Friday, August 11, 2023

Die Russland-Liebe eines Bundeswehr-Hauptmanns

WELT Die Russland-Liebe eines Bundeswehr-Hauptmanns Artikel von Dirk Banse, Martin Lutz, Uwe Müller • 1 Std. AfD-Nähe und Linken-Flirt: Der Offizier Thomas H. war politisch offenbar in verschiedenen Milieus unterwegs. Als er sich Moskau als Agent anbot, agierte er wie ein Amateur. Trotzdem macht der Fall deutlich, dass es gravierende Sicherheitslücken bei der Bundeswehr gibt. Anlaufpunkt für Agenten: Die Russische Botschaft in Berlin Nach der Verhaftung des Offiziers Thomas H. im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz steht die Praxis der Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern mit Zugang zu sensiblen Informationen in der Kritik. H. wird verdächtigt, Russland interne Dokumente seiner Behörde angeboten zu haben. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, Konstantin von Notz (Grüne), sagte WELT AM SONNTAG: „Der Bereich der Sicherheitsüberprüfungen und ihres statischen Drei-Stufen-Systems gehört genauso auf den Prüfstand wie die langwierigen und unflexiblen Prüfverfahren.“ Aufgrund der veränderten Sicherheitslage durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine plädiert von Notz dafür, die Verfahren der Bedrohungslage anzupassen. Er kritisiert, dass die „erweiterten Sicherheitsüberprüfungen mit Ermittlungen“ viel zu lange dauerten. Diese müssten bis Ende 2024 deutlich verkürzt sowie die Arbeitsprozesse technisch modernisiert und digitalisiert werden. Nach Informationen aus Sicherheitsbehörden gibt es bei Überprüfungen nicht nur in der Bundeswehr einen langen Stau. Deshalb besteht die Gefahr, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen in staatlichen Einrichtungen nicht rechtzeitig erkannt werden. Bei der Bundeswehr wirkt neben der jeweiligen Behörde der Militärische Abschirmdienst (MAD) bei den Sicherheitsüberprüfungen mit. Der MAD ist für die Spionageabwehr zuständig. Art und Umfang der Überprüfungen richten sich danach, ob und inwiefern Bedienstete Zugang zu vertraulichen Vorgängen erhalten. Das Gesetz sieht drei Stufen vor: die einfache Überprüfung, „Ü1“ genannt. Bei der „Ü2“ werden zusätzlich Anfragen bei den Polizeidienststellen am Wohnsitz des zu Überprüfenden eingeholt. Die „Ü3“ sieht vor, auch die Ehe- und Familienverhältnisse zu durchleuchten und Ermittlungen im näheren Lebensumfeld durchzuführen. Besuch im Generalkonsulat Welches Verfahren der Hauptmann H. durchlaufen hatte, ist unbekannt. „Zu den Sicherheitsüberprüfungen geben wir keine Auskunft“, teilte das Koblenzer Beschaffungsamt der Bundeswehr mit. H. sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Generalbundesanwalt Peter Frank ließ ihn am 9. August festnehmen, weil er dringend verdächtig ist, für einen russischen Geheimdienst tätig gewesen zu sein. H. soll ab Mai dieses Jahres mehrfach das Russische Generalkonsulat in Bonn und die Russische Botschaft in Berlin aufgesucht haben. Offenbar war ihm dabei nicht bewusst, dass diese Einrichtungen überwacht werden. Deshalb geriet er in das Visier des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das den Fall an den MAD weiterreichte. Während H. in Koblenz verhaftet wurde, durchsuchte das Bundeskriminalamt sein Haus in der 60 Kilometer entfernten Hunsrück-Gemeinde Argenthal und beschlagnahmte dort kartonweise Unterlagen. Die Beamten waren um 8.30 Uhr mit vier Zivilfahrzeugen angerückt und setzten Spürhunde ein. Streifenwagen der Polizei sperrten die Sackgasse mit dem Anwesen von H. ab, der Einsatz dauerte rund neun Stunden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bezeichnete