Thursday, November 7, 2024
Ampel-Aus – „Ein befremdliches Schauspiel. Zum Glück ist es bald vorbei“
WELT
Ampel-Aus – „Ein befremdliches Schauspiel. Zum Glück ist es bald vorbei“
33 Min. • 3 Minuten Lesezeit
Der Bruch der Ampel-Koalition schlägt auch im Ausland große Wellen. Internationale Beobachter erkennen das Land nicht wieder. „Deutschland scheint mit der Krise ein italienisches Schauspiel nachzuspielen, das hierzulande bisher noch niemand gespielt hat“, schreibt etwa „Corriere della Sera“.
Ampel-Aus – „Ein befremdliches Schauspiel. Zum Glück ist es bald vorbei“
Ab heute blinkt die Ampel nur noch rot und grün. Der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach einem beispiellosen Zerwürfnis gefeuerte Finanzminister Christian Lindner (FDP) erhält am Nachmittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Entlassungsurkunde, ebenso andere FDP-Minister. Es startet eine Übergangsphase, von der man bisher nicht weiß, wie lange sie dauert. Die internationale Presse kommentiert den Vorgang so:
„Neue Zürcher Zeitung“ (Schweiz)
„Olaf Scholz bleibt sich auch im Niedergang treu. Während der Kanzler den liberalen Finanzminister Christian Lindner am Mittwochabend bei seiner Pressekonferenz in Berlin als kleinkarierten und vertrauensunwürdigen Taktierer beschimpft und aus der Regierung wirft, klopft er sich selbst auf die Schultern. Es ist ein befremdliches Schauspiel. Zum Glück ist es bald vorbei. (...) ,Deutschland ist ein starkes Land‘, behauptet Scholz. Es ist nicht die einzige kolossale Fehleinschätzung dieses Abends.“
„Corriere della Sera“ (Italien)
„Und am Ende war es Olaf Scholz, der Christian Lindner feuerte. Als die Dinge entschieden waren, als die Falle für die Liberalen zuschnappte, als die Weichen für ihr Ausscheiden aus der Regierung gestellt waren, war es der Kanzler, der ihnen mit Stolz und Vorfreude das Vergnügen nahm, die Tür zuzuschlagen. Der Kanzler entließ seinen eigenen Finanzminister und beendete die Ampel-Regierung – die zweitkürzeste Regierung in der deutschen Geschichte. Immerhin schaffte es Scholz, diesen unrühmlichen Rekord nicht zu knacken. (...)
Letztlich zahlt Scholz für seine Unfähigkeit, einem Experiment, das Deutschland modernisieren sollte, eine Identität und eine Richtung zu geben. Er hatte kein Glück, denn sofort brach der Ukraine-Krieg mit all seinen Folgen für Deutschland aus. (...) Nun ist es an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Krise von Schloss Bellevue aus zu steuern – so wie es im italienischen Präsidentenpalast oft passierte. Deutschland scheint mit der Krise ein italienisches Schauspiel nachzuspielen, das hierzulande bisher noch niemand gespielt hat.“
„De Standaard“ (Belgien)
„Just in dem Moment, in dem Donald Trump in den USA Wahlen gewinnt – was für Europa und Deutschland turbulente Zeiten bedeutet – steckt die deutsche Regierung in der Krise. Nach dem Treffen der drei Regierungsparteien am Mittwochabend erklärte ein wütender Bundeskanzler Olaf Scholz, dass eine Zusammenarbeit mit dem liberalen Finanzminister Christian Lindner nicht mehr möglich sei. (...)
Scholz will – wie der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck – eine Politik betreiben, die Geld kostet. Er will Fördermittel vergeben, um die hohen Energiekosten zu senken, Arbeitsplätze zu retten, Investitionsprämien auszureichen und zu garantieren, dass die Ukraine nicht auf sich allein gestellt ist.
Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus war für Scholz ein zusätzlicher Grund, Geld für die Stärkung Deutschlands auszugeben. Er hatte Lindner vorgeschlagen, die Schuldenbremse zu lösen, um diese hohen Kosten zu finanzieren. Doch Lindner, der die deutsche Tradition eines ausgeglichenen Haushalts verteidigte, wollte dem nicht zustimmen. (...) Lindner kehrte zu dem liberalen Konzept zurück, dass den Unternehmen so viel Freiheit wie möglich gegeben werden sollte, damit die Wirtschaft wachsen kann. Das ist eine andere Vision als die, die dem Koalitionsvertrag 2021 zugrunde lag.“
„Tages-Anzeiger“ (Schweiz)
„Habecks Argument, dass bei einem Wahlsieg Donald Trumps die Bundesregierung umso dringlicher zusammenstehen und Stabilität beweisen müsse, hatte Lindner schon in den vergangenen Wochen wenig abgewinnen können. Vielleicht, so sinnierte er kürzlich im kleinen Kreis, wäre eine Neuwahl des Bundestags im Frühjahr viel sinnvoller, weil Trump dann noch dabei sei, seine Regierung zusammenzustellen. Werde dagegen regulär im Herbst gewählt, sei Deutschland praktisch den gesamten Sommer über im Wahlkampfmodus und handlungsunfähig – und damit just in dem Moment, in dem Trump womöglich erste weitreichende Entscheidungen in der Sicherheits-, Wirtschafts- und Handelspolitik fälle.“
„La Repubblica“ (Italien)
„Was für ein Timing: Die Regierung von Olaf Scholz ist gescheitert. Gestern Abend scheiterte der Dreiergipfel Scholz-Lindner-Habeck im Kanzleramt, einer von vielen seit Sonntag. Nach der schockierendsten Wahl des Jahres in den USA und dem Sieg von Donald Trump ist es dem sozialdemokratischen Kanzler nicht gelungen, seine ausgefranste und mitgenommene Ampel-Koalition zusammenzuhalten. Die Exekutive hat ein Stück verloren: Scholz wird gezwungen sein, ohne die FDP zu regieren. Und nun steht bald eine Neuwahl an. (...)
Einen schlechteren Zeitpunkt, um die Bürgerinnen und Bürger Deutschland zur Wahl zu schicken, kann man sich kaum vorstellen: Donald Trump war wenige Stunden zuvor ins Weiße Haus wiedergewählt worden, und es gibt kein Land in Europa, in dem er sich schon während seiner ersten Präsidentschaft feindseliger gezeigt hat. So sehr, dass der dritte Teilnehmer des Gipfels, der Grüne Robert Habeck, bis zuletzt an das Verantwortungsbewusstsein seines FDP-Kollegen appelliert hatte. Geholfen hat es nicht.“