Wednesday, November 6, 2024
Der Lockruf des Unheils
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Der Lockruf des Unheils
Leo Fischer • 1 Std. • 2 Minuten Lesezeit
Kolumne
Der Lockruf des Unheils
Nichts hat Bedeutung, alles ist egal, wenn einer nur brutal und skrupellos genug ist: Wie einer wie Trump die Machtlosen betört. Die Kolumne.
Nichts nützt irgendwas. Man kann ihm Verbrechen nachweisen, man kann die furchtbaren Konsequenzen seiner Politik anmahnen, man kann seine Verbindungen zu Faschisten unterstreichen oder seine persönlichen Bereicherungsabsichten. Gewählt wird er trotzdem. Nicht durch hinterlistige Machenschaften, nicht durch Betrug oder gekaufte Stimmen. Sondern weil viele Menschen ihn wirklich wählen wollen.
Es ist eine der ältesten anthropologischen Beobachtungen: Menschen beten das Unheil an, um symbolisch Macht darüber zu gewinnen, es als ihr eigenes Werk auszugeben, so zu tun, als sei es Ausdruck ihres eigenen Willens. Wenn jemand stirbt, inszenieren Menschen gewaltige Begräbnisrituale, um den Tod als Produkt der Gesellschaft zu maskieren; wenn sie von Missernten heimgesucht werden, interpretieren Menschen sie als gerechte Strafe für ihr eigenes Fehlverhalten – was immerhin die theoretische Möglichkeit offenhält, Kontrolle durch Wohlverhalten zurückzugewinnen. Und wenn sie einen Diktator sehen, tun sie so, als sei seine Gewalt über sie von ihnen gewünscht; sie identifizieren sich mit ihr, um sich einzureden, sie sei die ihre.
So wählen sie Trump, weil sie letztlich glauben, irgendwie dadurch zu triumphieren, und sei es nur symbolisch: über die Linken, über die Frauen, über alle, die immer alles irgendwie besser wissen, sich als moralische Autoritäten aufspielen. Dadurch, dass ich Trump gewählt habe, habe ich zwar noch nichts gewonnen, vielleicht sogar vieles verloren: Aber anderen wird es garantiert deutlich schlechter gehen, das ist das große Versprechen. Die Leute machen sich das Mindset von Milliardären zu eigen, als bestünde auch nur der Hauch einer Chance, sie könnten selber welche werden. Sie setzen sich auf die Schultern von Menschenfressern, damit andere vor ihnen die gleiche Angst haben mögen – auch, wenn die Menschenfresser sie im nächsten Moment verputzen könnten.
Appelle an Vernunft und Empathie müssen da scheitern, wo die Leute schon aufgehört haben, irgendwie anders auf Nachrichten zu reagieren als mit hämischen Lach-Smileys. Trump verkörpert schließlich auch den Zynismus im Endstadium: Nichts hat Bedeutung, alles ist egal, wenn einer nur brutal und skrupellos genug ist. Diese Maxime, die der kapitalistische Alltag allen ja auch fortwährend eintrichtert, verkörpert Trump, der die Welt nicht nach Moral oder Kollektivinteressen bemisst, sondern nach Gewinnern und Verlierern, in Reinform: Ihn zu wählen ist letztlich auch eine Form der Resignation, der Selbstaufgabe, des grimmigen Einverständnisses in eine Welt, in der der Kontostand alles zählt und die Appelle an Vernunft selbst Hohn sind angesichts einer komplett unvernünftig eingerichteten Gesellschaft.
Beim autoritären Umbau der Gesellschaft sind sie deswegen behilflich, nicht weil sie selbst Autorität gewinnen könnten, sondern weil autoritäre Willkür ihre Realität ist, weil die Idee, Gesellschaft könnte formbar sein, ihnen als Verspottung ihrer eigenen Ohnmacht vorkommt, angesichts der Macht der Chefs, der Unternehmen, der Weltlage als solcher. Diese Macht zurückrichten zu können gegen jene, die behaupten, sie brechen zu können, ist wahrscheinlich das Bedürfnis, das hinter solchen Wahlentscheidungen steht.
Leo Fischer ist Autor und war Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“.