Wednesday, May 17, 2023

Jetzt ist's genug

t-online Jetzt ist's genug Artikel von T - Online • Vor 1 Std. Habeck entlässt Graichen Lange hat Robert Habeck zu seinem Staatssekretär gehalten. Jetzt ist Patrick Graichen für den Wirtschaftsminister nicht mehr tragbar. Zur Trauzeugenaffäre sind weitere Verstöße hinzugekommen. Am Ende gelingt Robert Habeck doch noch ein halbes Lächeln. "Ich werde jetzt nicht meinen Trauzeugen als Staatssekretär berufen", sagt Habeck, als er nach dem Nachfolger für Patrick Graichen gefragt wird. Und dann zucken seine Mundwinkel. Vorher hat der Vizekanzler dreizehn Minuten lang so düster dreingeschaut wie schon seit Wochen nicht mehr. Und das will zurzeit was heißen. Habeck muss am Mittwochvormittag erklären, warum er sich nun doch von seinem Staatssekretär Patrick Graichen trennt, trennen muss. Und das, nachdem er sich mehrfach demonstrativ vor Graichen gestellt hatte, der seinen Trauzeugen zu einem gut bezahlten Posten bei der Deutschen Energie-Agentur, der Dena, verholfen hatte. Nun aber ist das passiert, was in Grünen-Kreisen von Beginn an als rote Linie genannt worden war: Es sind weitere Verstöße bekannt geworden, Verstöße Graichens gegen Compliance-Regeln, den hausinternen Verhaltenskodex. Und irgendwann sagt Robert Habeck auf der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz dann: "Es ist der eine Fehler zu viel." Ein klarer Verstoß und ein "Graubereich" Dabei sind es streng genommen sogar zwei weitere Fehler, über die Habeck an diesem Tag informieren muss. Ein klarer und ein nicht ganz so klarer Compliance-Verstoß, so jedenfalls die Deutung in Habecks Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dem BMWK. Bis zu diesem Mittwoch hatte das Ministerium immer betont: Es sei sichergestellt worden, dass es nicht zum Problem werde, dass Patrick Graichens Schwester beim BUND arbeitet und sein Bruder beim Öko-Institut. Die Verbindungen waren tatsächlich von Beginn an bekannt und die Regeln auch: Graichen sollte an der Vergabe von Aufträgen und Studien an beide Institutionen und an seinen vorigen Arbeitgeber, Agora Energiewende, nicht beteiligt sein. Doch als im "Spiegel" am 22. April eine Kolumne über die lange bekannten Graichen-Familienverhältnisse mit der Überschrift "Habecks Klüngelwirtschaft" erschien, ließ Habeck die Vorgänge sicherheitshalber noch einmal überprüfen. Schon am 23. April, so stellt der Wirtschaftsminister es dar, habe er die Prüfung beauftragt. Die finalen Ergebnisse mit den zwei weiteren Verstößen will Habeck an diesem Dienstagabend erhalten haben. Den eindeutigeren Fehler beging Graichen demnach, als er für die "Nationale Klimaschutzinitiative" im November 2022 eine Liste mit Projektskizzen unterschrieben hat. Von drei Projekten stammte dabei eines vom BUND-Landesverband Berlin, das er mit seiner Unterschrift für "förderwürdig" erklärte – und ihm somit faktisch 600.000 Euro zusagte. Im Vorstand: Verena Graichen, Patricks Graichens Schwester. Der zweite heikle Vorgang, den Habeck selbst als "Graubereich" bezeichnet, betrifft eine Personalie in der Expertenkommission des Energiewendemonitorings. Dort hat Graichen Felix Matthes hineingesetzt. Der aber arbeitet auch für das Öko-Institut, bei dem Patrick Graichens Bruder Jakob angestellt ist. "Die Fehler sind unterschiedlich gravierend", sagt Habeck, "und stünde jeder dieser Fehler für sich allein, würde er eine solche dramatische Konsequenz, wie wir sie heute ziehen, nicht nötig machen. Aber die Fehler stehen eben nicht für sich allein." Graichen habe sich "zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch auszufüllen". Die Entscheidung, Graichen in den einstweiligen Ruhestand versetzen zu lassen, sei eine "weitreichende, schwere Entscheidung", sagt Habeck. Doch es gehe nun darum, "das Vertrauen in die Arbeit dieses Hauses als Institution zu schützen. Es geht darum, die politische Handlungsfähigkeit zu wahren." Habeck aber betont auch seine Hochachtung für