Saturday, May 20, 2023
Rücktritts-Skandal: Graichen im Keller: Die Schocktherapie der Grünen bei den Heizungen ist gescheitert
Wirtschaftswoche
Rücktritts-Skandal: Graichen im Keller: Die Schocktherapie der Grünen bei den Heizungen ist gescheitert
Artikel von von Buttlar, Horst • Gestern um 14:47
Der Rücktritt von Patrick Graichen verändert die politische Dynamik beim Klimaschutz – gut, dass die Grünen mit den Fehlern und ihrer Überhöhung nicht durchgekommen sind. Zeit für eine Kurskorrektur. Ein Kommentar.
Was folgt nun aus diesem Rücktritt von Patrick Graichen? Können die Öl- und Gasheizungen doch alle bleiben? War’s das mit den Wärmepumpen? Und mit dem Klimaschutz? Und vor allem: War’s das mit der Rettung der Welt?
Diese Fragen sind natürlich allesamt Unsinn, beziehungsweise man könnte sie vier Mal mit „Quatsch“ beantworten. Sie wurden allerdings implizit gestellt, sie lagen in diesen Tagen, in denen sich das Land rascher erhitzte, als es der Erdball je tun wird, in der Luft.
Mit diesem Rücktritt ist etwas passiert, was über die Person Graichen hinaus geht – und es dürfte die Dynamik beim Klimaschutz verändern. Schon jetzt streitet die Ampel über den Zeitplan, will das Heizgesetz verschieben. 80 Prozent der Deutschen, so eine Allensbach-Umfrage, sind gegen das Verbot von Öl- und Gasheizungen ab 2024. Sie sind „Lost in Transformation“, wie die Allensbach-Chefin Renate Köcher schreibt.
Was also macht diesen Rücktritt so besonders?
Die Grünen waren dabei, die Koordinaten für die Kultur des Rücktritts in Deutschland bedenklich zu verschieben. Dabei hatte diese Kultur schon unter der Großen Koalition stark gelitten; Politiker gaben zwar Fehler zu und übernahmen „Verantwortung“, aber blieben im Amt. SPD und Union ließen sich gegenseitig ihre Underperformer und Ausfälle.
Die neue ökologische Dialektik
Die Grünen versuchten eine neue ökologische Dialektik: Man gab zwar zu, dass Graichen ein Fehler passiert war und dass er gegen Regeln verstoßen hatte – aber er war nun mal unverzichtbar. Das ist zwar normal für enge Mitarbeiter, aber die Unverzichtbarkeit wurde überhöht: Zum einen hatte er das Land schon einmal gerettet (Energiekrise), und nun muss er weiter die Welt retten.
Dann kam Teil zwei der Überhöhung, die Robert Habeck in den „Tagesthemen“ darlegte: Es seien zwar Fehler passiert, aber die Angriffe seien auch eine Art Komplott, um die Dekarbonisierung des Gebäudesektors zu torpedieren – deshalb würden keine Opfer gebracht. Demnach wäre Graichen also auch Opfer einer Verschwörung.
Es ist gut, dass die Grünen weder mit den Pannen noch mit den Interpretationen und Metaebenen durchgekommen sind. Es sind schwere politische Fehler passiert, da greifen die unbarmherzigen Mechanismen der Macht – und dabei ist es schnurzegal, ob es um den Klimaschutz oder eine Umgehungsstraße geht. Es war klar, dass die Affäre Graichen nicht vorbei war und den Minister mitzureißen drohte. Und es waren die üblichen Folgefehler, die zum Sturz führten: Patzer in der Aufarbeitung, fehlendes Gespür, Unklarheiten, scheibchenweise Wahrheiten.
Der Hinweis der Grünen, dass quasi alle Schlüsselfiguren, die an der Großtransformation arbeiten, per Du, verwandt oder Kumpel sind, weil sie sich in ihrem Expertendasein nun mal so lange kennen, war abenteuerlich. Denn es geht ja nicht nur um Posten und Projekte, in denen man sich gegenseitig Steuergelder zuschanzt – sondern um das, was in Demokratien üblich ist: Check & Balances. Und um das, was man in Unternehmen 360-Grad-Perspektive nennt. Ja, genau, es gibt auch andere Blickwinkel auf diese Transformation.
Die Wärmepumpe spielt eine Schlüsselrolle
Nun kommt die schlechte Nachricht für all jene, die hoffen, dass der Wärmepumpenspuk an ihnen vorbeigeht: Hier wird die politische Dynamik interessant – und die sachliche Grundlage (die gerade verloren geht). Wie werden die Grünen sich verhalten, nun, da sie ein erstes „Opfer“ zu beklagen haben? Werden sie noch vehementer die Transformation anpacken – oder ihren Kurs korrigieren? Die FDP will das verkorkste Gesetz zügig überarbeiten, wittert natürlich auch einen taktischen Vorteil.
Das Land stürzt sich gerade auf die Wärmepumpe, sie ist die „Pumpe der Nation“, wie die WirtschaftsWoche in ihrer aktuellen Titelgeschichte analysiert. Die Frage ist, ob Deutschland, wie zuvor beim Gas, einseitig und überstürzt auf ein Gerät setzt. Und sich auf eine Technologie festlegt, wo der Markt nach dem Viessmann-Verkauf mächtig in Bewegung ist.
Denn, und hier sind wir bei der sachlichen Grundlage: Die Wärmepumpe wird eine Schlüsselrolle bei der „Wärmewende“ spielen (Ich zögere etwas bei dem Begriff, weil Großvorhaben mit dem Suffix -wende in Deutschland meist wenig bewegen, aber viel kaputt machen.) Die Art des Austauschs läuft bei uns schon nach kurzer Zeit mit der Frequenz einer Panikattacke ab. Dabei sind wir nicht allein, andere Länder tauschen auch Heizungen aus. Sie machen es aber offenbar, ohne dass eine Regierungskrise ausbricht.
Schockstarre bei den Heizungen
Ohne Frage erleben wir eine Zäsur in dieser Regierung, selbst wenn die Arbeit beim Klimaschutz weitergeht. Diese Arbeit fällt nicht nur schwer, weil in den Jahren zuvor so viel versäumt wurde, und schon nicht, weil das Volk sich sperrt. Sondern weil ein Minister an einem wichtigen Punkt die Lage falsch eingeschätzt – und damit sich selbst und sein Ansinnen beschädigt hat.
Und weil die Schocktherapie der Grünen bisher das Gegenteil erreicht: Die Strategie, mit Verboten, einem Katalog und Konvolut an Vorschriften und vorgezogenen Fristen die Transformation zu beschleunigen, sorgt nicht für Fortschritt, sondern hat Deutschland in eine Schockstarre gestürzt, in der viele mehr um die Zukunft fürchten, als sie gestalten zu wollen. Deshalb sollte das Heizgesetz überarbeitet werden, mit längeren Fristen und klaren Regeln.