Friday, October 11, 2024

Markus Lanz: Amthor und Dröge beim schwarz-grünen Speeddating

Frankfurter Allgemeine Zeitung Markus Lanz: Amthor und Dröge beim schwarz-grünen Speeddating Artikel von Patrick Schlereth • 19 Std. • 4 Minuten Lesezeit Wollten Sie schon immer wissen, was Philipp Amthor, der adrette CDU-Mann mit Deutschland-Flagge am Revers, in seiner Aktentasche mit sich führt? Sie erfahren es auf Tiktok: ein Grundgesetz im Miniaturformat, Schuhcreme natürlich, „immer wichtig“, eine Powerbank, sehr viele Kabel, ein iPad, eine „Tagesmappe“ und „Stifte verschiedener Couleur – und die anderen Sachen müssen leider geheim bleiben.“ Sichtlich genießt Amthor die Aufmerksamkeit, die ihm beim spätabendlichen ZDF-Talk bei Markus Lanz durch den Tiktok-Einspieler zuteilwird. Auch das harte Urteil von Maja Zaubitzer, Vertreterin der Bundesschülerkonferenz, ficht ihn nicht an. „Sie versuchen sich oft, jugendnaher zu geben, als sie eigentlich sind“, sagt die 16-Jährige, aber das hört Amthor sicher nicht zum ersten Mal. Es ist genau die Rolle, mit der der CDU-Politiker kokettiert: im Geiste alter Spießbürger, gefangen im Körper eines Jungspunds. Das Heizungsgesetz bleibt Dröge erspart Mit 31 Jahren bleibt Amthor, Lobbyaffäre hin oder her, die Nachwuchshoffnung der CDU. Bei den Grünen sind die jungen Leute gerade in Scharen aus der Partei ausgetreten. Dass Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sich vom jungkonservativen Amthor erklären lassen muss, wie man die Erstwähler für sich gewinnt, hätte sie sich vor ein paar Jahren wohl nicht erträumen lassen. Aber der Zeitgeist hat sich gedreht, woke ist out. Bei der Europawahl wählte die Jugend die Union oder die AfD, während die Grünen fast zwei Drittel der Stimmen verloren. „Der Leibhaftige hat keinen Klumpfuß, sondern eine Wärmepumpe“, wie Lanz es formuliert. Das Heizungsgesetz bleibt Dröge in der Sendung erspart, aber um die Migration kommt sie nicht herum – ein Thema, dass die Grünen in der Vergangenheit „sehr defensiv und sprachlos“ angingen, wie sie zugibt, ohne diesmal aus der Defensive herauszukommen. Ihre Ausführungen zum gerechten Verteilungsschlüssel innerhalb der EU, der im Rahmen der Asylreform bis 2026 nun wirklich komme, mag niemand in der Runde mehr hören. „Dieses System funktioniert nicht“, sagt Amthor. „Wir können nicht alle Probleme der ganzen Welt nur in den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland lösen.“ Die „aktivistischen Grünen“ hätten Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan blockiert. Daran knüpft der redselige Lanz gerne an: Was wäre denn, wenn sich knapp 40 Millionen asylberechtigte Afghanen auf den Weg nach Europa machten, Frau Dröge, und Österreich und Italien die Menschen zum „Zielland“ Deutschland durchwinke? Die meisten Afghanen flüchteten in die Nachbarländer, wehrte sich Dröge, aber die Botschaft des Lanzschen Gedankenspiels war angekommen: „Gibt es eine Grenze der Belastung?“ Darüber hinaus werden altbekannte Positionen ausgetauscht. Dröge appelliert an das Gewissen („Elf Kinder ertrinken jede Woche im Mittelmeer“), Amthor bleibt hart („Woher kommen die Leute, die in Deutschland einen Asylantrag stellen? Deutschland ist umgeben von sicheren Drittstaaten.