Tuesday, April 15, 2025

Noch rund sechzehn Flugzeuge mit Afghanen sind in Deutschland zu erwarten, wenn die Zusagen der «Ampel» eingehalten werden

Neue Zürcher Zeitung Deutschland Noch rund sechzehn Flugzeuge mit Afghanen sind in Deutschland zu erwarten, wenn die Zusagen der «Ampel» eingehalten werden Fatina Keilani, Berlin • 10 Std. • 4 Minuten Lesezeit Am Flughafen Leipzig landet an diesem Mittwoch das nächste Flugzeug mit Afghanen. Die alte Bundesregierung ist zwar nur noch geschäftsführend im Amt, fliegt aber weiter Afghanen nach Deutschland ein. Im Jahr 2025 sind bisher 605 Personen eingereist. An diesem Mittwoch landet ein Flugzeug mit weiteren 162 Afghaninnen und Afghanen an Bord in Leipzig; zwei weitere Flüge sind noch für den April angekündigt. Die wichtigsten Fragen und Antworten. Welche Aufnahmeprogramme gibt es? Es gibt für Afghanen mehrere Wege, nach Deutschland zu kommen: das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan, das Ortskräfteprogramm, die Menschenrechtsliste und das Überbrückungsprogramm. Am bekanntesten ist das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan, das es seit Oktober 2022 gibt, auch wenn darüber die wenigsten Personen kommen. Mit diesem sollen gefährdete Personen, etwa Aktivisten, Journalisten, Frauenrechtlerinnen, nach Deutschland geholt werden. Die Auswahl trifft ein Netzwerk von «Vertrauenspersonen» und Organisationen (meist NGO), die gefährdete Personen vorschlagen können. Welche Organisationen das sind, wird nicht verraten. Die potenziellen Einreisenden werden dann vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geprüft. Rund 1000 Personen plus Angehörige (meist kommen vier Angehörige auf eine Person) sollen jedes Jahr so aufgenommen werden. Gut 1300 sind bisher darüber eingereist. Das Ortskräfteprogramm richtet sich an Menschen, die von 2013 bis 2021 für die deutsche Regierung oder die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet haben, zum Beispiel als Dolmetscher, Fahrer oder Sicherheitspersonal. Für sie gelten seit August 2021 besondere «Aufnahmezusagen». Sie können nach Deutschland einreisen und müssen keinen Asylantrag stellen, sondern erhalten eine Aufenthaltserlaubnis zunächst für maximal drei Jahre. Knapp 25 000 Personen haben zwischen August 2021 und März 2025 im Rahmen des Ortskräfteverfahrens eine Aufnahmezusage bekommen; 20 806 Personen sind eingereist. Unter denen, die an diesem Mittwoch landen, sind nur 5 Ortskräfte und 19 ihrer Familienangehörigen. Über die Menschenrechtsliste und das Überbrückungsprogramm kamen bis Januar 2025 rund 14 000 Personen, wie aus einer aktuellen Bundestagsdrucksache hervorgeht. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums lagen für alle Programme zusammen bis Ende Februar für rund 46 000 Personen Aufnahmeerklärungen vor. Rund 36 000 Personen sind darüber nach Deutschland eingereist. Um die Zahl der Eingeflogenen zu erhöhen, wurde das Visa-Personal der deutschen Botschaft in Islamabad verstärkt. Die allermeisten Afghanen kommen aber ohne Programm auf dem Landweg nach Deutschland und beantragen Asyl. Ende 2023 lebten 322 600 Personen aus Afghanistan in Deutschland, die hier Schutz gesucht hatten. Rund 252 000 von ihnen waren Ende 2023 anerkannte Flüchtlinge. Welches sind die Rechtsgrundlagen der Aufnahme? Rechtsgrundlagen sind die Paragrafen 22 und 23 des Aufenthaltsgesetzes, wonach Ausländer aus dem Ausland aufgenommen werden und eine Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären Gründen erteilt werden kann. Das Bundesinnenministerium hat dabei freie Hand zu bestimmen, wer kommen darf. Laut