Graichen einmal mehr. Der habe "große Leistungen" vollbracht, Gasmangellage und Wirtschaftskrise abgewendet und die Energiewende wieder flott gemacht. Und auch über die öffentliche Debatte beschwert sich Habeck erneut. Graichen sei "übers erträgliche Maß angefeindet" worden. "So können und so dürfen wir politische Debatten nicht austragen." Weitere Details in der Trauzeugenaffäre Doch neben einer in Teilen tatsächlich schrillen Debatte waren schon in den vergangenen Tagen neue Details ans Licht gekommen, die Graichen allein in der Trauzeugenaffäre weiter belasteten. Das am Montag veröffentlichte Wortprotokoll der Sitzung des Klima- und Wirtschaftsausschusses hatte dem Bild Graichens neue Puzzleteile hinzugefügt, für die es schon länger keine guten Erklärungen mehr gab. Die eine Deutung von Graichens Verhalten lautet, dass er seinen Trauzeugen mit voller Absicht auf den gut bezahlten Posten gehievt hatte. Es ist die katastrophale Deutung, die er selbst weit von sich weist. Doch die zweite Deutung, die sich aus seinen eigenen Erklärungsversuchen ergibt, ist eben nur etwas schmeichelhafter. Sie bedeutet, dass Graichen schlicht die Brisanz nicht erkannt hat, als er seinen Trauzeugen mehrfach für die Stelle bei der Dena empfohlen hatte. Fehlendes Fingerspitzengefühl wäre selbst dafür eine heillose Untertreibung. Was in der Situation fehlte, war offensichtlich das Urteilsvermögen. Entweder aus Überforderung in den vielen Krisen, die Graichen zu lösen hatte. Das wäre die freundliche Version. Oder schlicht aus Hybris, aus Abgehobenheit, aus einem Gefühl von Was-wollen-die-von-mir? Der Name Schäfer war von Beginn an dabei Schon direkt nach der Ausschusssitzung am vergangenen Mittwoch, als noch kein Protokoll vorlag, waren neue pikante Details aus der Sitzung kolportiert worden. So gestand Graichen bei der Befragung ein, dass er nicht nur in der vierköpfigen Findungskommission saß, die seinen Trauzeugen Michael Schäfer am Ende für den Job bei der Dena empfahl. Sondern dass er der vorgeschalteten Personalagentur zu Beginn des Verfahrens neben "fünf oder sechs" anderen möglichen Kandidaten eben auch Schäfer genannt hatte. Das Ministerium musste zudem zwei weitere potenziell unangenehme Vorgänge eingestehen. Einerseits, dass Schäfer nicht von sich aus vom Dena-Arbeitsvertrag zurückgetreten ist, wie es die "Bild" zuvor berichtet hatte. Was in der Folge noch dazu führen kann, dass der Steuerzahler für eine Entschädigung oder Abfindung Schäfers aufkommen muss. Und andererseits, dass im Ministerium eine Vorprüfung laufe, ob ein beamtenrechtliches Disziplinarverfahren gegen Graichen eingeleitet werden muss. Ausschussmitglieder bezweifelten schon da, dass der Staatssekretär politisch zu halten sei, wenn ihm ein Verstoß gegen das Beamtenrecht bescheinigt wird. Zumal Habeck selbst sagte, dass Graichens Verhalten ein "klarer Verstoß gegen den Verhaltenskodex" gewesen sei. Graichen: "Mir sind auch Fehler unterlaufen" Das Wortprotokoll bestätigte all das am Montag schwarz auf weiß. Und ergänzte das Gesamtbild etwa darum, dass Graichen der Findungskommission nicht gesagt hatte, dass Schäfer sein Trauzeuge war. Und dass er bei der letzten Entscheidung für Schäfer in der Kommission selbst eine "positive Empfehlung" für ihn ausgesprochen hat. So richtig schlüssig erklären konnte Graichen sein Verhalten schon vergangene Woche nicht. An diesem Mittwoch versucht er es erst gar nicht. Ihm seien in den vergangenen 17 Monaten als Staatssekretär, in denen er "für Energiewende und Klimaschutz geworben, gestritten und gearbeitet" habe, "auch Fehler unterlaufen", schreibt Graichen auf Twitter. Die Herausforderungen aber seien zu groß, "um weiter von Debatten über meine Person und Familie überschattet zu werden". Er werde, schreibt Graichen dann noch, "auf diesen – in Zeiten von Klimakrise, Energiekrise und Energiepreiskrise – intensiven Einsatz für dieses Land zurückblicken". Allerdings "zu einem späteren Zeitpunkt".