Wednesday, February 21, 2024

Nawalnys Tod und was er für Wagenknechts Haltung zu Putin bedeutet

WELT Nawalnys Tod und was er für Wagenknechts Haltung zu Putin bedeutet Geschichte von Kevin Culina • 18 Std. Die Wagenknecht-Partei BSW tritt für eine deutliche Zuwendung Deutschlands zu Putins Russland ein. Ändert der Tod des russischen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny etwas am Kurs der Partei? WELT fragt beim Europa-Spitzenkandidaten Fabio De Masi nach. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht und Russlands Präsident Wladimir Putin; im Hintergrund der in russischer Haft gestorbene Kreml-Kritiker Alexej Nawalny Alexander Ryumin/Bernd von Jutrczenka /Dmitry Serebryakov/picture alliance/dpa/POOL; Montage: Den Tod Alexej Nawalnys müsse „jeden klar Denkenden bestürzen“ – doch vor allem solle man ihn bloß nicht instrumentalisieren, schrieb Sevim Dagdelen am vergangenen Freitag. Kurz zuvor ging die Meldung um die Welt, dass der russische Oppositionelle in einem russischen Straflager ums Leben kam. Dagdelen sitzt für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Bundestag, ist eine langjährige Weggefährtin der Ex-Linke-Politikerin. Nawalnys Tod dürfe nicht „für den Ruf nach Taurus-Marschflugkörpern an Kiew für Angriffe auf Russland“ benutzt werden. Und nicht unter „Verweis auf die Doppelmoral im Fall der anhaltenden Inhaftierung von Julian Assange“ relativiert werden. In London wird am Dienstag verhandelt, ob der Wikileaks-Gründer Assange in die USA ausgeliefert wird. Dort droht ihm eine Anklage wegen Verrats von Geheimnissen. Nawalny wurde Opfer des Regimes, das er überwinden wollte. Der 47-Jährige kämpfte gegen die Korruption in Russland, gegen das Regime von Präsident Wladimir Putin. Schon 2020 überlebte er einen Giftanschlag, 2021 wurde er nach seiner Rückkehr nach Russland inhaftiert. Julia Nawalnaja macht Putin für den Tod ihres Ehemanns verantwortlich. Vor der russischen Botschaft in Berlin wurde gegen die „Mörder“ in Russland demonstriert. Die Bundesregierung bestellte den russischen Botschafter ein und kündigte weitere Sanktionen an. „Der Geist der Freiheit lässt sich niemals ganz zum Schweigen bringen“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine stehen die Zeichen nun also weiter auf Konfrontation mit dem Putin-Regime. Das im Januar gegründete Wagenknecht-Bündnis fordert allerdings nicht nur eine Abkehr von den USA, sondern eine Zuwendung zu Russland. Deutschland solle wieder Öl und Gas aus dem Land beziehen, sogar langfristige Energieverträge schließen, heißt es im BSW-Europawahlprogramm. Waffenlieferungen an die Ukraine hingegen will das BSW nicht, um das Sterben „für die Nato“ in der Ukraine zu beenden, wie Wagenknecht kürzlich sagte. Im Europawahlprogramm heißt es zudem: „Unser Ziel ist eine neue europäische Friedensordnung, die längerfristig auch Russland einschließen sollte.“ Ob sich nach dem Tod des bekannten Oppositionellen Nawalny in russischer Haft daran etwas ändert? Was der Spitzenkandidat jetzt zu Russland sagt Nawalnys Tod liege „in der Verantwortung des russischen Machtapparats“, sagte Wagenknecht am Dienstag im Bundestag. Sie forderte eine unabhängige Untersuchung der Todesursache. Schon zuvor sagte sie dem „Spiegel“: „Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Kritikern zeigt, in welchem Ausmaß Menschenwürde und Freiheit in ihr respektiert werden.