Friday, February 2, 2024
Kommentar zu Wahlkreisen: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar zu Wahlkreisen: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert
Geschichte von Jasper von Altenbockum • 4 Std.
Die Kritik von Friedrich Merz am Neuzuschnitt mehrerer Wahlkreise mag als übertrieben gelten. Eigentlich handelt es sich um Routine. Wahlrechtlich ist am Ausgleich für die demographische Abwanderung aus Sachsen-Anhalt und die Zuwanderung nach Bayern nicht zu rütteln. Warum hat die Ampelkoalition in diesem Fall dann aber die unabhängige Wahlkreiskommission umgangen?
Amerikanische Zustände sind deshalb nicht gleich zu befürchten. Unstrittig müsste aber – davon können noch so viele „Faktenchecks“ ablenken – auch sein, dass der Neuzuschnitt in Augsburg den Grünen Vorteile und der CSU Nachteile verschafft. Die könnte sich nun aber immerhin auf Vorteile in Memmingen freuen. Auch das spricht gegen amerikanische Verhältnisse.
Die Krönung einer Karriere wird einfacher
In Augsburg geht es allerdings nicht um x-beliebige Direktkandidaten. Die CSU hat dort zwar sowohl auf dem Land als auch in der Stadt die Nase vorn; in der Stadt aber hat künftig Claudia Roth, die grüne Kulturstaatsministerin, durch einen neuen Zuschnitt bessere Chancen auf ein Direktmandat als bisher. In München hingegen hätte ein Neuzuschnitt, wie ihn die CSU vorgeschlagen hat, bedeutet, dass den Grünen ein zusätzliches Direktmandat schwerer gefallen wäre. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?
Claudia Roth muss um ihr Mandat und um ihr Amt in Berlin nicht fürchten, wenn sie die Augsburger Trophäe nicht erobern sollte. Die hülfe aber zur Krönung ihrer Karriere, die von Wahlperiode zu Wahlperiode stark aufgeblähte Kanzleramtsbehörde (der Bundestag ist nichts dagegen) vollends zu vergolden – zum Beispiel, indem ein neues Ministerium geschaffen wird? Das Wahlrecht wäre für die Ampel nur das Präludium: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.