Innenministerium werden sorgfältige Sicherheitsüberprüfungen vorgenommen. Die Landesbehörden erteilen dann die jeweilige Aufenthaltserlaubnis. Im Rahmen des Ortskräfteverfahrens wurden knapp 25 000 Aufnahmezusagen erteilt. Sie sind rechtlich verbindlich und geben der jeweiligen Person einen Anspruch. Das stellt die noch amtierende Bundesregierung klar. Die bereits erteilten Zusagen müsse auch die neue Bundesregierung einhalten. Vielleicht ist das der Grund, warum es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heisst: «Wir werden freiwillige Bundesaufnahmeprogramme so weit wie möglich beenden (zum Beispiel Afghanistan) und keine neuen Programme auflegen.» Laut Auswärtigem Amt befinden sich in Pakistan noch rund 2800 Menschen mit verbindlichen Aufnahmezusagen. Das entspricht 16 weiteren Flugzeugen. Für ihren Unterhalt in Pakistan kommt die Bundesrepublik auf. Pakistan möchte die dorthin geflüchteten Afghanen gerne loswerden. Das Land hat mit Massenabschiebungen afghanischer Flüchtlinge begonnen. Langfristig sollen drei Millionen Menschen aus dem Land gedrängt werden. Wie lautet die Kritik im politischen Raum? Zahlreiche Mitglieder der Union äusserten sich verärgert darüber, dass die grüne Aussenministerin Annalena Baerbock ihr Programm weiterverfolgt, obwohl sie nur noch geschäftsführend tätig ist und die künftige Regierung eine andere Linie vertritt. «Der politische Anstand gebietet einer geschäftsführenden Bundesregierung, masszuhalten und nicht noch das zu intensivieren, wofür die neue Bundesregierung bekanntermassen genau nicht stehen wird», sagte etwa Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. In seinem Bundesland kommt das nächste Flugzeug an. Zuvor hatte schon der CSU-Generalsekretär Martin Huber kritisiert, dass Baerbock bis zum Schluss «rücksichtslos die eigene Ideologie durchzieht». Dies nannte er «unanständig». Die Bundespolizeigewerkschaft hatte schon vor einem Monat gefordert, das Programm abzuschaffen, und auf die Risiken hingewiesen. Es sei mehrfach zu Unstimmigkeiten bei der Klärung der Identitäten gekommen. Vor dem Hintergrund der angespannten Sicherheitslage in Bezug auf den islamistischen Terrorismus sei das nicht zu verantworten. Die am Bundesaufnahmeprogramm beteiligten NGO fordern eine Fortsetzung des Programms. Konkret verlangen sie die Erteilung weiterer Aufnahmezusagen für alle Einzelfälle, die bereits ausgewählt, kontaktiert und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geprüft wurden. Der Appell der NGO vom Dezember wurde von 26 NGO unterzeichnet. Damals war die Ampelregierung vorzeitig zerbrochen. Wird sich mit der neuen Regierung etwas ändern? Laut dem CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann «werden diese Flieger aus Afghanistan nicht mehr kommen», sobald die neue Regierung unter Friedrich Merz gebildet ist. Das sagte Linnemann dem Sender Welt TV. Allerdings ist das nicht ganz so einfach: Die Verwaltung hat zumindest den in Pakistan wartenden Personen Zusagen gemacht, an die Deutschland gebunden ist, sofern es sich um bestandskräftige begünstigende Verwaltungsakte handelt. Eine solche Zusage zurückzunehmen, dürfte schwierig werden. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz nach ihrem Amtsantritt Anfang Mai einfach keine weiteren Flugzeuge mehr chartert, um die noch wartenden Personen einzufliegen. Die Betroffenen sässen dann zwar auf einer rechtlich gültigen Zusage, müssten jedoch von Pakistan aus versuchen, ihr Recht durchzusetzen, was schwierig und langwierig sein dürfte. Andererseits könnten sie dabei voraussichtlich auf die Hilfe der beteiligten NGO hoffen.