Friday, November 15, 2024
„Das ärgert mich“ – Schwarz-grünes Debakel in der Richterposten-Affäre ist perfekt
WELT
„Das ärgert mich“ – Schwarz-grünes Debakel in der Richterposten-Affäre ist perfekt
Artikel von Kristian Frigelj • 1 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Wegen der Affäre um den grünen NRW-Justizminister Limbach und die Besetzung eines hohen Richterpostens läuft ein U-Ausschuss. Aus dem Gremium kommt nun ein Hinweis mit gravierenden Folgen: Die Regierung Wüst muss ihren Besetzungsvorschlag zurückziehen – dieser ist offenbar unrechtmäßig.
Nordrhein-Westfalens Justizminister muss eine Hiobsbotschaft zur Unzeit verkünden. Benjamin Limbach (Grüne) steht schon seit geraumer Zeit unter großem Druck und wird mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Jetzt erklärt der 55-jährige Jurist am Freitag, dass der Besetzungsvorschlag für eines der höchsten Richterposten in Deutschland zurückgezogen werde.
Es sei ein „beachtlicher Fehler“ passiert, betont Limbach vor Journalisten und sagt: „Das ärgert mich.“ Grund für diesen spektakulären Stopp ist eine rechtlich unhaltbare Beurteilung der Wunschkandidatin, die für den Präsidentenposten des Oberverwaltungsgerichts NRW vorgesehen ist. Für den politisch arg beschädigten Limbach ist das ein weiterer Rückschlag in einem Verfahren, das längst zur Farce geworden ist. Längst gilt es als prominentes Exempel für fragwürdige Zustände bei der Postenvergabe in der NRW-Justiz.
Seit dreieinhalb Jahren ist der einflussreiche OVG-Leitungsposten in Münster unbesetzt, weil Nordrhein-Westfalens schwarz-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bisher nicht in der Lage ist, ein einwandfreies Verfahren durchzuführen. Eigentlich soll nach einem entsprechenden Kabinettsbeschluss aus 2023 eine Abteilungsleiterin im NRW-Innenministerium neue OVG-Präsidentin werden. Die Juristin Katharina J. ist, wie sich inzwischen herausgestellt hat, eine Duzfreundin von Minister Limbach. Sie hatte nach einem privaten Abendessen mit ihm, bei dem auch der vakante OVG-Präsidentenposten zur Sprache kam, eine Bewerbung eingereicht und war ausgewählt worden.
Mehrere Verwaltungsgerichte haben sich mit dem Verfahren beschäftigt, zuletzt sogar das Bundesverfassungsgericht, weil ein unterlegener Kandidat, ein langjähriger Richter am Bundesverwaltungsgericht Leipzig, bezweifelt, dass es allein nach dem Prinzip der Bestenauslese, also nach Leistung, Eignung und Befähigung gegangen sei. In einer Konkurrentenklage hat er den Vorwurf der Manipulation und Vetternwirtschaft auch durch den NRW-Justizminister erhoben. Limbach bestreitet vehement, dass es eine politische Einflussnahme durch ihn gegeben habe. Doch auch die Verfassungshüter in Karlsruhe sehen Aufklärungsbedarf und haben das Verfahren ans OVG zurückverwiesen.
Dieses OVG hat nun mitgeteilt, dass „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der dienstlichen Beurteilung“ der Wunschkandidatin J. bestünden. Dies beruhe auf Erkenntnissen, die „für alle Beteiligten des hiesigen Verfahrens einschließlich der befassten Gerichte überraschend bekannt geworden sind“.
Damit reagierte das Gericht auf neue Hinweise aus einem Untersuchungsausschuss im Landtag NRW, der parallel dem Verdacht der unzulässigen Einflussnahme in dem Besetzungsverfahren nachgeht. Parlamentarier von SPD und FDP hatten dort zuletzt ein gemeinsam in Auftrag gegebenes Gutachten einer bundesweiten anerkannten Koryphäe im Dienstrecht präsentiert: Es handelt sich um Jürgen Lorse, Ministerialrat und Referatsleiter in der Personalabteilung des Bundesverteidigungsministeriums. Dessen fast 760-seitiges Standardwerk „Die dienstliche Beurteilung“ ist mittlerweile in der 7. Auflage erschienen.
Lorse kommt in dem Gutachten für SPD- und FDP-Vertreter zu dem Schluss, dass die Beurteilung für die Favoritin J. „rechtswidrig“ sei. Diese Rechtswidrigkeit „infiziert“ letztlich auch den schwarz-grünen Kabinettsbeschluss zugunsten der Favoritin, wodurch der gesamte Beschluss hinfällig sei.
Reuls Staatssekretärin unter Druck
Diese fachliche Einschätzung ist desaströs für die Staatssekretärin Daniela Lesmeister im Haus von NRW-Innenminister Herbert Reul (beide CDU). Sie hatte die Beurteilung für die später favorisierte Abteilungsleiterin J. mit Bestnoten angefertigt, allerdings ohne ihren Amtsvorgänger einzubeziehen, der eine weitaus längere Zeit Dienstvorgesetzter von J. gewesen war.
Staatssekretärin Lesmeister hat zuletzt als Zeugin im Untersuchungsausschuss immer wieder selbstbewusst beteuert, dass sie ihre Beurteilung für J. „nach bestem Wissen und Gewissen“ erstellt habe und dass eine Befragung ihres Amtsvorgängers nicht notwendig gewesen sei.
Nachdem Medien über das brisante Gutachten des Dienstrechtsexperten Lorse berichtet hatten, reagierte das OVG: Sollte es zutreffen, dass die Beurteilerin ihren Amtsvorgänger nicht zu seinen Erkenntnissen befragt habe, „wäre die Beurteilung nicht auf eine hinreichende Tatsachengrundlage gestützt“, teilte das Gericht den Beteiligten im Klageverfahren mit. Daraufhin zog Lesmeister ihre Beurteilung wieder zurück.
Der politische Flurschaden für die schwarz-grüne Landesregierung wird immer größer. Die SPD-Fraktion im NRW-Landtag beklagt eine „beispiellose Missachtung geltenden Rechts“ und fordert die Entlassung Limbachs. Die FDP-Fraktion sieht einen „Sumpf aus Rechtsverstößen, politischen Täuschungen und öffentlich falschen Darstellungen, in den sowohl das Innen- als auch das Justizministerium verstrickt sind“ und fordert ein vollkommen neues Besetzungsverfahren.
Doch das bisherige OVG-Besetzungsverfahren geht weiter. NRW-Justizminister Limbach betont am Freitag, dass er es nicht abbrechen könne, weil sonst Bewerber mit großer Erfolgsaussicht auf eine Fortsetzung klagen könnten.
Nun soll das schwarz-grüne Landeskabinett seinen Beschluss zugunsten von Favoritin J. in der kommenden Woche aufheben. Dann sollen für drei von ursprünglich vier Bewerbern (einer ist bereits im Ruhestand) neue Beurteilungen erstellt werden, weil die bisherigen nur bis Mitte 2022 reichen. Dann kommt es nochmals zu einem Bewerbervergleich und einen neuen Kabinettsbeschluss zur Besetzung geben.
Damit wäre das Verfahren noch längst nicht abgeschlossen – denn auch gegen diesen Beschluss könnten unterlegene Kandidaten klagen. Zudem könnte der Untersuchungsausschuss im Landtag mit neuen Erkenntnissen die Situation erheblich beeinflussen.