenkandidatin meiner Partei, ich bin Fraktionsvorsitzende, ich habe in Bayern genug zu tun. Wir setzen alles daran, die Regierungsverantwortung für dieses Land zu übernehmen. Das ist mein Fokus.
„In der Politik geht es nicht darum, Freundinnen und Freunde zu finden“
Zusammengefasst: Sie bleiben in Bayern, auch wenn das weiter Opposition bedeutet.
Das Schöne an der Demokratie ist, dass alle fünf Jahre die Karten neu gemischt werden. Ich bin bei den Grünen eingetreten, da waren wir eine kleine Partei. Jetzt sind wir deutlich größer und stärker: Und es geht noch mehr. Mir liegen Bayerns Menschen am Herzen, mir liegt Bayerns Klima am Herzen – auch sein gesellschaftliches. Dafür will ich weiter kämpfen.
Grünen-Chef Omid Nouripour könnte Sie sich gut als bayerische Innenministerin vorstellen.
Ich halte erst mal überhaupt nichts davon, jetzt schon irgendwelche Ministerien zu verteilen.
Immerhin gibt es für Ministerinnen und Minister keine Altersgrenze.
Stimmt.
Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Markus Söder?
In der Politik geht es nicht darum, Freundinnen und Freunde zu finden. Man muss versuchen, gemeinsam das Beste für die Menschen im Land zu tun. Ich sehe das ganz pragmatisch, das gilt auch für mein Verhältnis zu Markus Söder.
Duzen Sie sich eigentlich?
Nein.
Aber Hubert Aiwanger schon.
Ja. Wir waren bis 2018 beide Fraktionsvorsitzende, da hat man häufiger miteinander zu tun.
Damals war die CSU für Hubert Aiwanger noch der Hauptgegner.
Und jetzt haben wir fast eine Alleinregierung in Bayern, weil die Freien Wähler aus der CSU kommen und in der Regierung keine eigenen Akzente setzen. Es ist irgendwie Fleisch vom Fleische, sehr ähnlich. Neues entsteht durch Vielfalt.
(Von Peter Fahrenholz und Franziska Klemenz)