Saturday, May 6, 2023

Die Grünen: Hilflos im Heizungskeller

ZEIT ONLINE Die Grünen: Hilflos im Heizungskeller Artikel von Johannes Schneider • Gestern um 13:43 Vetternwirtschaft, Wärmepumpen, Boris Palmer: Die Grünen haben es derzeit nicht leicht. Dabei müssen sich ihre Gegner entscheiden, ob sie Deppen oder Dämonen bekämpfen. Erfolgreich verteufelt: Robert Habeck neben dem Tank einer Wärmepumpe In der Reihe "Die Pflichtverteidigung" ergreifen wir das Wort für Personen, Tiere, Dinge oder Gewohnheiten, die von vielen kritisiert und abgelehnt werden. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 18/2023. Es wird gewiss nicht einfach, aber wir wollen die Grünen aus dem Heizungskeller des Gesellschaftsgesprächs befreien. Dort halten sie liberalkonservative Politiker und Medien mit teils unaufrichtigen Verbotsdebatten gefangen. Allerdings: Was ist das auch, Stand jetzt, für eine Truppe? N-Wort-sagende Kommunalpolitiker, verschwägerte Ministeriumsgünstlinge, Fraktionen, die den Wunsch einer Politikerin nach einem NSU-Untersuchungsausschuss mit Ämterentzug bestrafen: Da ist gerade kein schöner Land in Sicht. Und zwar egal, von welcher Seite man es nun betrachtet, von rechts oder von links. Die Frage bei den Grünen ist dann, wenn es mit Demokratie und Antifaschismus grad nicht so gut läuft, ob sie wenigstens gut grün sind, also eine ökologische Fortschrittskraft. Auch Fehlanzeige! Eine Partei, deren Glaube an marktwirtschaftliche Lösungen sie sogar Koalitionen mit den Beharrungsradikalen von der FDP eingehen lässt, monopolisiert zugleich die Diskussion um Klima- und Naturschutz im Parlament. Andere Parteien, allen voran die FDP, verwenden derweil ihre Markenkernenergie darauf, diese Anliegen kleinzureden, mit abseitigen Scheinlösungen zu verwirren und andere Themen als noch wichtiger darzustellen. Als wäre das Klima nicht die drängendste soziale Frage dieser Zeit (links), Mittelpunkt jedes wirksamen Heimatschutzes (rechts) und Grundbedingung individueller Freiheit (liberal). Ach, wäre sie doch nie gegründet worden, diese unselige Partei, die ja ach so viel bewegt hat, zum Beispiel ihre eigenen Leute in höhere Ämter. Ach, wäre dieser Sündenbock alles gesellschaftlichen Scheiterns doch nie in die politische Arena gelaufen! Dann wäre da jetzt niemand, dem die anderen Anwesenden eine höhere Moral und davon herabgehendes Moralisieren unterstellen können, nur um sich dann genüsslich daran zu weiden, wenn er dem nicht gerecht wird. Als wäre damit die eigene Verkommenheit irgendwie kompensiert. Als wäre damit auch nur ein halbes politisches Problem gelöst. Richtig ist derweil: Die Grünen sind ein erstaunlich humorloser und stimmungstauber Verein, der gar nicht merkt, wie sein brotiges Look-and-feel immer weiter jene Vorurteile verstärkt, die dann an gesellschaftlichen Rändern zu glühender Feindschaft gerinnen. Das ändert nichts daran, dass es (lustigerweise auch im vermeintlich linksgrünen Medienmainstream) erstaunlich viele Leute gibt, die die Grünen stets einseitig negativ als extragraue Gestalten im goldenen Rahmen ihrer vermeintlichen moralischen Selbsterhöhung hinhängen. Es ändert auch nichts daran, dass diese Leute eine klitzekleine Mitverantwortung am verselbständigten und entmenschlichenden Hass tragen auf jene eingebildeten Grünen, die UNSERE DEUTSCHEN HEIZUNGEN durch MAXIMALPIGMENTIERTE KULTURBEREICHERER ersetzen wollen. Und zwar DURCH ZWANG! Oder so ähnlich. Vertrollung des politischen Diskurses Für eine seriöse Verteidigungsstrategie müssen wir hier nun erst einmal einiges aufdröseln, um zumindest die dümmliche, pauschalisierende und hetzerische Kritik an den Grünen wirkungsvoll zurückzuweisen. Intransparent behördliche Einflussverhältnisse mit verwandten oder verschwägerten Personen unterhalten? Schlecht! Als ökologisch interessierter Mensch in ökologisch orientierten Verbänden arbeiten und dabei andere ökologisch interessierte Leute kennenlernen, die einem in der weiteren Karriere ständig über die Füße fallen? Kann passieren wie anderen Leuten Vorstandsjobs in der Autoindustrie. Aber andere Frage: Wäre die jüngste Boulevardberichterstattung über die Energiewende auch dann vorstellbar, wenn man den Namen Robert Habeck durch Helmut Kohl ersetzt und "Heizungsverbot" durch "deutsche Einheit"? Auch da ging man schließlich mit horrenden Kosten ins Offene, und der begründeten Annahme, das Richtige zu tun. Völlig absurd wird es jedenfalls, wenn die Ablehnung der Grünen so weit geht, dass der (unterstellte) Moralismus nur eine Fassade zur Tarnung besonders amoralischen Handelns wäre, zum Beispiel durch konzertierte Vetternwirtschaft. In der Projektion ihrer Gegner sind die Grünen immer beides zugleich, komplett naive Dummchen, mit denen Deutschland sich in der Welt lächerlich macht, und echsenmenschige Fies-Strategen, die hintenrum grinsend den Staat umbauen, während sie vorne dümmlich lächelnd Fahrradstraßen eröffnen. Dabei muss man sich als – neues Wort – viridophober Mensch doch eigentlich entscheiden, ob die eigene Angst vor Grün (lateinisch: viridis) Deppen gilt oder vielmehr Dämonen. Nun sagt jeder gute Troll an dieser Stelle: "Egal, ich hasse die einfach." Und angesichts der Vertrollung des politischen Diskurses auch durch einstmals seriöse Teilnehmerinnen reicht das vielleicht, um die grüne Partei mit allerlei Halbwahrheiten, Übertreibungen und Einseitigkeiten dauerhaft in ihre Sieben-Prozent-Nische zurückzukämpfen. Zu retten bleibt dann noch "grün" als politische Gesinnung, die eben nichts zwingend mit der Partei zu tun hat, sondern nur mit einer realistischen Einschätzung der planetaren Zukunft. Und vielleicht wäre es auch das Beste für die Partei: wenn es andere gäbe, die sich glaubwürdig um das Menschheitsthema Klima kümmern, von links, rechts, oben, unten. Sonst wird es doch zu leicht, sich mit der grünen Partei auch gleich der grünen Verantwortung zu entledigen.