Saturday, November 16, 2024
„Schwachkopf“ Robert Habeck: Wie ein bayrischer Rentner zum Staatsfeind gemacht wurde
Berliner Zeitung
„Schwachkopf“ Robert Habeck: Wie ein bayrischer Rentner zum Staatsfeind gemacht wurde
Wiebke Hollersen • 5 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Hausdurchsuchung morgens um sechs: Stefan Niehoff mit seiner Tochter Alexandra, die mit Trisomie zur Welt gekommen ist.
Der Mann ist 64 Jahre alt, Renter, er lebt in der Nähe von Bamberg, er kümmert sich um seine Tochter, die mit einer Behinderung zur Welt gekommen ist. Seine freie Zeit vertreibt er sich, wie die meisten Deutschen, auch im Internet. Das wurde ihm in dieser Woche zum Verhängnis.
Auf der Plattform X hatte Stefan Niehoff vor einiger Zeit ein Bild gepostet, per Retweet, das an das Logo einer Shampoo-Marke erinnerte. Auf dem Bild war aber Robert Habeck, der Vizekanzler der Grünen, zu sehen. Und unter dem Bild stand: „Schwachkopf“. Habeck zeigte Niehoff daraufhin wegen Beleidigung an. Die Berliner Zeitung hat berichtet.
Am Dienstag dieser Woche kam die Polizei zu Stefan Niehoff, um eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Über die genauen Hintergründe hatte zunächst Unklarheit geherrscht. War die Polizei wirklich nur wegen des Anti-Habeck-Posts bei Niehoff aufgetaucht? Oder hatte der Rentner noch üblere Sachen ins Internet gestellt? Schließlich hatte die Hausdurchsuchung im Rahmen eines bundesweiten „Aktionstags gegen antisemitische Hasskriminalität im Internet“ stattgefunden, koordiniert durch das Bundeskriminalamt.
Nun bringt eine Recherche der Süddeutschen Zeitung (SZ) mehr Klarheit in den Fall. Der Rentner sei den Ermittlern wegen eines anderen, offenen Ermittlungsverfahrens bekannt gewesen, schreibt der Investigativ-Journalist Ronen Steinke in der SZ. Antisemitisch geäußert habe er sich aber nicht. In der Zeitung Welt hat Niehoff unterdessen selbst vom Besuch der Polizei bei ihm und aus seinem Leben berichtet.
Niehoff soll ein historisches Schwarzweißfoto gepostet haben, „das einen SS- oder SA-Mann zeigt, der ein Schild mit der Aufschrift ‚Deutsche kauft nicht bei Juden‘ hochhält“, schreibt die SZ. Die Ermittler haben aber offenbar den Kontext nicht beachtet – oder falsch verstanden. Es habe zu dem Zeitpunkt des Posts von Niehoff eine Debatte über einen Boykott der Molkerei Müller gegeben. Der Unternehmer Theo Müller soll Alice Weidel nahestehen, der Chefin der AfD, das hatte Aktivisten gegen das Unternehmen aufgebracht.
Der Rentner habe sich zu diesem Thema geäußert, so die SZ weiter. Er habe kommentiert, dass Boykotte immer falsch seien. Und das Bild als historischen Vergleich gepostet - ohne Boykotte gegen Juden in irgendeiner Form gutzuheißen. Der Vorwurf des Antisemitismus ziele ins Leere.
„Um sechs Uhr fünfzehn ging die Klingel“, erzählte Stefan Niehoff der Welt über den Tag der Durchsuchung. Seine Zeitangabe decke sich mit der im Protokoll der Polizei. Im Schlafanzug und mit nackten Füßen sei er zur Haustür gegangen. Er sei früher Bundeswehr-Feldwebel gewesen, er lebt mit seiner Tochter Alexandra zusammen, die 33 Jahre alt ist und Trisomie hat. Mit seiner Tochter ließ sich Niehoff auch fotografieren. Er habe den Polizisten, die er als nett beschreibt, sein Samsung-Tablet freiwillig ausgehändigt. Zu einer echten Hausdurchsuchung sei es nicht gekommen.
Der Rentner berichtete dem Reporter, der ihn zuhause besuchte, dass er in der Corona-Pandemie an Protesten teilgenommen habe, weil er der Ansicht war, dass der Staat persönliche Freiheiten zu stark einschränkte. Damals habe er sogar eine DDR-Fahne an sein Haus gehängt, weil er der Ansicht war, die Bundesrepublik nähere sich einer Diktatur an. Von der CSU, die seine Familie traditionell gewählt habe, und SPD habe er sich mittlerweile entfernt. Heute wähle er die AfD.
Stefan Niehoff sagte dem Welt-Reporter, er habe nicht vor, einen Anwalt zu engagieren. Er könne sich nicht vorstellen, dass das „Schwachkopf“-Meme wirklich bestraft werden könne.
Offen bleibt, ob ihm die Verwendung des Fotos aus der NS-Zeit zur Kritik am Boykottaufruf gegen das Unternehmen Müller juristisch auf die Füße fallen könnte. Im September wurde in Berlin ein Künstler verurteilt, der mit einem Hakenkreuz-Bild seine Kritik an den Pandemie-Maßnahmen zum Ausdruck gebracht hatte. Die Verwendung eines Hakenkreuzes zur Kritik der Corona-Maßnahmen in Deutschland ist illegal, entschied der 2. Strafsenat des Berliner Kammergerichts. Die Berliner Zeitung hat berichtet.