Saturday, December 21, 2024
Mahmoud El-Zein darf wieder nach Deutschland: Neffe des Clanchefs schlägt Journalisten – das Gericht sah keine Gefahr
Tagesspiegel
Mahmoud El-Zein darf wieder nach Deutschland: Neffe des Clanchefs schlägt Journalisten – das Gericht sah keine Gefahr
Alexander Fröhlich • 15 Std. • 5 Minuten Lesezeit
Mahmoud Al Zein, bekannt als vorbestrafter „Pate von Berlin“, könnte bald wieder nach Deutschland einreisen. Nachdem das Verwaltungsgericht diesen Vergleich ausgehandelt hat, wurde ein Clanmann gewalttätig.
Thomas Heise ist nicht besonders empfindlich. Der Reporter von „Spiegel TV“ berichtet über Neonazis, kriminelle Banden, Clans – und wird deshalb auch angefeindet. Doch am Dienstag im Verwaltungsgericht Berlin schlug ihn ein Mann aus El-Zein-Clan nieder. Ein halbes Dutzend Männer der Großfamilie war dort.
Dass Heise vom Gerichtstermin erfahren hatte und die öffentliche Verhandlung im Saal verfolgte, gefiel ihnen gar nicht. Denn es ging um den mehrfach vorbestraften Mahmoud El-Zein, der arabischstämmige Türke ist auch bekannt als „Pate von Berlin“ oder „El Presidente“ und war Oberhaupt einer der einflussreichsten arabischstämmigen Familien in Deutschland.
Nach der Verhandlung kam ein wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Drogenhandel vorbestrafter und knasterfahrener Neffe aus der Großfamilie des Clanchefs vor dem Gerichtssaal auf Heise zu. Der Clanmann schlug dem Journalisten mit der Faust ins Gesicht. Dabei gab es für die Clan-Männer gar keinen Grund zum Groll, denn El-Zein hat vor der 15. Kammer faktisch einen Sieg errungen: Er könnte im Sommer wieder nach Deutschland kommen.
Nach der Attacke musste Heise Schutz vor den Clanmännern suchen. Er versteckte sich mit zwei Mitarbeitern der Ausländerbehörde, die ebenfalls bei der Verhandlung waren, in einem Gerichtszimmer. Justizwachtmeister begleiteten die drei über einen sicheren Seitenausgang hinaus. Heise ging zur Charité, er hatte Hämatome an der linken Gesichtshälfte, litt zunächst unter Sehstörungen und Kopfschmerzen. Bei einer Computertomografie fanden die Ärzte aber nichts Auffälliges. Dem Tagesspiegel sagte Heise, dass es ihm den Umständen entsprechend gut gehe.
Auch die Polizei kam zur Charité, Heise erstattete Anzeige. Jetzt wird wegen Körperverletzung gegen den Neffen des Clanoberhaupts ermittelt. Mit dem Fall betraut ist ein Fachkommissariat für Organisierte Kriminalität.
Bemerkenswert an dem Fall ist, wie sorglos das Gericht war, während in der Justiz sonst Vorsorge getroffen wird, wenn es um kriminelle Clan-Angehörige geht. Doch die Vorsitzende Richterin der 15. Kammer hat „keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen, über die an der Eingangspforte hinausgehenden Kontrollen getroffen“, wie ein Sprecher sagte. Sie allein habe darüber zu entscheiden gehabt.
Zumindest eine Lehre zieht das Gericht daraus. „Ob die Praxis in etwaigen parallel gelagerten Fällen in der Zukunft geändert wird, wird hier geprüft“, sagt der Sprecher. Zudem prüft das Gericht, ob es den Angreifer mit einem Hausverbot belegt.
Die Richterin soll die Anwesenheit des Reporters gestört haben
Nicht äußern wollte sich der Sprecher zu einem weiteren Vorfall am Rande der Verhandlung. „Die Vorsitzende Richterin schien zu stören, dass ein Reporter von dem Termin erfahren hatte“, berichtet der Spiegel. Vor Beginn der Verhandlungen hörte Heise auf dem Gerichtsflur, wie die Richterin mit den Clanmännern sprach. Sie soll ihnen entschuldigend gesagt habe, dass sie die Presse nicht über den Prozess informiert habe und sie gern „in Ruhe“ verhandelt hätte.
