Tuesday, November 12, 2024

Wer ist hier der Narr?: Darum geht es beim Streit zwischen Scholz, Habeck und Musk wirklich

Kölner Stadt-Anzeiger Wer ist hier der Narr?: Darum geht es beim Streit zwischen Scholz, Habeck und Musk wirklich Sven Christian Schulz • 10 Std. • 5 Minuten Lesezeit Elon Musk hat den Kanzler und dessen Vize verspottet. Von all den Problemen, mit denen Olaf Scholz und Robert Habeck aktuell konfrontiert sind, gehören die Beschimpfungen durch Elon Musk zweifellos zu den weniger bedeutenden. Und doch fällt der Kleinkrieg zwischen dem reichsten Mann der Welt und den zwei ranghöchsten Vertretern der rot-grünen deutschen Minderheits­regierung selbst in dieser an Skurrilitäten nicht gerade armen Zeit aus der Reihe. Als „Narr“ hatte Musk den deutschen Bundeskanzler nach dem Scheitern der Ampel­koalition in einem Post bei seinem Netzwerk X bezeichnet, ohne darauf einzugehen, was genau an Scholz er so narrenhaft findet. Der Kanzler selbst reagierte am Sonntagabend bei Caren Miosga im Fernsehen. Durch die Attacke fühle er sich geadelt, ließ der Sozial­demokrat wissen. Mehr wollte er nicht sagen: „Ich kommentiere keine Tech-Milliardäre.“ Musk wiederum hatte sich in der Zwischenzeit bereits auf Habeck eingeschossen und den grünen Vizekanzler ebenfalls als „Narren“ bezeichnet. Grund war aber nicht das Ende der Ampel­koalition und auch nicht die am Donnerstag erfolgte Rückkehr Habecks zu X nach mehr als fünfjähriger Abstinenz, sondern ein Video des Vizekanzlers, das am Samstag viral ging. Habeck stellt Musk auf eine Stufe mit China Habeck hatte sich in einer Rede im brandenburgischen Neuhardenberg mit der Rolle sozialer Netzwerke wie X und Tiktok im öffentlichen Diskurs befasst und den Betreibern vorgeworfen, nicht etwa die Meinungs­freiheit zu fördern, sondern durch ihre Algorithmen die gesellschaftliche Meinung zu manipulieren. Die Behörden müssten die sozialen Netzwerke strenger regulieren, hatte Habeck gefordert. „Wir können den demokratischen Diskurs nicht in die Hände von Elon Musk und chinesischer Software geben.“ Der Streit befeuert eine alte Diskussion neu: Wer hat in den sozialen Netzwerken künftig das Sagen - der Staat oder deren milliardenschwere Besitzer? Wegen ihrer intransparenten Algorithmen stehen die großen Plattformen seit Jahren in der Kritik. Der Meta-Konzern, zu dem Facebook, Whatsapp und Instagram gehören, ließ politische Inhalte zuletzt gezielt verschwinden. Wer nicht explizit in den Einstellungen einen Haken setzt, sieht auf den Plattformen Instagram oder Threads vor allem Unterhaltungs­inhalte. Medien­recherchen der „Washington Post“ vor der US-Wahl ergaben, dass Nutzerinnen und Nutzer nicht einmal das Wort „vote“ (also: wählen) schreiben konnten, ohne dass ihre Inhalte vom Algorithmus herabgestuft wurden. Die Plattform Tiktok, die zum chinesischen Konzern Bytedance gehört, machte in ihren Anfangsjahren Schlagzeilen, weil ihre Moderations­teams offenbar Clips von Menschen mit Behinderung oder Übergewicht oder queere Personen in ihrer Reichweite begrenzten. Das geht aus internen Moderations­richtlinien hervor. Die Begründung damals: Die Plattform wolle die Nutzerinnen und Nutzer vor Mobbing schützen. Musk sieht sich als Kämpfer für die Meinungsfreiheit Elon Musk wiederum hatte sich zu Beginn der Twitter-Übernahme als Verfechter grenzenloser Meinungs­freiheit positioniert. Schon im April 2022, einige Monate vor der offiziellen Übernahme, postete Musk: „Ich hoffe, dass selbst meine schlimmsten Kritiker auf Twitter bleiben, denn das ist es, was freie Meinungs­äußerung bedeutet.