Friday, February 16, 2024

Warum ist Populismus so erfolgreich? Es gibt keine charismatischen Politiker mehr

Berliner Zeitung Warum ist Populismus so erfolgreich? Es gibt keine charismatischen Politiker mehr Geschichte von Immo von Fallois • 4 Std. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gilt immer mehr als farblos. Ein Gespenst geht derzeit um in Europa. Das Gespenst der Empörung. Diese „Erregungskultur“ im Rahmen politischer Äußerungen entspricht jedoch nicht den kontroversen, diskursiven Debatten. Diese kannten wir als notwendigen dialektischen Erneuerungsprozess aus dem liberalen Zeitalter der Demokratie. Wir erinnern uns: Kurz nach der Zeitenwende, der Auflösung der kommunistischen Einflusszone, unterstrichen renommierte Historiker und Politologen wie Francis Fukuyama, Robert A. Dahl oder auch Samuel P. Huntington mit dem Werk: „The Third Wave“, die langfristige Tendenz, dass mehr und mehr Länder demokratische Systeme übernehmen werden. Kurz: Das freiheitlich-liberale System wurde als ein „endgültiges“, weil für alle Menschen beste Staatssystem bezeichnet. Dieses „Ende der Geschichte“ war, wie wir spätestens jetzt erstaunlich sehen, nicht nur hochmütig prognostiziert, sondern schlichtweg falsch. Denn die gelehrten Ökonomen und Historiker übersahen die Macht der Empörung. Bereits der umsichtige Philosoph Ortega y Gasset („Der Aufstand der Massen“) und der Schriftsteller und Soziologe Elias Canetti („Masse und Macht“) hatten bereits in der ersten Hälfte und der Mitte des 20. Jahrhunderts angesichts des dramatischen Vertrauensverlusts europäischer Demokratien die Empörung der Masse als das Ventil langjähriger Unzufriedenheit beschrieben. Mehr noch, sie hoben die Empörung als gerade in Demokratien legalisierten gefahrvollen Ausdruckswillen hervor. Heute wiederum hat der Ausdruck der Empörung zusätzlich durch die unheilvolle Kraft der sozialen Medien eine rasende Schnelle und nachhaltige Bedeutsamkeit erlangt. Der in Europa, aber auch in den USA und Südamerika wachsende Populismus hat sich diese Empörung zu eigen gemacht. Er hat als politische Alternative zur liberalen Demokratie die Empörung kurzerhand in die unheilvolle Formel des „Volkswillens“ umgedeutet. Kurz gesprochen: Wir wollen, was das Volk will. Das Volk will, was wir wollen. Diese Formel fungiert seit jeher als Machtlegitimation populistischer Parteien und ihren Führungsfiguren. Warum aber läuft derzeit die „Masse Mensch“ dem Populismus zu? Zum einen erleben wir Überforderung und Erschöpfung der Gesellschaft als auch der politischen Entscheidungsträger. Überforderung angesichts einer unüberschaubar erscheinenden Globalisierung, die lange als Wohlstand der Vielen, heute oft als Wohlstand der Wenigen interpretiert wird. Erschöpfung angesichts der großen schweigenden „Mitte“ der Gesellschaft, die es sich bequem im Wohlstand eingerichtet hat. Sie, die „Mitte“, vermag kaum noch den Willen zur aktiven Verteidigung der Demokratie hervorzubringen. Es ist eben auch ein Ausdruck der Vereinzelung der Moderne, die nicht mehr zur einstigen Solidargemeinschaft zurückfindet. Der Glaube „Solange es mir gut geht, ist alles gut“ hat sich in die Köpfe vieler verfestigt. Hin und wieder laufen sie auf die Straße, um ihren Protest gegen den Abbau einstiger Privilegien zu demonstrieren. Neuerdings scheinen sie die Gefahr des Populismus zumindest erkannt zu haben. Diese Vereinzelung und damit Kraftlosigkeit der Gesellschaft unterstützt den Populismus enorm. Denn dieser spricht die vielen verdrossenen Empörer an, die sich in eine nationale parallele Solidargemeinschaft oder eben Parteien zusammenfügen. Überforderung und Erschöpfung erkennen wir zurzeit als eine Art resignative Grundstimmung bei vielen demokratisch Handelnden. Ihre derzeit hilflose Kernfrage lautet: Was nur sollen wir tun, um inmitten der riesigen globalen Herausforderungen und unpopulären Entscheidungen die Zustimmung des Volkes zurückzugewinnen? Die Stärke des Populismus, der aus der Empörung wächst, nährt sich aus der Schwäche der Mitte der Gesellschaft, aber auch aus der demokratischen Exekutive. Wir erleben seit Jahren einen Rückgang charismatischer Persönlichkeiten in der Politik. Gerade das Charisma hatte der berühmte Soziologe Max Weber als unbedingte Voraussetzung einer