Dabei ist die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ein Grundpfeiler des Rechtsstaats. Ein Gerichtssprecher sagte zu dem Vorfall: „Im Rahmen der mündlichen Verhandlung getätigte Äußerungen der Richterinnen und Richtern bewertet die Hausleitung wegen der richterlichen Unabhängigkeit nicht.“
Mahmoud El-Zein darf sich jedenfalls freuen. Anfang 2021 verließ er Deutschland und flog vom Flughafen BER aus in die Türkei. Er kam damit seiner Abschiebung zuvor. El-Zein ist gewissermaßen der Urvater der Clankriminalität in Berlin, hatte in der Unterwelt großen Einfluss und Macht. Er steht zugleich für das jahrzehntelange Versagen der Behörden im Umgang mit kriminellen Clanmitgliedern.
1988 ausgewiesen – doch es geschah nichts
El-Zein war 1982 nach Deutschland eingereist und gab an, 1966 in Libanons Hauptstadt Beirut geboren worden zu sein. In Berlin beging er Straftaten wie räuberischen Diebstahl und Körperverletzung, 1984 wurde sein Asylantrag abgelehnt.
Schon 1988 sollte El-Zein Deutschland verlassen. Er wurde wegen seines „rechtswidrigen Verhaltens“ und aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit“ ausgewiesen. Doch der Staat blieb lange machtlos, konnte das Recht nicht durchsetzen. Der Fall ist exemplarisch dafür, wie hilflos der Staat jahrzehntelang gegen jene war, denen die Regeln des Rechtsstaats egal sind.
El-Zein trickste sich durch, angeblich hatte er keinen Pass, mehr als 30 Jahre wurde er in Deutschland geduldet – offiziell bestand Unklarheit über seine Nationalität. Er hat laut Behörden die gesamte Zeit nicht an einer Passbeschaffung mitgewirkt. In den Akten der Behörden und der Justiz wurden verschiedene Namen vermerkt.
El-Zein war seit 2005 Tatverdächtiger in fast 70 Straftaten und wurde elfmal verurteilt, etwa wegen Drogenhandels. Zuletzt wurde er 2017 unter anderem wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt.
Die Polizei ermittelte, dass El-Zein türkischer Staatsangehöriger ist, Mahmut Uca heißt und aus der südanatolischen Provinz Mardin stammt. Er soll sich unter anderem Namen als Staatenloser aus dem Libanon ausgegeben haben. Im Jahr 2020 ließ er sich in der Türkei wieder einbürgern, zugleich beantragte er Asyl aus familiären und gesundheitlichen Gründen in Berlin. Das lehnte das Landesamt für Einwanderung ab. Es kam zum Rechtsstreit. Alle Gerichte teilten die Auffassung der Ausländerbehörde.
Eine Frau, mehrere Kinder, alle deutsche Staatsbürger
Mit der freiwilligen Ausreise im Januar 2021 kam El-Zein einer Ausweisung zuvor, zudem wollte er wohl eine längere Einreisesperre vermeiden. Zunächst verhängte die Ausländerbehörde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von sechs Monaten. Wenig später verlängerte sie das Verbot um sieben Jahre. Ende Oktober reichte El-Zein Klage dagegen ein.
Nun verhandelte das Verwaltungsgericht die Klage. Es drängte die Ausländerbehörde zu einem Vergleich. Das Gericht hatte den Behörden klargemacht, dass das siebenjährige Einreiseverbot unverhältnismäßig ist – zumal El-Zein eine Frau und mehrere Kinder hat und alle deutsche Staatsbürger sind.
Während der Verhandlung hielten die Vertreter der Ausländerbehörde immer wieder mit der Senatsinnenverwaltung Rücksprache. Am Ende einigten sich beide Seiten: Das Verbot wird von sieben auf viereinhalb Jahre verkürzt. Es endet am 29. Juli 2025. Damit gehe aber kein Recht einher, nach Deutschland einzureisen, sagte der Gerichtssprecher. Das müsse dann in einem Visumverfahren geprüft werden.
Nachdem El-Zein 2021 in Schönefeld in den Flieger gestiegen war, jubelte der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) über den „großen Erfolg“ nach jahrelangem Kampf gegen die „Clankriminalität“. Die Ausweisung sei ein Meilenstein und habe Signalwirkung. „Es ist nur eine Person, aber es ist eine besondere Person. Das zeigt unsere Entschlossenheit“, sagte Geisel.
Aber warum stimmt die Innenverwaltung dem Vergleich nun zu? „Es ist eine Ermessenentscheidung unter Abwägung gegenseitiger Interessen zu treffen“, sagte eine Sprecherin. „Dabei sind unter anderem die familiären uns sonstigen Bindungen an das Bundesgebiet und die kriminelle Vita gegeneinander abzuwägen.“