den Fall als „krasse Ausnahme“. Die Behörden müssten trotzdem wachsam sein. „Spionage ist keine Erinnerung aus dem Kalten Krieg, sondern eine Herausforderung“, sagte Buschmann WELT TV. In Zeiten einer konfliktreicheren Welt würden die Spionagetätigkeiten zunehmen. Die Ermittlungen gegen H. seien als vertrauliche Verschlusssache eingestuft worden. Im Jargon der Geheimdienste gilt H. als Selbstanbieter, also als jemand, der seine Dienste als Spion aus eigenem Antrieb offeriert. Dass er sich dabei amateurhaft anstellte, dürfte kaum strafmildernd ins Gewicht fallen. Ihm wird nach Paragraf 99 des Strafgesetzbuches ein besonders schwerer Fall der geheimdienstlichen Agententätigkeit vorgeworfen. Dieser liegt etwa dann vor, wenn der Täter Sachverhalte preisgibt, die von einer amtlichen Stelle geheim gehalten werden. Für dieses Delikt ist eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vorgesehen. H. soll im Beschaffungsamt der Bundeswehr in der Abteilung U 5 tätig gewesen sein. Der Buchstabe U steht für die Abteilung „Land-Unterstützung“, die Ziffer 5 für „Elektronische Kampfführung, Aufklärung, Flugsicherung, Identifizierung“. Mithin war H. mutmaßlich mit sensibler Wehrtechnik befasst, die für Nato-feindliche Mächte von großem Interesse ist. Tatort Koblenz: das Beschaffungsamt der Bundeswehr Als ein Motiv des Hauptmanns wird Frust am Arbeitsplatz vermutet. Seine Behörde mit 10.800 Bediensteten gilt als schwerfällig und ineffizient. Bereits im April 2022 hatte der Bundesrechnungshof moniert: „Korruptionsprävention im größten Beschaffungsamt der Bundeswehr seit Jahren mangelhaft“. Im Januar dieses Jahres kam das Verteidigungsministerium in einem vertraulichen Lagebericht ebenfalls zu diesem Ergebnis. Nach Angaben aus Sicherheitsbehörden soll H. zuletzt Sympathien für die Rechtsaußenpartei gezeigt haben. Zuvor war er offenbar in einem anderen politischen Spektrum unterwegs, berichtet die „Zeit“. Demnach soll H. früher ein Fan der Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht gewesen sein, die für ihren Kreml-freundlichen Kurs bekannt ist. Offenbar hat H. das imponiert. „Koblenz ist kein Einzelfall“ Die Russland-Affinität des Bundeswehroffiziers ging schließlich so weit, dass er sich dessen Geheimdienst anbot. Dieser ist ohnehin derzeit in Deutschland verstärkt aktiv. Der MAD sagte dieser Zeitung: „Russische Nachrichtendienste betreiben offene und verdeckte Informationsbeschaffung auch gegen die Bundeswehr. Dazu gehört auch der Versuch, sensitive Informationen mit Mitteln der offenen Gesprächsabschöpfung, der Ausspähung sowie durch klassische nachrichtendienstliche Methoden wie der Quellenführung zu beschaffen.“ Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sagte WELT AM SONNTAG, dass die russischen Dienste ausforschen wollen, „welche weiteren Unterstützungsmaßnahmen möglich beziehungsweise geplant sind, insbesondere, welche weiteren Beiträge die Bundeswehr zur Verteidigung der Ukraine leisten könnte“. Denn Deutschland unterstütze die Ukraine im besonderen Maße bei der Abwehr des russischen Angriffs, politisch und finanziell, sowie durch die Lieferung von Waffen und die Ausbildung ukrainischer Soldaten. „Koblenz ist kein Einzelfall“, sagte der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries, der wie von Notz im Parlamentarischen Kontrollgremium sitzt. Er stellt einen Paradigmenwechsel der russischen Dienste fest. Die russische Seite versuche, die Bundeswehr systematisch auszuspionieren. Trotz des Angriffskriegs Putins gebe es bei einigen Bundeswehrsoldaten offenbar eine gewisse Affinität zu Russland.