Monday, May 29, 2023

Evan Gershkovich: Moskau droht „Wall Street Journal“

Evan Gershkovich: Moskau droht „Wall Street Journal“ Artikel von Friedrich Schmidt • Vor 4 Std. Der „Wall Street Journal“-Journalist Evan Gershkovich vor Gericht in Moskau am 18. April Russland versucht, amerikanische Sorgen um den unter Spionagevorwürfen in Moskau inhaftierten Korrespondenten des „Wall Street Journal“ Evan Gershkovich zu benutzen, um die Berichterstattung der Zeitung zu beeinflussen. Das zeigt eine Meldung der Staatsnachrichtenagentur Ria Nowosti. Setze die New Yorker Zeitung eine „nicht mit dem Journalismus verbundene Tätigkeit“ fort, indem sie „Desinformation“ über Russland veröffentliche, „wird das bedeuten, dass die Redaktion Gershkovichs Schicksal überhaupt nicht interessiert“, zitierte Ria eine nicht näher bezeichnete „informierte Quelle in Moskau“ am Freitagabend. In den vergangenen Tagen habe die Zeitung „eine Reihe von Artikeln mit Falschbehauptungen gebracht, die Russland betreffen“, habe der „Gesprächspartner“ auch gesagt. Beispiele fehlten. Die Wortwahl erinnert an die Sprachregelung russischer Machtvertreter für Fälle, in denen von Darstellungen des Moskauer Verteidigungsministeriums zum Ukrainekrieg abgewichen wird. Damit zielt die inoffizielle, aber kaum verkappte Drohung, Gershkovich zu schaden, auf die gesamte Berichterstattung des „Wall Street Journal“ über den Krieg ab. Der 31 Jahre alte Journalist war Ende März in Jekaterinburg während einer Recherchereise festgenommen, nach Moskau überstellt und im Lefortowo-Untersuchungsgefängnis inhaftiert worden, das der FSB nutzt. Auf diesen Geheimdienst gehen die Spionagevorwürfe zurück. Schon mit Blick auf den beim russischen Außenministerium ordnungsgemäß akkreditierten Gershkovich selbst haben Machtvertreter davon gesprochen, die Tätigkeit des Reporters habe „nichts mit Journalismus zu tun“ gehabt, wie es nun mit Blick auf das „Wall Street Journal“ insgesamt hieß. Vor Gershkovichs Festnahme war Russland nicht in dieser Weise gegen die im Land akkreditierten Korrespondenten vorgegangen. Ein letzter solcher Fall spielte im Jahr 1986. Der damals betroffene amerikanische Korrespondent war rasch gegen einen sowjetischen Spion ausgetauscht worden. Auch jetzt wird unter anderem aufgrund der Berichterstattung russischer Staatsmedien vermutet, Gershkovich, ein Sohn sowjetischer Emigranten, solle gegen Russen ausgetauscht werden, die in den Vereinigten Staaten oder in einem Drittland inhaftiert sind. Besuch der Eltern Einer von diesen ist der in Brasilien als Spion verurteilte Sergej Tscherkassow. Gerade hat das „Wall Street Journal“ berichtet, die Regierung in Brasília müsse zwischen konfligierenden Auslieferungsersuchen Moskaus und Washingtons entscheiden; das Ergebnis könne ein Austauschgeschäft zur Befreiung Gershkovichs prägen. Letztere ist erklärtes Ziel der amerikanischen Regierung. Mit der Ria-Meldung vom Freitag erhöht Russland den Druck weiter. Ebenfalls am Freitag verlängerte ein Moskauer Gericht Gershkovichs Untersuchungshaft um weitere drei Monate. Für den Termin waren die Eltern des Journalisten, Ella Milman und Mikhail Gershkovich, nach Moskau gereist und konnten ihren Sohn dort laut „Wall Street Journal“ im landesüblichen Angeklagtenkäfig sehen. Die Mutter sagte, sie hätten sich fein angezogen, um ihrem Sohn zu zeigen, dass sie dem Druck standhielten. Auch seien sie ermutigt davon, wie gut ihr Sohn ausgesehen habe: Der sei zwar bleich gewesen, habe aber gelächelt und entspannt gewirkt. Gershkovich arbeitet seit 2017 in Moskau für wechselnde englischsprachige Medien. Das „Wall Street Journal“, für das er seit Januar 2022 tätig ist, schrieb, es sei die erste Moskau-Reise von Gershkovichs Eltern gewesen seit einem Besuch bei ihrem Sohn 2018. Damals habe der Journalist seinen Eltern das „neue Russland“ gezeigt. Ella Milman erzählt in einer Videodokumentation des „Wall Street Journal“, sie habe 2018 zu ihrem Sohn gesagt: „Das ist das Land, das ich verlassen habe, und das ist das Land, das du liebst.“