Sunday, March 16, 2025

Kanada: Canada First

ZEIT ONLINE Kanada: Canada First David Denk • 6 Std. • 3 Minuten Lesezeit Trumps US-Politik erweckt im netten Nachbarn Kanada ein bisher ungekanntes Gefühl: Wut. Zum Vorschein kommt auch ein Nationalismus, der mehr Notwehr ist als Ideologie. Zusammen gegen Trump: Der Wirtschafts- und Expansionskurs des US-Präsidenten schafft im Nachbarland ein neues Wir-Gefühl. Wer den kanadischen Comedian Matt Puzhitsky buchen möchte, kann ihm einfach eine E-Mail schicken. Die Adresse steht auf seiner Website, ein Management hat er offenbar nicht, gut möglich allerdings, dass er bald eines brauchen wird. Puzhitsky mag (noch) keine große Nummer seiner Branche sein, dafür ist er ein kleiner Held seiner Nation, seit er ein Video online gestellt hat, in dem er erklärt, wie Kanada den Handelskrieg gegen die USA sicher gewinnen wird: indem man US-Nutzer von der Streamingplattform Pornhub, einer der meistbesuchten Websites weltweit, aussperrt. Die Pornoseite gehört zu Aylo, früher Mindgeek, einem kanadischen Unternehmen. Mehr als 350.000-mal wurde Puzhitskys Video auf Instagram gelikt und mehr als 500.000-mal geteilt. Wie sinnvoll oder praktikabel sein Vorschlag ist, ist dabei zweitrangig, entscheidend ist: Er trifft einen Nerv in einem Land, das wild entschlossen wirkt, sich von der US-Regierung unter Donald Trump nicht unterkriegen, geschweige denn als 51. Bundesstaat einverleiben zu lassen. Unterstrichen wird dies durch Gegenzölle auf US-Waren als Antwort auf Trumps diverse, zwischenzeitlich teilweise zurückgenommene Androhungen. Kanada werde "niemals, in keiner Weise, Form oder Gestalt, Teil der Vereinigten Staaten sein", sagte der neue kanadische Premier, Mark Carney, am Freitag in Ottawa nach seiner Vereidigung und reagierte damit auf Äußerungen Trumps, für den die fast 9.000 Kilometer lange Grenze zwischen beiden Ländern nur eine "künstlich gezogene Linie" ist und damit Verhandlungsmasse. Kanada ist ein stolzes Land und nicht zuletzt stolz darauf, mit sozialer Marktwirtschaft und allgemeiner Krankenversicherung das bessere Amerika zu sein – seit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus mehr denn je. Man erwarte Respekt von den USA, fügte der neue kanadische Premier Carney in seiner Antrittsrede hinzu, äußerte aber zugleich die Hoffnung, Wege zu finden, um mit der Trump-Administration zusammenzuarbeiten. So viel Dialektik muss sein, denn Kanada braucht die USA dringender als umgekehrt. Die Nachbarn im Süden sind der mit weitem Abstand größte Abnehmer für kanadische Exporte. Ein Handelskrieg mit den USA hätte weitreichende Konsequenzen. Sollte Trump Ernst machen mit seinen Zolldrohungen, gilt Ökonomen zufolge eine Rezession als unabwendbar. Also wehrt sich das Land so gut es kann, schmeißt amerikanische Produkte aus den Supermarktregalen und promotet stattdessen kanadische. Damit die Konsumenten diese auch finden, gibt es Verzeichnisse im Internet und Apps, mit denen man über den Barcode auf die Herkunft schließen kann. Sogar der Americano heißt in den Coffeeshops von Vancouver bis Toronto neuerdings Canadiano. Mut zur Wut Eine zentrale Figur der neuen Bewegung ist Wab Kinew, Premierminister der Provinz Manitoba, Angehöriger einer der mehr als 600 First Nations Kanadas und Sozialdemokrat ohne Berührungsängste mit Patriotismus. "Wir werden da sein, lange nachdem Donald Trump das Amt verlassen hat. Wir werden da sein als Kanada", postete er kürzlich auf X. Und in Anspielung auf ein Eishockeyturnier zwischen Kanada und den USA, bei dem es Mitte Februar zu Buhrufen und handfesten Auseinandersetzungen gekommen war, sagte er: "Wir wissen, wann die Zeit für eine richtige Schlägerei gekommen ist." Kinews Amtskollege aus Ontario, Doug Ford, kündigte gar an, die Lieferung von Strom an Millionen von Haushalten in Michigan, New York und Minnesota erst deutlich zu verteuern und später womöglich ganz abzudrehen, und zwar "mit einem Lächeln in meinem Gesicht". Eine gehässige Formulierung, die man eher Trump zutrauen würde, zumal die Kanadier doch eigentlich für ihre Freundlichkeit ähnlich bekannt sind wie für Eishockey und Ahornsirup. Aber angesichts der Bedrohung durch Trumps Wirtschafts- und Expansionskurs entdecken sie in diesen Tagen ein ungekanntes Gefühl in und für sich: Wut. Binnen weniger Wochen im Amt hat US-Präsident Trump es geschafft, die geschichtlich, wirtschaftlich und kulturell so eng miteinander verbundenen Nachbarstaaten auseinanderzutreiben und die kanadische Gesellschaft zusammenzubringen. Dabei kommt eine Spielart des Nationalismus zum Vorschein, die mehr Notwehr ist als Ideologie, situativ statt strukturell, und deswegen deutlich weniger bedrohlich wirkt als die Umtriebe, gegen die sie sich wehrt. Das sportliche Duell im Eishockey entschied übrigens Kanada für sich. Die NHL 4 Nations Face-Offs endete mit 3:2 nach Verlängerung. "Ihr könnt uns nicht unser Land nehmen", schrieb der scheidende Premier Trudeau daraufhin auf X, "und auch nicht unser Spiel." Das politische Duell hingegen hat gerade erst begonnen.