Monday, November 11, 2024

Vertrauensfrage: Wie Merz und Mützenich die Treppenhaus-Diplomatie nutzen

Handelsblatt Vertrauensfrage: Wie Merz und Mützenich die Treppenhaus-Diplomatie nutzen Delhaes, Daniel • 2 Std. • 4 Minuten Lesezeit Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz soll mit SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die Vertrauensfrage terminieren. Beide verstehen sich gut, doch sie werden darüber nicht reden – offiziell. Anfang vergangener Woche wurde Friedrich Merz nicht müde, bei jeder Gremiensitzung der Partei – im Präsidium, im Bundesvorstand, in der Bundestagsfraktion – auf einen Artikel hinzuweisen: Die „Frankfurter Allgemeine“ hatte Rolf Mützenich porträtiert, den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Es ging um dessen enorme Macht, darum, wie Mützenich als überzeugter Pazifist und Russlandfreund Drohnen für die Bundeswehr verhindert habe, Verteidigungsminister Boris Pistorius Vorgaben mache und den Kanzler im Haushaltsstreit zum Rapport bestelle. „Wer denkt, mit der SPD wäre es einfach zu regieren, der sollte den Artikel lesen“, soll Merz seinen Leuten empfohlen haben. Nun sollen ausgerechnet Merz und Mützenich für den Kanzler den wichtigsten Termin regeln und klären, wann er nach dem Bruch der Ampelkoalition die Vertrauensfrage stellt, damit es zu Neuwahlen kommen kann. „Dass ich noch vor Weihnachten die Vertrauensfrage stelle, ist für mich überhaupt kein Problem“, hatte Scholz am Sonntagabend in der ARD gesagt und angefügt, sein Fraktionschef und Merz sollten sich doch auf einen Termin einigen. „Daran werde ich mich orientieren“, sagte er. Merz, der an diesem Montag 69 Jahre alt geworden ist, soll über den Vorstoß nicht lange nachgedacht und ihn abgelehnt haben. Nicht wegen seines 65-jährigen Gegenübers Mützenich, im Gegenteil: Auch wenn beide inhaltlich „Welten auseinanderliegen“, wie es im Umfeld von Merz heißt, arbeiteten sie doch „eng und vertrauensvoll“ zusammen. „Was sie besprechen, dringt nicht nach außen.“ Auch nutzten der Jurist Merz und der Politikwissenschaftler Mützenich den kurzen Dienstweg, wie einst Peter Struck und Volker Kauder: ein separates Treppenhaus, das das Büro des Unionsfraktionsvorsitzenden mit dem einen Stock tiefer liegenden Büro des SPD-Fraktionschefs verbindet. Mal komme Mützenich nach oben, dann Merz nach unten, unbemerkt von der Öffentlichkeit, heißt es. Befreundet wie einst Struck und Kauder sind der Sauerländer Merz und der Rheinländer Mützenich hingegen nicht. Der SPD-Politiker habe aber sehr wohl und gern das Sommerfest von CDU und CSU besucht und in einer Rede warme Worte für den CDU-Kollegen Merz gefunden, berichten Teilnehmer. Mützenich sei „angenehm im Umgang und zuvorkommend wie Merz“. Dies eine beide. Das Verhältnis von Merz zu anderen Fraktionschefs sei bei Weitem nicht so gut, weder zur FDP-Führung noch zur Grünen-Doppelspitze – und ohnehin nicht zu den SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken, die keine Gelegenheit ausließen, um gegen Merz zu agitieren. Nun sollen Merz und Mützenich dafür sorgen, dass sich die Regierungskrise nicht noch zu einer Verfassungskrise auswächst – besser gesagt: sollten. Das Angebot des Kanzlers sei „lächerlich“, hieß es am Montag in der Unionsführung. Zum einen wolle Scholz Merz so vom Kanzlerkandidaten zum Fraktionsvorsitzenden degradieren. Zum anderen wolle er von seiner eigenen Verantwortung ablenken. Schließlich sehe das Grundgesetz vor, dass der Kanzler die Vertrauensfrage stelle und danach der Bundespräsident das Parlament auflöse sowie einen Wahltermin festlege. Es sei nicht Sache des Parlaments, über seine eigene Auflösung zu befinden und dem Kanzler einen Termin vorzugeben. Merz und Mützenich würden allenfalls im vertraulichen Rahmen der Treppenhaus-Diplomatie das Gespräch suchen. Entsprechend ließ Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei verkünden, der Kanzler solle keine „Nebelkerzen“ werfen. „Bei diesem Verfahren liegt es allein am Kanzler, das Drama zu beenden und die Tür zum Neuanfang zu öffnen.“ Auch Grünen-Chefin Ricarda Lang forderte Scholz auf, „noch in dieser Woche Klarheit“ zu schaffen. Ähnlich argumentierte die FDP. Noch heute erzählen sie sich in der Unionsfraktion, wie schwierig das Treffen von Scholz mit Merz vergangene Woche verlaufen sei. Während der CDU-Chef in dem Gespräch darauf gedrängt habe, Scholz möge nach dem Koalitionsbruch zügig die Vertrauensfrage stellen und nicht bis zum 15. Januar warten, habe der Kanzler betont, wie erfolgreich die Ampel das Land durch die Krise geführt habe, die er als die „schwerste Krise“ seit Bestehen der Bundesrepublik bezeichnet habe. Nun sei es noch wichtig, bedeutsame Gesetze zu beschließen. Die SPD sucht den Weg aus der Debatte Mützenich hatte die Haltung des Kanzlers verteidigt. Die Union baue „wieder einen Popanz auf“, erklärte er am Freitag. Die Menschen wollten nicht über Termine reden. Sie wollten wissen, ob das Kindergeld noch steige, ob sie weiter mit dem Deutschlandticket fahren könnten oder ob der Staat energieintensive Unternehmen entlaste. Die Union sei verantwortungslos, wenn sie sich dem verweigere und vorher die Vertrauensfrage einfordere. Inzwischen hat Mützenich seine Haltung – gemeinsam mit Scholz – korrigiert. „Beide Herausforderungen kann man zusammen und gemeinsam angehen“, erklärte er Anfang der Woche. Er wolle mit der Union eine „Agenda“ mit Gesetzen festlegen. Danach könne es „leicht gelingen, einen sinnvollen Termin für die Wahl zu finden“. Ähnlich hatte sich Scholz bereits beim EU-Gipfel in Budapest geäußert. In der Union hingegen hieß es, bis zum Sonntagabend habe es keinerlei Signale aus der SPD gegeben. In der Fraktion werde zwar geprüft, welche Gesetze noch nicht beschlossen seien und welche Anträge die Fraktion selbst noch einbringen wolle. So sei unzweifelhaft, dass das Gesetz zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts noch vor der Wahl durch Bundestag und Bundesrat gehen solle. Alles Weitere werde nach der Vertrauensfrage entschieden. Die muss der Kanzler stellen. Am Mittwoch wird er sich im Bundestag erklären. Wie, ist offen. Erwidern wird neben Merz auch CSU-Chef Markus Söder. Was sie fordern werden, ist unzweifelhaft: zügige Neuwahlen.