“ Ähnlich klingt Fabio De Masi. „Eine Regierung, die Kritiker fürchtet, ist schwach und nicht stark“, schrieb der BSW-Spitzenkandidat zur Europawahl auf X, vormals Twitter. Die russische Regierung solle „einem internationalen Ärzteteam die Untersuchung der genauen Todesursachen ermöglichen“. „Die russische Justiz war für die medizinische Versorgung von Hr Nawalny verantwortlich. Wir brauchen jetzt vor allem zunächst Klarheit, was genau vorgefallen ist.“ Das brachte dem BSW-Kandidaten massive Kritik ein. WELT fragte bei Wagenknecht, De Masi und weiteren Parteifunktionären an, welche Konsequenzen für ihre Partei aus dem Fall Nawalny folgen. Einzig Fabio De Masi äußerte sich – der EU-Spitzenkandidat spreche in dieser Angelegenheit für das BSW, hieß es. Der ehemaligen Linke-Politiker und Finanzexperte verkündete mit der BSW-Parteigründung im Januar, bei Wagenknecht mitzumachen. Das BSW erhielt damit nicht nur einen erfahrenen Parlamentarier, sondern auch eine kritischere Stimme gegenüber Putin. Der führe ein „Land des Mafia- und Oligarchenkapitalismus“ an, sagte De Masi im Januar zu „t-online“. Nawalnys Haft sowie die Haftbedingungen seien „schwere Menschenrechtsverletzungen“, betont De Masi auf WELT-Anfrage. „Insofern trägt Russland natürlich unbeschadet der konkreten Todesursache, die nur durch eine unabhängige Untersuchung internationaler Ärzte glaubhaft festgestellt werden kann, die Verantwortung.“ Und dennoch halten De Masi und seine Partei an der Forderung nach russischer Energie fest. „Eine Wiederaufnahme von Öl- und Gaslieferungen ließe sich mit der Bedingung verknüpfen, dass sich Russland im Ukraine-Krieg an den Verhandlungstisch begibt und einem sofortigen Waffenstillstand zustimmt“, so De Masi zu WELT. Die Energiesanktionen hingegen hätten keinen Einfluss auf den Kriegsverlauf in der Ukraine. Für eine „internationale Friedensordnung, die wechselseitige Sicherheitsgarantien gewährleistet“ müsse immer auch mit Staaten gesprochen werden, „deren innerstaatlichen Verhältnisse man nicht teilt oder ablehnt“, sagt De Masi. „In der Nato ist die Türkei Mitglied, in der keine lupenreinen rechtsstaatlichen Verhältnisse herrschen, und die deutsche Außenministerin Baerbock will sogar Euro-Fighter an die saudische Diktatur liefern, was wir im Übrigen kritisieren.“ Bei ihrem politischen Aschermittwoch in Passau warf auch Wagenknecht den Grünen „Heuchelei“ wegen jener Kampfjets vor. „Unsere hochmoralische feministische Außenministerin hat jetzt plötzlich bei den saudischen Islamisten ihre feministische Freundschaft geschlossen. Bei Leuten, die Frauen steinigen, die Journalisten zersägen“, sagte Wagenknecht im Wirtshaus. Vielmehr müsse eine Entspannungspolitik wie unter Willy Brandt und Helmut Schmidt (beide SPD) das Ziel sein, so De Masi. „Putin wird irgendwann einmal Vergangenheit sein, aber Russland wird – nicht nur geografisch – immer ein Teil Europas bleiben.“ Er hoffe auf eine Freigabe des Leichnams von Putin-Gegner Nawalny für eine unabhängige Untersuchung der Todesursache, so De Masi. Bisher lehnt Russland das allerdings kategorisch ab. Die Bundesregierung solle sich für die Freilassung politischer Gefangener in Russland engagieren, etwa für jene, die wegen Blumenniederlegungen für Nawalny verhaftet werden, so De Masi. „Unabhängig vom Fall Nawalny würde es die internationale Glaubwürdigkeit der Bundesregierung jedoch unterstützen, wenn diese sich auch gegen die Auslieferung von Herrn Assange an die USA hörbar engagieren würde, dem dort der Tod auf Raten droht“, so De Masi. Und auf X legte er gleich nach: Assange werde „vor den Augen der westlichen Öffentlichkeit physisch und psychisch langsam hingerichtet, um uns alle abzuschrecken“.