überzeugenden Politikerpersönlichkeit bereits 1919 in seinem Vortrag „Politik als Beruf“ beschrieben. Und wir sehen und hören heute: Über viele politische Verantwortungsträger wird geschimpft, gelächelt, gelästert. Der Respekt vor politischen Akteuren und Institutionen ist verloren gegangen. Hinzu kommt der Aufbau eines leicht erkennbaren Freund-Feind-Bildes beider Seiten. Die demokratische Seite versucht den Populismus als verfassungsfeindlich zu entlarven. Verbotsdiskussionen ersetzen aber keine zielführende inhaltliche Auseinandersetzung. Auf der populistischen Seite wiederum wird das demokratische System als morsch und verbraucht und als unfähig hingestellt, bürgernahe Lösungen durchzusetzen. Die fehlende Bürgernähe der demokratischen Parteien ist dabei ein gefährliches Argument der Populisten, da sie damit durchaus einen wunden Punkt treffen. Viele Menschen bemängeln heute gerade die fehlende Bürgernähe der demokratischen Parteien, deren Köpfe in einer Berliner „Blase“ fernab von der Bevölkerung agieren würden. So wird den politischen Entscheidungsträgern oft vorgeworfen, an dem Willen und Wünschen der Bürger „abgeschirmt“ vorbeizuregieren. Die Kraft des Populismus ist dabei sein unbedingter Wille zur Macht, ohne Achtung der demokratischen Spielregeln. Denn: Kämen sie an die Macht, wie in Polen oder Ungarn, werden zuerst die Justiz und dann die Medien in ihrem Sinne neu „sortiert“. Und das wäre nur der Anfang der unaufhaltsamen Umgestaltung demokratischer Systeme. Wir erkennen demnach: Wir sind heute bereits auf dem Weg in ein populistisches Zeitalter. Sollte Donald Trump, dessen Sprache sich ausschließlich aus Vokabeln der Empörung speist, im November die US-Wahlen gewinnen, werden wir definitiv dort angekommen sein. Dieses Zeitalter der Empörung hätte dann das der liberalen und grünen Epoche abgelöst, wie es unlängst der Mainzer Historiker Andreas Rödder anschaulich in der FAZ beschrieb. Welche Chancen und welche Zukunft bestehen dann für die liberale Demokratie? Es gibt neben anderen hauptsächlich zwei große Revitalisierungschancen. Zum einen müsste die demokratische Politik sich nicht nur besser erklären. Oft wird der Niedergang in den Umfragen mit Hinweisen auf Kommunikationsprobleme profan verharmlost. Vielmehr sollten die politisch Handelnden wirklich zuhören, was die Menschen denken, was sie bewegt, was sie politisch eigentlich wollen. Der Eindruck drängt sich auf, dass bei den großen Themen wie Migration, Energie und Steuern an den Menschen konsequent vorbeiregiert wurde. Bürgernähe ist die eigentliche Lebensquelle der Demokratie, deren Wähler politische Macht ja nur zeitlich „verliehen“ haben. Neue Formen demokratischer Willensbildung müssen diskutiert und eingeübt werden: So können außerparlamentarische Bürgerbewegungen, die einen konstruktiven Austausch mit den Handelnden führen, zu einem positiven Verständnis des Bürgerwillens führen. Auch andere gesellschaftlichen Gruppen, wie die Wirtschaft, haben einen gesamtpolitischen Auftrag und sollten viel enger als bisher in die politische Willensbildung eingebunden werden. Und die visionäre Überlegung muss erlaubt sein: Haben herkömmliche Parteien als Organisationen überhaupt noch in der Zukunft dauerhaft Bestand? Der französische Präsident Macron ist durch eine „Bürgerbewegung“ neuer Form gewählt worden, die Freien Wähler oder auch das Bündnis Sahra Wagenknecht stehen für neue politische Konstrukte. Die zweite große Chance ist und bleibt die Freiheit. Denn nichts fürchten autoritäre Oligarchen und Populisten mehr als die gesellschaftliche Verselbstständigung der Freiheit. Angst davor ist der Grundpfeiler ihres paradoxen Handelns und daher überaus gefährlich. Die Freiheit ist der große Gegenspieler der Populisten. Die große Mehrheit in den Demokratien will jedoch ihre Freiheit erhalten. Das verdeutlichen alle politischen Umfragen. Freiheit muss aber durch Charisma und großer Überzeugung von Politik, Wirtschaft und – ganz entscheidend – von der Gesellschaft selbst gefordert und erkämpft werden. Positive Beispiele gibt es historisch und in der Gegenwart weltweit genug. Alles entscheidend dabei ist also der Wille zur Freiheit. Man darf sogar folgern: „Der Wille selbst ist der Weg zur Freiheit“. Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.