“) Amthor: „Regieren bekommt den Grünen nicht gut“ Der offensichtliche Dissens in der Migrationsfrage war keine gute Voraussetzung für das schwarz-grüne Speeddating, das Lanz offensichtlich im Sinn hatte, als er zur Sendung einlud. In gewohnt penetranter Manier reitet er auf der Frage herum, wie die Absage von CDU-Chef Friedrich Merz zu interpretieren sei. Wo liegt die Betonung? „Mit diesen Grünen geht es nicht“ oder „mit diesen Grünen geht es nicht“? Den Richtungsstreit, den diese Grünen nach dem Rückzug des Parteivorsitzes durchmachen, den hat die CDU schon hinter sich. So kann sich Amthor entspannt zurücklehnen und die Grünen, bei denen gerade „mächtig viel durcheinander“ sei, in die Opposition zurückwünschen: „Das Regieren bekommt ihnen nicht gut.“ Um die Frage, wie er es nun im Falle eines Falles mit den Grünen hält, drückt sich Amthor herum. Nur auf die Inhalte komme es an, natürlich, und da sei man als CDU ganz klar: „Steuerpolitik verändern, Bürgergeld abschaffen, Migration wieder in Ordnung bringen.“ Das Versprechen: Wer die CDU wähle, bekomme keine „grünen Inhalte“. Nun ist es Amthor, der in die Defensive gerät. „Die harte Ausschlussrhetorik der Union ist unglaubwürdig und ein schwerer Fehler“, findet Michael Bröcker, Chefredakteur von Table Media. Immerhin funktioniere die Zusammenarbeit „an vielen Stellen im Land sehr gut.“ Auch Dröge hält Amthors Ausführungen für „unvernünftig“. „Sie tun so, als würde eine CDU nach der Wahl keine Kompromisse mit Koalitionspartnern machen“, sagt die Grünen-Fraktionschefin und beklagt sich darüber, dass Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer den grünen Koalitionspartner im Wahlkampf zum „Hauptgegner“ erklärt habe und nun mit den „Putin-Freunden“ vom BSW koalieren wolle. Damit ist das Dilemma der Union hinreichend beschrieben: Sie surft auf der antigrünen Welle, weil sie sich davon (zurecht) ein großes Wählerpotential erhofft, könnte die Grünen nach der Bundestagswahl aber noch brauchen, wenn sie es mit der Brandmauer zur AfD ernst meint. Diese Doppelstrategie ist gefährlich, einmal angefachte Ressentiments sind schwer zu bändigen. Im Zweifel kann Markus Söder helfen. Der biegsame CSU-Chef, einst Bienenfreund und Baumumarmer, heute knallharter Grünen-Gegner, könnte der Schwesterpartei erklären, wie man dem Wähler den nächsten Kursschwenk verkauft. Aber ist das dann noch glaubwürdig? „Söder hat sich verrannt“, sagt Journalist Bröcker – in der „heterogenen Parteienwelt im 21. Jahrhundert“ eine Zusammenarbeit mit den Grünen auszuschließen, sei „völliger Quatsch“, auch wenn der CSU-Chef damit zwischenzeitlich „alle antigrünen bürgerlichen Wähler auf seiner Seite versammelt kriegt.“ Andererseits: Die Grünen haben sich in der Ampel-Koalition als nicht weniger geschmeidig erwiesen. Einst als müslifutternde Ökopazifisten verschrien, verlängerten sie die Kernkraft, machten Gas-Deals mit Qatar und forderten so laut Waffen für die Ukraine wie sonst niemand. Also liegen Union und Grüne doch nicht so weit auseinander, wie das missglückte Speeddating bei Lanz vermuten lässt? Bröcker sieht Amthor schon „als Staatsminister im Kanzleramt neben Frau Dröge, you never know.“ Dabei wollte Amthor nur „über Tiktok reden, aber Ihr wollt wieder Koalitionsnippes anfangen“. Man kann ja schon mal vorfühlen. In elf Monaten wird gewählt – spätestens.