“ Ein Jahr später überraschte der 53-Jährige mit einem in der Social-Media-Branche ungewöhnlichen Schritt: Seine Plattform legte die Empfehlungs­algorithmen offen, mit denen Nutzerinnen und Nutzern Posts zugespielt werden. Zumindest in der Außendarstellung setzt Musk auf eine gewisse Form der Transparenz. Die Realität auf der inzwischen in X umbenannten Plattform aber sieht anders aus. Schon kurz nach der Übernahme ließ Musk unliebsame Journalistinnen und Journalisten zeitweise sperren, das gleiche Schicksal blühte Parodie-Accounts, die sich über Musk lustig machten. Einmal bemerkten Nutzerinnen und Nutzer, dass Links zu Medien­websites, die Musk nicht mag, auffällig lange laden. Im US-Wahlkampf wurden Recherchen über den republikanischen Kandidaten JD Vance von der Plattform entfernt – zudem verschwanden Unterstützer­profile für Kamala Harris. Am Wahltag selbst ergaben RND-Recherchen, dass die Plattform neuen Accounts mit IP-Adresse in den USA vor allem Pro-Trump-Inhalte ausspielte. In mindestens einem Fall soll Musk seine Entwickler unter Androhung von Kündigungen angewiesen haben, seine eigenen Tweets im Algorithmus mehr zu pushen. Moderation gibt es auf der Plattform zudem kaum noch: Desinformation und Verschwörungs­erzählungen haben dort seither freie Fahrt. Transparenz bei X? Von wegen Und auch der vermeintlich transparente X-Algorithmus ist nicht so transparent, wie die Schlagzeile seinerzeit vermuten ließ. Das Magazin „The Atlantic“ berichtete damals, dem Code würde wichtiger Kontext fehlen, der vollständig erklären würde, warum man einen bestimmten Tweet sieht oder nicht. Außerdem erklärte die Plattform, man habe Teile des Codes zurückgehalten, um die Sicherheit und Privatsphäre ihrer Nutzerinnen und Nutzer zu schützen. Schon damals gab es Zweifel, ob der Code überhaupt noch aktuell war. Imran Ahmed, der Geschäfts­führer des Center for Countering Digital Hate, sagte dem Magazin damals: „Insgesamt ist Twitter seit Musk nicht transparenter, sondern weniger transparent geworden, trotz großspuriger Ankündigungen wie dieser.“ Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, die Verbreitung von Hassreden und Desinformation im Internet zu stoppen. EU schaut Elon Musk auf die Finger Die Europäische Union schaut Musk und seiner Plattform X schon länger auf die Finger. Der Digital Services Act (DSA) erlegt Online­diensten seit dem vergangenen Jahr neue Regeln auf. So verpflichtete dieser etwa Plattformen, illegale Inhalte zu entfernen und Nutzer vor Manipulation zu schützen. Auch zu Empfehlungs­algorithmen gibt es Regeln im DSA. Demnach müssen Plattformen auch einen chronologischen Feed bereitstellen – Netzwerke wie Meta und auch Tiktok setzten die Vorgabe daraufhin um. Musks Plattform X verstößt offenbar in gleich mehreren Fällen gegen den Digital Services Act, wie ein vorläufiger Bericht der EU-Kommission aus dem Juli deutlich macht. Die Kommission stört sich vor allem an den sogenannten blauen Haken, die früher auf der Plattform für die Verifikation prominenter Nutzerinnen und Nutzer standen. Heute lassen sich die Haken auf X einfach per Abo-Modell erkaufen. Posts von zahlenden Nutzerinnen und Nutzern werden dadurch auch bevorzugt und stärker ausgespielt. Für die Kommission ist aber etwas anderes entscheidender: Sie fasst die blauen Haken unter der Kategorie „Dark Patterns“ zusammen. Darunter versteht man ein Design, das das darauf ausgelegt ist, Menschen in die Irre zu führen. In mehreren Fällen wurden die blauen Haken etwa verwendet, um Prominente zu imitieren und Falsch­informationen über die Plattform zu streuen. Zudem sieht die Kommission auf der Plattform Verstöße mit intransparenter Werbung und dem mangelhaften Zugang dazu für Forscher und Forscherinnen. Es könnte teuer für Musk werden Die EU-Kommission wird voraussichtlich in den nächsten Monaten ihre Ermittlungen gegen X abschließen und könnte dann saftige Strafzahlungen verhängen. Das Gesetz erlaubt eine Geldbuße von bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes und stellt auf den Anbieter ab. Im Fall Musk eröffnet sich dadurch die Möglichkeit, sämtliche seiner Aktivitäten als Bemessungs­rundlange heranzuziehen, was Insider keineswegs ausschließen. Für den Tesla-Chef und SpaceX-Gründer könnte es dann sehr, sehr teuer werden. Offen ist jedoch, ob die EU-Kommission ihre Prüfung bis zum Amtsantritt der neuen Regierung abgeschlossen hat. Auf RND-Nachfrage wollte sie die Kommission zu dem laufenden Verfahren nicht äußern. Sollte der Tech-Milliardär einen Platz in Trumps Regierung erhalten, würde dies keinen Einfluss auf die Ermittlungen gegen X haben. Spannend dürfte werden, was Donald Trump zu alldem sagt.