Thursday, June 29, 2023
Saskia Esken: Massive Kritik an SPD-Chefin nach Aussage zu Lübcke-Mord
DER SPIEGEL
Saskia Esken: Massive Kritik an SPD-Chefin nach Aussage zu Lübcke-Mord
Artikel von Anna Ehlebracht • Vor 4 Std.
SPD-Chefin Saskia Esken macht der hessischen CDU im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke Vorwürfe. Daran regt sich massive Kritik, nicht nur in der Union.
Saskia Esken: Massive Kritik an SPD-Chefin nach Aussage zu Lübcke-Mord
Wegen einer Aussage über den Mord an Walter Lübcke steht die SPD-Vorsitzende Saskia Esken in der Kritik, insbesondere aus der CDU. Esken hatte den hessischen Christdemokraten Versäumnisse im Kampf gegen Rechtsextremismus vorgeworfen. »Der Mord an Walter Lübcke hätte verhindert werden können«, sagte die Politikerin dem SPIEGEL. Esken verwies auf Ergebnisse des Untersuchungsausschusses im Wiesbadener Landtag zum Fall Lübcke, die von den Parteien allerdings unterschiedlich ausgelegt werden.
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Die Reaktionen fallen indes weniger unterschiedlich aus – unter anderem wird Esken vorgeworfen, den Fall Lübcke für den Wahlkampf zu instrumentalisieren. Am 8. Oktober wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt.
Thorsten Frei (CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, sagte dem SPIEGEL: »Die Wahlkampfmanöver von Saskia Esken sind ebenso durchsichtig wie unanständig. Bereits Anfang des Jahres ging die SPD-Hessen mit einem unverschämten Tweet zum Mord an Walter Lübcke auf den Markt und zog ihn nach einer Protestwelle schnell wieder zurück«, so Frei. Im Januar hatten die hessischen Sozialdemokraten CDU-Politikern via Twitter indirekt eine Mitverantwortung am Tod von Walter Lübcke vorgeworfen – und den Tweet dann gelöscht.
»Immer gleiche perfide Strategie«
»Damit vergreift sich die SPD zum wiederholten Male im Ton und setzt mit Blick auf die hessischen Landtagswahlen auf die immer gleiche perfide Strategie: Die Sozialdemokraten überziehen, dann entschuldigen sie sich in der Hoffnung, dass von den Vorwürfen irgendetwas hängenbleibt. Ich erwarte von der SPD-Chefin eine unverzügliche Klarstellung«, so Frei weiter.
Die Union habe den Rechtsextremismus 20 Jahre nicht entschlossen genug bekämpft und den Fokus falsch gelegt, hatte Esken gesagt. Seit 1999 stellt die CDU in Hessen den Regierungschef, die SPD war seither immer in der Opposition.
Mit ihrer Einschätzung, Lübckes Tod hätte verhindert werden können, steht Esken indes nicht allein da. Christoph Lübcke, der Sohn des Ermordeten, sagte im Februar in einem Interview dem Portal t-online, er sei überzeugt, dass der Tod seines Vaters »hätte verhindert werden können. Wenn man damals dem Rechtsextremismus genauso viel Aufmerksamkeit gewidmet hätte wie etwa dem islamistischen Terror. Aber der Staat war auf dem rechten Auge blind.« Christoph Lübcke sagte allerdings auch, es sei nicht angemessen, den Tod seines Vaters für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren.
Genau dies hat Esken nun nach Ansicht der Kritiker getan. CDU-Generalsekretär Mario Czaja äußert sich in der Sache deutlich gegenüber dem SPIEGEL. »Mit der schamlosen Instrumentalisierung des Mordes an Walter Lübcke für Wahlkampfzwecke stellt sich die ehemalige Volkspartei SPD erneut ins Abseits. Saskia Esken zeigt mit solchen Aussagen, dass ihr jeder politische Anstand ebenso fehlt wie Respekt für die Angehörigen von Herrn Lübckes Familie«, so Czaja. Er fügt hinzu: »Leider sind solche Aussagen kein Einzelfall mehr: Die SPD glaubt offensichtlich, dass Lügen, Hasspolemik und haltlose Schuldzuweisungen gegen demokratische Mitbewerber eine geeignete Strategie sind, wenn es mal nicht so gut läuft.«
CSU-Generalsekretär Martin Huber twitterte ebenfalls, Esken missbrauche den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten für Wahlkampfzwecke: »Absolut schäbig«.
Isabell Huber, Generalsekretärin der CDU Baden-Württemberg, nannte Eskens Aussagen »beschämend« und »entwürdigend« für die SPD. »In Zeiten von Polarisierung braucht es keine solchen anstandslosen Schuldzuweisungen in der politischen Mitte«, schreibt sie.
Auch der Journalist Stephan Anpalagan zeigt sich irritiert. »Das ist schlichtweg unterirdisch und pietätlos. Ja, der Rechtsextremismus ist ein gigantisches Problem. Ja, die Behörden tun viel zu wenig«, schreibt er. »Aber den Mord an Walter Lübcke für den Wahlkampf von Nancy Faeser zu instrumentalisieren ist skandalös.«
Bei den hessischen Landtageswahlen machen sich neben Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) Hoffnungen auf das Spitzenamt.
Für den CDU-Politiker und EU-Abgeordneten Dennis Radtke stellen die Aussagen von Esken eine wiederholte »Entgleisung« dar. »Niedertracht« sieht CDU-Politiker Matthias Hauer in den Vorwürfen Eskens, die SPD »vergiftet erneut das politische Klima«.
»Die öffentliche Debatte so zu vergiften, ist verantwortungslos«
Auch Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein und stellvertretende CDU-Vorsitzende, zeigt sich entsetzt. »Wie kann eine Politikerin in Verantwortung eine solch widerliche Aussage tätigen. Populismus von links, um des vermeintlichen kurzfristigen Punktgewinns, ist gefährlich und abstoßend«, schreibt sie. »Die öffentliche Debatte so zu vergiften, ist verantwortungslos.«
Auch Matthias Höhn, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der Linken, rügt Esken für ihre Aussage. »Es gibt eine Menge an der CDU zu kritisieren, gerade auch in Hessen«, so Höhn auf Twitter. »Aber im Wahlkampf einen Mord gegen die Partei des Mordopfers zu instrumentalisieren ist geschmacklos.«
Der Kasseler Regierungspräsident Lübcke war im Juni 2019 von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst erschossen worden. Ernst wurde wegen Mordes im Januar 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Am Dienstag ist der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zum Mord an Walter Lübcke drei Jahre nach seinem Auftakt zum letzten Mal zusammengekommen. In seiner 43. Sitzung klärte er in Wiesbaden hinter verschlossenen Türen noch Formalien, wie der Ausschussvorsitzende Christian Heinz (CDU) mitteilte.
Voraussichtlich im Juli soll der Landtag über den Abschlussbericht von Schwarz-Grün und drei eigene Bewertungen (Sondervoten) der Oppositionsfraktionen debattieren. Eine Einigung auf eine einzige Bilanz war nicht gelungen – die sechs Fraktionen hatten teils unterschiedliche Schlüsse aus der Arbeit des 15-köpfigen Untersuchungsausschusses gezogen. Die vier Schlussberichte sind insgesamt etliche hundert Seiten lang.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss sollte die Rolle der hessischen Sicherheitsbehörden in dem Mordfall aufarbeiten. An den Behörden war Kritik laut geworden, etwa in Bezug auf mutmaßliche Versäumnisse bei der Weitergabe von Informationen.