Sunday, May 29, 2022

Bürgerwehr bedroht Ausländer: Selbstjustiz in Südafrika

Tagesspiegel Bürgerwehr bedroht Ausländer: Selbstjustiz in Südafrika Johannes Dieterich - Gestern um 17:48 In Südafrika macht eine Bürgerwehr Jagd auf Migranten – und treibt die Spaltung des Landes voran. Der Ausländerhass am Kap ist nicht neu. 300 Rand, also knapp 19 Euro, hätten sie verlangt, erzählt Make Nomsa. Dafür hätten sie ihren Mann womöglich in Ruhe gelassen. Doch Nomsa hatte nur 50 Rand. Die steckten sie ein – und nahmen ihren 43-jährigen Gatten trotzdem mit. Wie die Frau aus Simbabwe später erfuhr, schlugen sie Elvis Nyathi nur wenige Meter von ihrer Hütte entfernt zu Boden, warfen mit Benzin gefüllte Autoreifen auf ihn und zündeten sie an. Der Mob aus jungen Männern beging noch mehr Hassverbrechen dieser Art. Sie zogen durch das Johannesburger Slum Diepsloot und verlangte von den Bewohnern, die Ausweise zu sehen. Wer über ein südafrikanisches Dokument verfügte, wurde in Ruhe gelassen; wer keines präsentieren konnte und sich auch seiner Sprache wegen als Ausländer verriet, wurde beschimpft, bedroht, verprügelt oder wie im Fall Elvis Nyathis auf bestialische Weise ermordet. Die Mitglieder des Mobs gaben sich als Anhänger der „Operation Dudula“ aus, die derzeit in ganz Südafrika Angst und Schrecken verbreitet. Die im Johannesburger Township Soweto gegründete Gruppierung erfreut sich landesweit zunehmender Sympathien. Ihre Anhänger nehmen immer wieder das Recht in ihre eigene Hand – etwa, wenn sie Inhaber von Geschäften zum Vorzeigen der Arbeitsgenehmigungen ihrer Mitarbeiter auffordern oder ausländische Kleinhändler von ihren Arbeitsplätzen vertreiben. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa fühlt sich schon an die Zeit der Apartheid erinnert. „So haben die Apartheid-Unterdrücker gehandelt“, schrieb er in einem Rundbrief. Die Gewalt richtet sich gegen Migranten aus anderen Ländern des Kontinents Lkw-Fahrer aus Nachbarstaaten, die die wichtige Handelsroute über die Autobahn N3 zum Hafen Durban nutzen, fahren nach brutalen Attacken zum Selbstschutz fast nur noch in Konvois. Die Gewalt richtet sich vor allem gegen Migranten aus anderen Ländern des Kontinents. Viele von ihnen leben in Südafrika, weil sie auf der Flucht sind, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Nur schwer sind gültige Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen. Die Bürgerwehr will Südafrika von Ausländern „befreien“. Seit Anfang dieses Jahres ziehen sie immer wieder in Protestmärschen durch Großstädte wie Johannesburg, Durban oder Kapstadt und bezichtigen Ausländer des Rauschgifthandels, der Zwangs-Prostitution und aller möglichen anderen Verbrechen. Fremde sind für sie sowohl für die schwindelerregende Arbeitslosenquote von fast 40 Prozent verantwortlich – wie für die Tatsache, dass Südafrika mit weit über hundert gemeldeten Vergewaltigungen am Tag als Welt-Kapitale der Gewalt gegen Frauen gilt. In den Schulen wimmele es von ausländischen Lehrern, während 30000 einheimische Pädagogen ohne Arbeit seien, sagt Dudula-Gründer Nhlanhla Mohlauli. Und in Krankenhäusern werde man von Pflegerinnen und Pflegern behandelt, die keine einzige der zehn einheimischen Landessprachen sprächen. Solche Vorwürfe sind aus anderen Staaten bekannt: Dass sie sich in den seltensten Fällen belegen lassen, ist ihnen außerdem gemein. Nhlanhla Mohlauli, der sich „Lux“ nennen lässt, ist 35 Jahre jung, tritt meist in militärischer Uniform mit gepanzerter Schutzweste auf und kommandiert nach eigenen Angaben mehrere hundert Kämpfer. Auch Waffen seien vorhanden, versichert Lux. Über WhatsApp erhalten sie Hinweise aus der Bevölkerung, wo sich „illegale Fremdlinge“ aufhielten: Dann ziehen sie los, um die Menschen zu drangsalieren. Da die Polizei nutzlos sei, müsse seine Bürgerwehr für Ordnung sorgen, sagt Lux: „Die Mehrheit der Probleme, mit denen wir Südafrikaner konfrontiert sind, haben Ausländer über uns gebracht.“ Corona, Rezession, Inflation, Klimaerhitzung und Wohnungsnot. Auch der ANC tut sich schwer, der populistischen Welle entgegenzutreten Der Ausländerhass ist am Kap der Guten Hoffnung nicht neu. Bei den Ausschreitungen vor 14 Jahren wurden 62 Nichtsüdafrikaner umgebracht, Hunderte von Geschäften gingen in Flammen auf. 2015, 2016 und 2019 folgten weiter Exzesse: Stück für Stück ruinierten sie den Ruf des Landes. Südafrika wird längst nicht mehr als die sympathische Regenbogennation von Nelson Mandela wahrgenommen, der als erster schwarzer Präsident das Konzept einer auf Gemeinsinn bedachten Nation propagierte. Seine Partei, der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) tut sich einige Jahre nach Mandelas Tod schwer, der populistischen Welle entgegenzutreten. In dessen Reihen sind viele selbst überzeugt, dass die vier Millionen registrierten Immigranten und die nicht bekannte Zahl der Illegalen für die zahllosen Fehlentwicklungen am Kap verantwortlich seien. ANC-Sprecher Pula Mabe bezeichnete Mohlaulis „Operation Dudula“ jüngst als „progressive und konstruktive Bürgervereinigung“. (mit dpa)